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Interview

Eli Santos (links) und Jill Nussbaumer lassen sich das Ritual der Segnung ihrer Partnerschaft von Seelsorger Meinrad Furrer, Beauftragter Spiritualität «Kirche urban» Dekanat Zürich-Stadt, erklären. Bild: JS

Der Kirche Liebe lehren

Von: Jan Strobel

14. Mai 2021

Der Zürcher Seelsorger Meinrad Furrer setzte am Montag auf dem Platzspitz ein Zeichen gegen die offizielle Linie der katholischen Kirche. Er gab gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen. 

Was genau bedeutet der Akt der Segnung für gleichgeschlechtliche Paare?
Meinrad Furrer: Segnen bedeutet gutheissen und um die Kraft der Liebe Gottes bitten. Mit einem Akt der Segnung für gleichgeschlechtliche Paare wird ausgedrückt: Eure Liebe ist schön und gottgewollt. Ihr seid, so wie ihr seid, richtig. Durch eure Liebe darf sich auf der Welt die Liebe Gottes ausbreiten. Das gilt für alle Menschen und alle Paare, und es gilt auch für Einzelpersonen: Auch ihre Liebesfähigkeit darf sich entwickeln. Im Zentrum des Rituals steht eine Salbung. Menschen, die gesalbt werden, wird zugesprochen: Du bist einzigartig, von Gott genauso gewollt, und du darfst dein Potential in der Welt entfalten und zeigen.

Homosexuelle kritisierten, die Aktion stelle sie zu sehr als Opfer ins Rampenlicht. Sie stehe zu einem selbstbewussten Einsatz für gleiche Rechte in Widerspruch. Was entgegnen Sie diesem Einwand?
Ich verstehe diesen Einwand sehr gut. Es geht tatsächlich darum, die verschiedenen Lebensformen zu würdigen mit all ihrem Potential an Liebe, Sorgfalt, Engagement, Lebensfreude und vielem mehr. Ganz normale Beziehungen mit ihren Freuden und Sorgen. Im Argumentarium des Komitees für die Ehe für alle wird erwähnt, dass in Ländern, in denen die Ehe für alle eingeführt wurde, die Suizidalität unter LGBT-Personen sank. Die Tatsache also, dass die fehlende Akzeptanz zu vielen psychischen Problemen geführt hat, ist eine mögliche Motivation, sich selbstbewusst für gleiche Rechte einzusetzen.

Sie sprachen im Vorfeld der Segnung von «Verletzungen, die die Kirche vielen zugefügt hat, die sehr tief gehen». Können Sie das konkretisieren?
Im Vorfeld der Segensrituale sagte eine Frau zu mir, sie hätte 30 Jahre gewartet auf diesen Segen, und erzählte dann von ihrer Tochter, die oft negativ zu spüren bekommt, dass sie zwei Frauen als Mütter hat. Die Ablehnung queerer Lebensentwürfe ist noch so tief in unserer Kultur verankert und führt auch – durch Studien bestätigt – überdurchschnittlich oft zu psychischen Problemen. Vieles wirkt sogar unbewusst als eine Art internalisierte Selbstablehnung. Ich habe in seelsorgerlichen Gesprächen viel gehört von der Schwierigkeit queerer Menschen, sich selbst zu akzeptieren. Im religiösen Umfeld ist es besonders häufig so.

Haben Sie nie an Ihrer Tätigkeit für die Kirche gezweifelt?
Ich selber habe immer wieder an meiner Tätigkeit in der Kirche gezweifelt. Ich habe bis jetzt aber immer wieder meinen Platz gefunden und bin mit vielen engagierten und offenen Katholiken verbunden. Schlussendlich ist mir aber die Institution Kirche nicht sehr wichtig. Für die Menschen, die sich darin bewegen aber möchte ich ein leidenschaftlicher und mutiger Seelsorger sein, der sich am Geist Christi orientiert.

Papst Franziskus befürwortet zwar eingetragene zivile Partnerschaften, spricht sich aber gegen die Ehe für alle aus und lehnt Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare ab. Ist die Aktion sozusagen ein Aufstand gegen Rom?
Ich bin mir nicht sicher, ob Papst Franziskus gegen Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare ist. Nach meinem Wissen hat er die Äusserungen der Glaubenskongregation nicht bestätigt. Ich sehe meine Aktion weniger als Aufstand oder Protest. Kirchen haben den Auftrag, für Menschen und in der Welt heilsam zu wirken. Und ich bin überzeugt, dass durch diese Segensrituale sowohl Paare bestärkt werden als auch die Öffentlichkeit sensibilisiert wird für die Gleichwertigkeit verschiedener Lebensentwürfe. Die Kirche muss sich ihrer Schuld bewusst werden, dass sie durch die Ablehnung queerer Lebensformen viel Leid verursacht hat und sich beherzt für gleiche Würde und Rechte aller bekennt.

Was sagen Sie gläubigen Katholiken, welche sich durch die Aktion provoziert fühlten?
Wir Katholiken und Katholikinnen sind eine weltweite Gemeinschaft von Gläubigen. Dass es da unterschiedlichste Zugänge zu Glauben und Lebensgestaltung geben muss, ist ganz normal. Ich finde, wir sollten wieder mehr lernen, diese Widersprüche zu akzeptieren und uns ernsthaft und in Achtung auszutauschen. Diese Debatten führen auch zu Veränderungen in der kirchlichen Lehre und Praxis. Die Kirche lehrte auch mal, dass die Erde flach sei, und wehrte sich gegen neue Erkenntnisse. Aus meiner Sicht ist es in Europa überfällig, die kirchliche Lehre über Beziehungen und Sexualität im Wissen um die Erkenntnisse der Wissenschaft und um die Lebensrealität vieler Menschen auf den Prüfstand zu stellen.

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