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Interview

Entspannen in mediterranem Klima - in Zürich könnte dies in knapp 80 Jahren Realität sein. Bild: Keystone-Archiv

«Die Sommer werden heisser und trockener»

Von: Sacha Beuth

24. Februar 2015

Verregnete Sommer, heftige Herbststürme und blühende Haselsträucher im Januar – das Wetter scheint immer öfter verrückt zu spielen. Wie sich Klimaveränderungen auf Zürich auswirken, weiss ETH-Klimaforscher Reto Knutti (41).

Reto Knutti, in den ersten Januarwochen 2015 war es so mild, dass in und um Zürich sogar die Haselsträucher zu blühen begannen. Dann fielen Ende Januar/Anfang Februar grosse Mengen Schnee. Ein Ausnahmefall, oder müssen wir uns künftig vermehrt auf derlei Kapriolen einstellen?

Reto Knutti: Wetterentwicklungen von ein paar Wochen oder selbst ein paar Jahren sind nicht repräsentativ für eine langfristige Entwicklung. Dennoch sind künftig wärmere Temperaturen und damit kürzere Winter sowie frühere Frühlingsanfänge zu erwarten. Das stimmt mit vergangenen Trends überein. Gerade die Winter sind in der Schweiz schon heute weniger streng als vor 100 Jahren. In dieser Periode hat sich die Temperatur im Jahresmittel um plus 1,5 Grad Celsius verändert.

Was ist mit den Sommern, die gefühlt immer öfter kühl und regnerisch ausfallen? Oder dem Herbst 2014 mit seinen vielen Stürmen?

Die Sommertemperaturen steigen ebenfalls. Nur wird unsere Wahrnehmung sehr stark beeinflusst von einzelnen Ereignissen. Der Sommer 2014 ist dafür ein gutes Beispiel. Weil es im Juli und August besonders regnerisch war, hat man auch das Gefühl, das ganze Jahr sei so ausgefallen. In Wahrheit war aber 2014 insgesamt das wärmste Jahr seit Messbeginn. In Sachen Stürme gibt es keine klaren Hinweise von Windveränderungen bzw. Zunahme von Windintensität. Dafür stellen wir tendenziell vermehrt starke Niederschläge fest. Ursache ist die Erwärmung. Je wärmer die Luft, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen und transportieren. Und die Feuchtigkeit muss irgendwann ja wieder zurück auf die Erde.

Stichwort globale Erwärmung. Wo in Zürich ist sie bereits erkennbar?

In den gestiegenen Durchschnittstemperaturen. Und dass im Winter durchschnittlich weniger Schnee fällt als noch vor 100 Jahren. Insgesamt sind die Auswirkungen innerhalb der Stadt aber noch gering. Ausserhalb machen sie sich mit schmelzenden Gletschern und längeren Vegetationsperioden schon eher bemerkbar.

Wie wird sich Zürich in den nächsten Jahren klimatisch verändern?

Es wird generell wärmer, die Sommer werden trockener und die schweren Niederschläge noch stärker. Kurzfristige Vorhersagen, also für die nächsten zwei, drei Jahre, sind nicht möglich, denn das Wetter wird vom Zufall dominiert. So kann es auch sein, dass vier oder fünf nasskalte Sommer aufeinanderfolgen. Darum lässt sich nur über einen längeren Beobachtungszeitraum von 20, 30 oder 50 Jahren eine Tendenz ablesen.

Heisse Sommer, starke Niederschläge – verwandelt sich Zürich bald in eine Tropenmetropole mit Palmenalleen, Terrassen voller Orchideen und Krokodilen in der Limmat?

Nein. Die Klimaveränderung geht schleichend vor sich und ist schwer greifbar. In den nächsten 10 Jahren geschieht wenig. Wir schätzen, dass es in der Schweiz bis zum Jahr 2100 im Schnitt vier bis fünf Grad wärmer wird, sofern keine zusätzlichen Klimaschutzmassnahmen ergriffen werden. Dann wird Zürich allerdings nicht zur tropischen Metropole, sondern – eben weil die Sommer zwar heisser, aber insgesamt trockener werden – eher ein mediterranes Klima aufweisen.

Nun gibt es aber immer wieder auch Stimmen, die vom Beginn einer neuen Eiszeit sprechen. Ein Hirngespinst?

Sagen wir es so: Gäbe es den Menschen nicht, gäbe es in ungefähr 20 000 Jahren eine neue Eiszeit. Das ist sehr weit weg und somit gegenwärtig ohne Belang. Viel wahrscheinlicher ist, dass das Klima wegen des Einflusses der Menschen schon vorher aus der Bahn geworfen wird.

Was für Auswirkungen hätte es für die Zürcher Bevölkerung, wenn die globale Erwärmung nicht gestoppt wird?

Die Auswirkungen wären, da es sich um ein globales Problem handelt, auch global und nicht auf einzelne Regionen oder Städte beschränkt. Generell hat der Klimawandel Einfluss auf die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, den Anstieg des Meeresspiegels und den Verlust der Biodiversität. Auch sind Konfliktsituationen wegen der Verfügbarkeit von Wasser zu befürchten, vor allem, wenn dieses zur Bewässerung benötigt wird. Auf kleiner Ebene sind etwa Veränderungen beim Wintertourismus und ein erhöhtes Bedürfnis nach Klimaanlagen wegen der heissen Sommer die Folge, gerade in den Städten und somit auch in Zürich.

Sie zählen nur Verlierer respektive negative Seiten auf. Gäbe es auch Gewinner?

Kurzfristig ja. Der Sommertourismus in der Schweiz würde davon profitieren. Ebenso die Brauereien, Hersteller von Klimaanlagen, Bratwurst- und Glaceverkäufer. Selbst in der Landwirtschaft gäbe es Gewinner, da gewisse Pflanzen in leicht wärmerem Klima besser gedeihen. Die Frage ist auch, in welchem Tempo die Erwärmung zunimmt. Geschehen die Veränderungen langsam, ermöglichen sie der Umwelt zumindest teilweise, sich anzupassen. Aber weltweit und langfristig betrachtet überwiegen die Verlierer bei weitem.

Ist diese Entwicklung überhaupt aufzuhalten? Und falls ja, wie?

Ja, sie kann gestoppt werden, zumindest grösstenteils. Dazu ist es zwingend notwendig, den Ausstoss von Treibhausgasen weltweit massiv und umgehend zu verringern. Die Schweiz müsste ihren Ausstoss von 1990 bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduzieren. Dies wäre auch für die anderen Industriestaaten repräsentativ, wohingegen Entwicklungsländer etwas mehr Zeit haben. Bis jetzt sind die Anstrengungen aber überall ungenügend, um die Erwärmung zu bremsen. Und je länger sich dies nicht ändert, desto grösser werden hernach die Probleme.

Infobox

Die Temperaturentwicklung in der Schweiz weist seit etwa 1900, aber besonders seit 1970 eine steigende Tendenz auf und liegt seit 1990 jedes Jahr über dem langfristigen Mittel 1961 bis 1990. Die Sommer haben sich stärker erwärmt als die Winter. Auf der Alpennordseite ist ein Trend zu mehr Niederschlag im Winter, auf der Süd­seite zu weniger im Sommer messbar, aber die natürlichen Schwankungen sind gross. Schnee- und Frosttage haben abgenommen (Schneetage für Zürich innert der letzten 52 Jahre von durchschnittlich 41 auf 24), die trüben Tage mit Nebel ebenfalls, heisse Tage haben zugenommen. Weitere Infos auf: www.meteoschweiz.admin.ch.

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