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Interview

VBZ-Direktor Guido Schoch geht im Frühling 2021 in Pension. Bild: Tom Kawara

Die Sorge um eine Entgleisung des Zürcher ÖV

Von: Isabella Seemann

03. November 2020

Guido Schoch lenkte als Direktor während elf Jahren die Geschicke der VBZ. Im Frühling 2021 geht er in Pension. Die Zukunft des ÖV in der Stadt Zürich sieht er nicht nur optimistisch. Durch die stetig steigenden Ansprüche an den begrenzten Strassenraum seien die ÖV-Spuren akut gefährdet

Kaum ein städtischer Betrieb steht so sehr im Schaufenster der Stadt wie die VBZ. Weil fast jeder seine Trams und Busse benutzt, hat auch jeder eine Meinung dazu. In den elf Jahren an der Spitze der Verkehrsbetriebe Zürich hatte Direktor Guido Schoch einige Kritik einzustecken und viele Herausforderungen zu meistern: von beinahe streikenden VBZ-Mitarbeitenden bis zu Trammangel. Und im letzten Jahr bis zu seiner Pensionierung im Frühling 2021 ist er auch noch mit einer Pandemie konfrontiert. Jetzt wirft er einen Blick zurück – und einen in die Zukunft.

Wenn Sie privat ein Tram oder einen Bus benutzen, lehnen Sie sich zurück oder legen Sie sich quasi auf die Lauer?
Guido Schoch: In Tram und Bus nutze ich die Zeit gerne zum Arbeiten oder Lesen. Ich überlege mir aber auch immer, was man noch besser machen könnte. Wenn ich im Ausland in einer fremden Stadt bin, kaufe ich mir eine Tageskarte und fahre verschiedene Linien ab. Dabei lernt man enorm viel von guten, aber noch mehr von schlechten Beispielen.

Finden Sie, dass die Zürcher zu viel über die VBZ meckern?
Grundsätzlich sind unsere Fahrgäste sehr zufrieden mit unseren Dienstleistungen, was auch die immer sehr hohe Bewertung bei der Kundenbefragung des ZVV zeigt. Auch gehört die VBZ jeweils zu den beliebtesten Dienstabteilungen der Stadt. Aber es gibt natürlich auch Verbesserungsbedarf, zum Beispiel die Pünktlichkeit unserer Buslinien.

Die Mitarbeiterunzufriedenheit war während Ihrer Amtsführung immer wieder ein Thema, es kam sogar zu einer Streikaktion. Als Direktor tragen Sie letztlich die Verantwortung für alles. Wo sagen Sie heute selbstkritisch: Das hätte ich anders machen sollen!
Wir haben sehr viel in eine gute Unternehmenskultur investiert. So ist die Gesamtzufriedenheit bei der städtischen Befragung laufend gestiegen und inzwischen gleich gross wie bei den übrigen städtischen Mitarbeitenden. Dies trotz Themen wie die freie Gestaltung des Arbeitstages oder die Work-Life-Balance, die naturgemäss vom Fahrdienst im Schichtbetrieb eine tiefere Bewertung erhalten als von Mitarbeitenden, die im Büro arbeiten. Hier haben wir in der Zwischenzeit neue Arbeitszeitmodelle mit mehr Flexibilität auch für den Fahrdienst eingeführt. Apropos «Streik» im Jahr 2012: Es wurde zwar die Depoteinfahrt von externen Gewerkschaftsfunktionären blockiert. Aber kein einziger VBZler hatte am Streik teilgenommen und die Arbeit niedergelegt.

Ihr letztes Jahr im Amt ist von grossen Schwierigkeiten überschattet: Es begann damit, dass die VBZ im Sommer 2019 zu wenig Trams hatte und Linien eingestellt und der Fahrplan ausgedünnt werden mussten. Haben Sie die Situation falsch eingeschätzt?
Nein, durch Einsprachen bei der Trambeschaffung sind vier Jahre Verspätung entstanden. Schlussendlich haben alle gerichtlichen Instanzen und auch der Gutachter TüV das korrekte Vorgehen und die hohe Professionalität der VBZ in allen Punkten bestätigt.

Die Corona-Krise hatte nicht nur einen Nachfragerückgang zur Folge, sondern verzögerte auch noch die Auslieferung des Flexity-Trams. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Wir haben sehr früh Schutzmassnahmen eingeführt. In kürzester Zeit wurde zudem ein neuer Fahrplan aus dem Boden gestampft, denn es war wichtig, dass der öffentliche Verkehr immer rollte. Wenn es nicht zu weiteren grossen Corona-Einschränkungen kommt, sollten wir acht der geplanten zehn Flexity-Trams bis Ende Jahr hier haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich allen Mitarbeitenden für den grossen Einsatz danken, den sie geleistet haben.

Was bleibt von der Ära Schoch?
In den letzten zehn Jahren haben wir die Kundinnen und Kunden stark ins Zentrum gestellt und die Qualität des Angebots laufend ausgebaut mit neuen Tramlinien wie dem Tram Zürich-West, der Tramverbindung Hardbrücke, der Linie 2 nach Schlieren und neuen Busverbindungen. Sehr wichtig sind mir auch unsere Umweltziele, wo wir mit der Elektrobusstrategie, der energetischen Sanierung der Depots und Garagen und Photovoltaikanlagen viel erreicht haben. Wir sind bei gestiegener Kunden- und Mitarbeitendenzufriedenheit noch effizienter geworden und konnten in den letzten zehn Jahren die Abgeltung pro Fahrgast, welche wir von der öffentlichen Hand erhalten, halbieren und den Kostendeckungsgrad von 65 auf über 80 Prozent steigern, ein sehr hoher Wert in der Schweizer ÖV-Branche.

Welche Entwicklungen in Zürich bereiten Ihnen Sorge?
Durch die stetig steigenden Ansprüche an den begrenzten Strassenraum sind die ÖV-Spuren akut gefährdet. Würde auf allen Strassen mit Tramverkehr eine Velospur gebaut, würden wir mehr als die Hälfte aller Tramspuren verlieren, weil die Strassen zu schmal sind. Eine Trennung der Verkehrsträger auf separate Achsen ist unabdingbar, sonst sind die umweltfreundlichen Verkehrsträger am Ende die Verlierer. Ebenso Sorgen bereitet mir Tempo 30 in der ganzen Stadt. Dies bedeutet, neben längeren Fahrzeiten, Investitionen in Fahrzeuge von über 70 Millionen Franken und jährliche wiederkehrende Kosten für Fahrpersonal und Fahrzeuge von über 20 Millionen Franken. Da weder der ZVV noch die VBZ eine Gelddruckmaschine im Keller haben, würde dies zwangsläufig zu einem massiven Abbau des öffentlichen Verkehrs führen. Ich befürchte deshalb, dass wir in der Stadt in wenigen Jahren das zerstören, was wir in einem halben Jahrhundert aufgebaut haben und wofür uns übrigens sehr viele Städte in der ganzen Welt beneiden.

Wäre es nicht sinnvoll, einen Teil des öffentlichen Verkehrs durch Veloverkehr zu ersetzen? Amsterdam und Kopenhagen sind doch gute Beispiele.
Das Ausspielen von Velo gegen ÖV ist falsch. Diese Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass mit Velomassnahmen allein keine umweltgerechte Politik möglich ist. Es braucht beide Verkehrsträger. Amsterdam und Kopenhagen haben zwar ein tolles Veloangebot, aber einen mässigen ÖV. Mit dem gleichen Anteil der verschiedenen Verkehrsträger am Gesamtverkehr wie diese Städte hätte Zürich zwar deutlich mehr Velos in der Stadt, aber auch 60 bis 80 Prozent mehr Autos, ein absoluter ökologischer Super-GAU.

Wie wird sich die Corona-Krise auf unser Mobilitätsverhalten auswirken?
Eine vermehrte Verlagerung auf das Auto ist denkbar. Daher ist es doppelt wichtig, dass wir die Konkurrenzfähigkeit des ÖV weiter steigern mit kürzeren Fahrzeiten von Tür zu Tür, grösserer Pünktlichkeit, aber auch mehr Komfort.

Stellen Sie sich Zürich ohne die lauten und doch schleichenden Trams vor, die sich gegenseitig behindern. Diese würden unterirdisch geführt und die Zürcher hätten viel mehr Raum und Ruhe. Wäre das nicht ein ideales Zürich?
1962 gab es eine Volksabstimmung, das Tram im Zentrum unter den Boden zu verlegen wie in Stuttgart oder Köln. Diese Vorlage wurde abgelehnt. Wenn es der Stadt nicht gelingt, den Abbau der ÖV-Spuren und die Verlangsamung des ÖV durch Tempo 30 in den nächsten Jahren zu verhindern, wird dies wohl die einzige Möglichkeit sein, die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs zu erhalten. Hier fehlt bislang der Mut zur Ehrlichkeit: Es hat einfach nicht in jeder Strasse Platz für alles. Mit der heutigen Politik, wo Tram und Bus in der Prioritätenliste weit nach hinten gerückt sind, ist die Gefahr gross, dass der ÖV schwer geschädigt wird, aber auch keine vernünftigen Velomassnahmen möglich sind. Viele reden von der Förderung des öffentlichen Verkehrs in der Stadt. Leider sind das oft nur leere Worthülsen. Wenn die Politik die Weichen künftig nicht anders stellt, droht der ÖV in Zürich mittel- und langfristig zu entgleisen.

Welche Pläne haben Sie für Ihr Leben nach der Pensionierung?
Ich bin ein grosser Fan von klassischer Musik und Oper, ebenso lese und reise ich sehr gerne und interessiere mich für Geschichte. Ich bin aber auch für das eine oder andere spannende Projekt im ÖV offen.

Zur Person:

Guido Schoch, geboren am 18. April 1956 und aufgewachsen in Wattwil SG, schloss seine wirtschaftsjuristischen Studien an der Universität St. Gallen mit einer bankwirtschaftlichen Dissertation ab. Nach seiner Tätigkeit bei einer Grossbank in Zürich stieg er in die Branche des öffentlichen Verkehrs ein und wirkte fortan in verschiedenen Bahnunternehmen in der Geschäftsleitung. Seit September 2009 ist Guido Schoch Direktor der VBZ. Im Frühling 2021 wird er pensioniert. Guido Schoch hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Zürich.

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