mobile Navigation

Interview

Der Ex-Internationale Ludovic Magnin ist heute Assistenztrainer beim FC Zürich. Bild: Keystone/A. Della Bella

«Die Spieler brauchen einen gewissen Freiraum»

Von: Sacha Beuth

07. Juni 2016

Am Freitag beginnt in Frankreich die Euro 2016. Unter den 24 Teams befindet sich auch die Schweiz. Welche Anforderungen ein solches Turnier mit sich bringt und wie die Chancen für unser Team sind, weiss der FCZ-­Assistenzcoach und ehemalige EM-Teilnehmer Ludovic Magnin (37).

Ludovic Magnin, die Schweiz spielt in Frankreich an der EM-Endrunde. Was würden Sie dafür geben, um ebenfalls mit dabei zu sein – in welcher Funktion auch immer?

Wenn ich die Form hätte, dann würde ich sofort meine Sommerferien mit der Familie absagen – wofür ich nicht mal Ärger bekäme, denn meine Frau hätte Verständnis dafür. Wenn du als Spieler an so einem grossen Turnier dabei sein darfst, ist das das Grösste. Als Trainer wäre ich dem Team wohl keine grosse Hilfe, da bin ich noch nicht so weit.

Was haben Sie von Ihrer Zeit als Nationalspieler bei der Euro 2008 in der Schweiz und in Österreich noch in Erinnerung?

Abgesehen von rund 10 Minuten, die ich an der EM 2004 in Portugal gespielt habe, war es meine erste Europameisterschaft. Leider endete sie mit einer grossen Enttäuschung. Wir verloren das Auftaktspiel gegen Tschechien kurz vor Schluss und unterlagen dann der Türkei in der Nachspielzeit. Zudem verletzte sich Alex Frei im Auftaktspiel schwer, sodass er nicht weiterspielen konnte. Ich selbst war wegen einer Sprunggelenkverletzung nicht in Topform. Kurz: Es lief schief, was schieflaufen konnte.

An einem grossen Turnier wie der EM sind die Spieler oft über Wochen auf engstem Raum zusammen. Was müssen Betreuer und Spieler tun, um eine positive Stimmung zu behalten?

Auf jeden Fall darf sich das Team nicht von der Aussenwelt abschotten wie bei der WM in Brasilien unter Hitzfeld. Man war so abseits der Zivilisation, dass einige Spieler mir erzählt haben, dass sie sogar froh waren, wenn sie Journalisten zu Gesicht bekamen. Das ist nicht gut. Die Spieler brauchen einen gewissen Freiraum und Abwechslung. Mal einen Ausflug machen, mal zusammen in ein besonderes Restaurant essen gehen und dafür mal ein Training ausfallen lassen. Das kann viel Positives bewirken.

Was halten Sie vom aktuellen EM-Kader der Schweiz? Sind die Besten dabei, oder hätte man andere – namentlich Captain Gökhan Inler – berücksichtigen sollen?

Aus der Distanz gesehen, hätte ich wohl das eine oder andere anders gemacht. Aber ich kenne weder den Inhalt der Gespräche, die Petkovic mit Inler geführt hat, noch dessen Überlegungen oder den genauen Formstand der Spieler. Petkovic hat eine Entscheidung getroffen, und die gilt es zu akzeptieren.

Wie schätzen Sie die Gruppen­gegner der Schweiz – Frankreich, Rumänien und Albanien – ein?

Die Franzosen sind klar der stärkste Gruppengegner. Sie werden eine grosse Rolle spielen und auch wegen des Heimvorteils zu den besten vier Nationen der Euro gehören. Das Kader der Rumänen ist deutlich weniger gut besetzt. Zudem sind sie ein Stimmungsteam. Albanien besitzt gute Spieler, die aber zu wenig Erfahrung mitbringen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns hinter Frankreich als Gruppenzweite für die Achtelfinals qualifizieren. Alles andere wäre ein Misserfolg.

Gerade das Spiel gegen Albanien hat es in sich. Es gibt Leute, die bezweifeln, dass albanischstämmige Schweizer mit vollem Herzen für ihre Farben eintreten, wenn es gegen die «zweite» Heimat geht. Sehen Sie dies auch so?

Überhaupt nicht. Das Herz mag vielleicht geteilt sein, aber auf der anderen Seite spielst du vor allem für dich und willst nicht verlieren. Der Drang, zu gewinnen, ist auf jeden Fall grösser als die Liebe zur zweiten Heimat.

Wie weit kommt die Schweiz?

Wenn ich auf die Verletzungsprobleme und die teilweise mangelnde Spielpraxis schaue, müsste ich sagen: Nach den Achtelfinals ist Schluss. Wenn ich aber schaue, wie das Team an der WM in Brasilien über sich hinausgewachsen ist, dann sind mit ähnlichen Leistungen mindestens die Viertelfinals möglich.

Und wer wird Europameister?

Ich tippe auf Frankreich oder Deutschland. Jedenfalls glaube ich nicht, dass es einen Überraschungssieger wie seinerzeit Dänemark oder Griechenland gibt.

Wo und wie werden Sie die EM verfolgen?

Ich werde sicher nicht nach Frankreich reisen. Die Gefahr eines Anschlags ist aus meiner Sicht zu hoch. Stattdessen werde ich bei Freunden oder zu Hause – mit den Kindern und dem Panini-Album auf dem Schoss – so viele Spiele wie möglich am TV mitverfolgen. Wenn die Schweiz ausscheidet, muss ich Deutschland die Daumen drücken, sonst kündigen mir Khedira und Gomez ihre Freundschaft. (lacht)

Euro 2016

Die Endrunde der Fussball-Europameisterschaft 2016 findet vom 10.  Juni bis 10. Juli in Frankreich statt. Erstmals nehmen 24 Nationen daran teil (zuvor 16). Die Teams sind in 6  Vierergruppen (A–F) eingeteilt. Die besten zwei jeder Gruppe sowie die vier besten Gruppendritten qualifizieren sich für die Achtelfinals. Von da an wird im K.-o.-System weitergespielt. Die Schweiz gehört der Gruppe A an und spielt am Samstag, 11. Juni, gegen Albanien (15 h in Lens), dann am Mittwoch, 15. Juni, gegen Rumänien (18 h in Paris) und schliesslich am Sonntag, 19. Juni, gegen Gastgeber und Mitfavorit Frankreich (21 h in Lille). 

Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan von tagblattzuerich.ch

zurück zu Interview

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare