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Interview

Daniela García Rochas Solorsano (18, unten Mitte) und Antonia Vignolo (18, rechts) haben ein Jahr lang bei Elisabeth Messerli in Riesbach gelebt. Bild: CLA

"Die Zürcherinnen waren wirklich gute Freundinnen"

Von: Clarissa Rohrbach

01. Juli 2014

Die Mexikanerin Daniela García Rochas Solorsano (18) und die Italienerin Antonia Vignolo (18) haben ein Jahr in Zürich verbracht. Im Interview erzählen die Gastschülerinnen, was sie hier begeistert und was sie gestresst hat.

Tagblatt der Stadt Zürich: Antonia und Daniela, ihr müsst nach einem Austauschjahr in Zürich wieder nach Hause. Seid ihr traurig?

Antonia: Sehr, ich will gar nicht gehen, ich habe mich in Zürich verliebt. Diese Stadt ist perfekt: Sie bietet alles, ist nicht allzu gross, liegt am See und nahe an der Natur. Am meisten haben mich der tadellose ÖV und die Sicherheit beeindruckt. Wo sonst auf der Welt kann ein 18-jähriges Mädchen um vier Uhr nachts ohne Bedenken unterwegs sein?

Ist der Ausgang hier besser als in Italien?

Er war das Beste! In Italien wohne ich in einem kleinen Dorf bei Brescia. Dort muss ich immer meine Eltern fragen, ob sie mich in den Ausgang fahren, denn die Vespa zu nehmen, ist einfach zu gefährlich. Hier hatte ich dank des Nachtbusses viel mehr Freiheiten.

Wirkt die geregelte Schweiz auf zwei Südländerinnen wie euch nicht ein wenig verklemmt?

Daniela: Die Zürcher sind sicher zurückhaltender als die Mexikaner. Bei uns in Morelia, eine Stadt im Mittelland, begrüsst man sich mit einer Umarmung, hier mit drei Küsschen. Einige Klassenkameraden in der Kantonsschule Oerlikon haben mir zum Geburtstag mit einem Handschlag gratuliert, das fand ich merkwürdig. Und an die Pünktlichkeit musste ich mich auch gewöhnen. Ich weiss jetzt, dass ich mit einer Minute Verspätung den Zug verpasse. Da gibts keine Diskussionen wie in Mexiko.

Elisabeth Messerli (Gastmutter): Ich habe bereits fünf Austauschschüler beherbergt. Den ÖV zu verstehen, ist für die meisten ein Problem. Ich musste oft erklären, dass die Schweizer die zeitlichen Abläufe zuverlässig einhalten, auch im Privaten. In der Freizeit konntet ihr die Zürcher besser kennenlernen.

Habt ihr Freundschaften geschlossen?

Daniela: Ja, das war allerdings nicht so einfach. Zuerst dachte ich, dass mich meine Mitschüler gar nicht mögen, denn sie waren so kalt. Später habe ich gemerkt, dass die Leute hier zwar nicht so herzlich, aber sehr vertrauenswürdig sind. Schliesslich haben mich meine Freundinnen immer gefragt, wie es ginge, aufmerksam zugehört und mich getröstet.

Antonia: Ich hatte keine Mühe. Wir assen bereits in den ersten Wochen zusammen zu Mittag. Nach einigen Monaten bin ich dann mit meinen Kameradinnen aus der Kanti Enge in den Ausgang. Sie waren wirklich gute Freundinnen.

Zürich war für euch anfangs eine fremde Stadt. Wie habt ihr euch bei der Ankunft gefühlt?

Daniela: Überfordert. In Mexiko halten die Familien sehr eng zusammen, ich war mir Hilfe gewohnt. Hier hingegen musste ich alles selber organisieren: Vom Handyabo bis zu meinen Ausflügen in andere Kantone. Ich musste zuerst lernen, für mich selbst verantwortlich zu sein. Manchmal habe ich mich unter Druck gefühlt, weil die Mentalität in Zentralamerika relaxter ist. Hier ist immer alles so perfekt, das hat mich nicht immer glücklich gemacht.

Messerli: Es ist typisch, dass die Gastschüler ein Wechselbad der Gefühle erleben. Zuerst finden sie alles toll hier. Nach der anfänglichen Euphorie packt sie die Unsicherheit, und sie fragen sich nicht selten: «Oh Gott, wo bin ich hier nur gelandet?» Nachdem sie Deutsch besser beherrschen und die Zürcher kennengelernt haben, gefällt es ihnen dann wieder. Die Jugendlichen werden in dieser Zeit viel erwachsener. Der Austausch bedeutet nicht ein Jahr in ihrem Leben, sondern ein ganzes Leben in einem Jahr.

Wie hat euch dieses Jahr verändert?

Daniela: Vorher dachte ich nur an mich selbst. Nun respektiere ich alle Menschen. Jeder macht Fehler und hat eine zweite Chance verdient, so wie ich hier auch.

Antonia: Ich habe meine Vorurteile gegenüber Menschen einer anderen Kultur abgebaut. Und gelernt, Teil einer Familie zu sein, aber auch meinen Beitrag zu leisten mit Aufgaben wie waschen oder kochen.

Frau Messerli, was macht eine gute Gastfamilie aus?

Messerli: Die Gastschüler wissen nicht, zu wem sie gehen, sie kaufen so quasi die Katze im Sack. Deswegen ist es wichtig, sie herzlich willkommen zu heissen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind. Sie werden zu einem zusätzlichen Familienmitglied. Das heisst aber auch, dass es keine Spezialbehandlung gibt.

Sie sind seit zehn Jahren Gastmutter. Wieso nehmen sie an den Austauschprogrammen von AFS teil?

Messerli: Der Kontakt mit jungen Menschen aus anderen Ländern bereichert mich. Wir führen immer wieder tiefe Gespräche, die mir die Augen öffnen und mich toleranter machen. Es hilft einem, sich daran zu erinnern, dass die Schweiz nicht das Zentrum der Welt ist.

In wenigen Tagen gehts wieder nach Hause. Was bringt ihr aus Zürich mit?

Antonia: Schokolade, ganz klar, und Honig und Käse. Auch eure Kartoffelschäler sind genial, davon habe ich ein paar gekauft.

Hand aufs Herz: Habt ihr euch verliebt?

Antonia: Ich bin hoffnungslos in Valentin Stocker verliebt.

Daniela: Bastian Baker ist der süsseste Schweizer, ihn durfte ich sogar treffen.

Am 15. August kommen 160 neue Austauschschüler in die Schweiz. Viele brauchen noch eine Gastfamilie. Öffnen Sie Ihr Heim und Ihr Herz: Sie können die Welt von zu Hause aus entdecken, ein neues Familienmitglied gewinnen und  Freundschaften knüpfen, die ein Leben lang halten. Gastfamilie kann (fast) jeder sein:  Weitere Infos und Anmeldung unter: www.afs.ch/gastfamilie.


Seit 60 Jahren ist AFS die grösste Non-Profit-Organisation für interkulturellen Austausch in der Schweiz und arbeitet mit rund 60 Partnerländern.

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