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Interview

Duell um freiwerdenden Stadtratssitz

09. April 2013

Am 21. April fällt die Entscheidung im Kampf um die Nachfolge von Stadtrat Martin Vollenwyder. Die beiden Kandidaten im letzten Interview vor dem Tag der Entscheidung.

FDP-Mann Marco Camin ist auch im zweiten Wahlgang klarer Favorit. Ein Gespräch über Weinberge, Sorgen und natürlich auch das Sechseläuten.

Tagblatt der Stadt Zürich: Herr Camin, bei unserem letzten Treffen im Januar sahen Sie fitter aus...

Marco Camin: So. (lacht) Letztes Mal haben wir uns zum Interview aber auch etwas früher getroffen. Oder? Klar, natürlich – so ein Wahlkampf zehrt an den Kräften. Aber ich fühle mich nach wie vor fit.

Hatten Sie Albträume mit Werwölfen als Hauptdarsteller?

Camin: Nein. Aber Richard Wolff, auf den Sie anspielen, hat im ersten Wahlgang gut mobilisiert und wohl sein Potenzial ausgeschöpft. In diesem Punkt müssen wir Bürgerlichen und Liberalen noch mehr Gas geben. Vor allem jetzt, da es eine Richtungswahl ist.

Auch, weil Sie nach dem Rückzug von Daniel Hodel mit den Stimmen der Grünliberalen rechnen dürfen?

Camin: Ich gehe davon aus, dass die GLP politisch näher bei der FDP als bei der Alternativen Liste ist. Ausserdem sind auch einige GLP-Vertreter meinem Komitee beigetreten. Aber die Partei selber hat ja bekanntlich Stimmfreigabe beschlossen.

Was hat Sie im Wahlkampf bisher am meisten enttäuscht?

Camin: Dass sich einige Medien weniger für Inhalte als für «Büroklammern»-Probleme interessiert haben.

Zum Beispiel dafür, dass Sie einen Fussweg durch Ihren Weinberg verhindert haben.

Camin: Ich habe den Fussweg nicht verhindert. Als Fussweg hätte der Betriebsweg dienen sollen. Normalerweise sind aber in den Schweizer Weinbergen Betriebs- und Fusswege getrennt, nicht zuletzt auch aus Sicherheitsgründen. Ich habe lediglich aufgezeigt, dass es auch ökologische Varianten gibt. Und gewisse Gemeinde- und Stadträte haben halt meine Vorschläge gut und richtig gefunden.

Und dann noch die Geschichte, dass Sie als einziger der Kandidaten der Öffentlichkeit keine Einsicht in ihre Steuerdaten gewähren.

Camin: Dazu stehe ich nach wie vor. Das ist die Privatsphäre meiner Familie und auch meines Unternehmens. Die will ich aufrechterhalten.

Was glauben Sie, wo drückt die Zürcher heute der Schuh am meisten?

Camin: Dass man die Zukunftsaussichten in dieser globalisierten Welt heute nicht mehr richtig erfassen kann. Das macht vielen Angst.

Wie sehen Sie die Zukunftsaussichten?

Camin: Wir haben es in der Hand und können dafür sorgen, dass die Stadt weiter prosperiert. Wir müssen dem Gewerbe und der Industrie weiterhin gute Rahmenbedingungen geben.

Ganz andere Frage: Wie heisst der Gastkanton am Sechseläuten?

Camin: St. Gallen.

Der Kandidat hat 100 Punkte. Als Secondo sind Sie ja wohl kein Zünftler.

Camin: Nein, aber ich bin Gast von der Stadtzunft. Und ich freue mich jedes Jahr auf das Sechseläuten. Ein schöner und wichtiger Brauch von und für Zürich.

Andy Fischer

 

Richard Wolff von der Alternativen Liste landete im ersten Wahlgang der Stadtratswahlen einen Überraschungscoup. Ein Gespräch über Wahlkampf, Denkverbote und das Sechseläuten.

Tagblatt der Stadt Zürich: Herr Wolff freuen Sie sich aufs Sechseläuten?

Richard Wolff: Mein Sechseläuten ist der 1.-Mai-Umzug. Das ist für mich ein sehr wichtiger Anlass, eine Art Klassentreffen, bei dem ich alle Jahre wieder alte Bekannte und neue Freunde treffe. Das Sechseläuten selbst finde ich nicht sonderlich spannend.

Haben Sie Berührungsängste mit dem Bürgertum?

Wolff: Keineswegs, mein familiärer Hintergrund ist bürgerlich bis grossbürgerlich, ich bewege mich schon von Berufs wegen in unterschiedlichen Kreisen, und als neugieriger, weltoffener Mensch begegne ich grundsätzlich allen Leuten auf Augenhöhe. Ich bin jedoch der Ansicht, Frauen sollten endlich gleichberechtigt am Sechseläuten-Umzug mitlaufen dürfen. Sollte ich je angefragt werden, dann würde ich am liebsten bei den Frauen mitlaufen, falls sie mich einladen. Es kann der Tradition nicht schaden, wenn sie sich ein bisschen an den Zeitgeist anpasst.

Am Wochenende des ersten Wahlgangs kam es zu den Binz-Krawallen. Es bleibt der Eindruck, dass Sie sich nicht von der linken Gewalt distanzieren wollen.

Wolff: Ich lehne Gewalt entschieden ab. Als Wissenschaftler lasse ich es mir aber nicht nehmen, zu lernen und zu verstehen, wie Gewalt entsteht, damit sie verhindert werden kann. Dieses Verstehenwollen im soziologischen Sinne, die Suche nach Motiven von Gewalt, wurde von manchen Medien und Politikern als Sympathie für Gewalttäter dargestellt. Wenn man das Nachdenken jedoch als Zustimmung deutet, dann ist es zum Denkverbot nicht mehr weit.

Sie führen seit fast einem halben Jahr Wahlkampf. Wie sehr hat er Sie verändert?

Wolff: Allenfalls in Bezug auf die Spontaneität meiner Voten. Ich lege Worte vermehrt auf die Goldwaage, um Missverständnisse möglichst zu vermeiden.

Wie beurteilen Sie die Medien­berichterstattung über sich?

Wolff: Zu Beginn bezeichneten mich einige Medien als chancenlosen Aussenseiter, den man nicht ernst zu nehmen braucht, und haben mich so kleingeredet. Nachdem ich beim ersten Wahlgang fast so viele Stimmen holte wie der Favorit, wurden zum Teil Schreckgespenster aufgebaut. Gehauen oder gestochen versuchte man mir etwas anzuhängen. Das ging bis ins Inquisitorische. Im Grossen und Ganzen war die Berichterstattung jedoch fair und der Kontakt zu den Medien spannend, denn sie vermitteln die Fragen der Öffentlichkeit, denen ich mich gerne stelle und die mich anregen, über gewisse Themen vertieft nachzudenken.

Die Medien zeichnen auch ein Bild von Ihnen als alternativer, birkenstocktragender Velofahrer. Sie haben nun Gelegenheit, das Klischee zu korrigieren.

Wolff: Wieso denn? Das ist doch ein positives Bild. Und Birkenstöcke trage ich nur, wenns bequem sein darf. Sicher nicht zum Velofahren.

Isabella Seemann

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