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Interview

«Im Alltag von Direktbetroffenen kann sich Rassismus auf verschiedenste und auch subtile Weisen zeigen, die von nicht betroffenen Menschen möglicherweise nicht realisiert werden.» Stadtpräsidentin Corine Mauch. Einer der «Steine des Anstosses»: Inschrift «Zum Mohrentanz» an der Niederdorfstrasse 29. Bild: Nicolas Zonvi 

"Entfernung der Inschriften ist nur das letzte Mittel"

Von: Sacha Beuth

27. April 2021

Rassismusdebatte: Die Entscheidung des Stadtrats, Inschriften mit dem Begriff «Mohr» an einigen öffentlichen Gebäuden entfernen zu lassen, hat eine Welle der Empörung und des Unverständnisses ausgelöst. Stadtpräsidentin Corine Mauch hält an der Massnahme fest, um zu verhindern, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe durch rassistische Zeichen im öffentlichen Raum verletzt werden.

Die geplante Entfernung der Inschriften mit der Bezeichnung «Mohr» auf Anordnung des Stadtrats in der Altstadt erhitzte und erhitzt immer noch die Gemüter der «Tagblatt»-Leserschaft.  Die Massnahme stösst mehrheitlich auf Unverständnis. Aus diesem Grund nimmt Stadtpräsidentin Corine Mauch noch einmal Stellung und betont die Wichtigkeit der Massnahmen und warum der Stadtrat an diesen festhalten will.

Die überwiegende Mehrheit der Leserbriefschreibenden hält die Entfernung der «Mohrentanz»- und «Mohrenkopf»-Inschriften für falsch, da sie gar nicht rassistisch seien, sondern im Gegenteil die Kultur oder Persönlichkeiten von Menschen mit dunkler Hautfarbe ehren würden. Bauscht die Stadt nicht etwas zu einem Problem auf, das gar kein Problem ist?

Corine Mauch: Es haben sich zahlreiche Direktbetroffene an die Stadt Zürich gewandt, die solche Inschriften als diskriminierend und demütigend empfinden. Für den Stadtrat ist diese heutige Wirkung entscheidend: Er toleriert weder Rassismus noch Diskriminierung. Im öffentlichen Raum sichtbare rassistische Zeichen können aber so wirken und sollen daher kontextualisiert oder entfernt werden. Die anzuwendenden Massnahmen sind in jedem einzelnen Fall sorgfältig zu prüfen.

Viele warnen zudem, mit der Inschriften-Entfernung würde Kulturgut zerstört und Geschichtsfälschung betrieben. Was sagen Sie zu diesen Einwänden?

Diese Inschriften bleiben selbstverständlich Teil der Stadtgeschichte, das ist auch nötig. Es ist dem Stadtrat ein Anliegen, dass sie gut dokumentiert und so für die Nachwelt erhalten bleiben. Wie dies genau umgesetzt wird, ist zurzeit mit Fachpersonen – unter anderem aus Denkmalpflege und Stadtarchiv – in Prüfung.

Einige Inschriften werden mit zusätzlichen Erklär-Tafeln in den richtigen Kontext gesetzt. Warum macht man dies nicht konsequent in allen Fällen?

Es genügt bei gewissen Darstellungen im öffentlichen Raum nicht, sie in einen Kontext zu stellen, um ihre heutige diskriminierende Wirkung auf betroffene Menschen zu brechen. Das unterscheidet den lebendigen öffentlichen Raum von einem Museum. Die Entfernung ist für den Stadtrat aber nur das letzte Mittel. Wo es angemessen ist, sollen Zeichen kontextualisiert und erläutert werden.

Viele Leserbriefschreibende fragen – halb im Spott, halb im Ernst – ob die Massnahmen der Stadt ausreichen, wenn der Begriff «Mohr» derart negativ behaftet ist. Denn eigentlich müsste man dann auch Begriffe wie «Mohrrüben» ächten und Personen mit dem Familiennamen «Mohr» auffordern, eine Namensänderung vorzunehmen.

Ich denke, Spott ist im Zusammenhang mit dem sehr ernsten Thema Rassismus und Diskriminierung nicht der richtige Umgang. Der Entscheid des Stadtrats will, dass auf und in städtischen Gebäuden nicht Bezeichnungen sichtbar geduldet werden, die auf Menschen demütigend wirken. Es geht uns nicht um ein generelles Verbot: Im Gegenteil, jeder Einzelfall soll und wird sorgfältig geprüft werden.

Es gibt noch weitere Begriffe im öffentlichen Raum und Bräuche, die kolonialistischen Ursprungs sind oder rassistisch gedeutet werden können. Was ist mit Kindern, die sich an der Fasnacht oder einem Kostümball als «Indianerhäuptlinge» verkleiden? Oder Personen mit heller Hautfarbe, die mangels Alternative schwarzgeschminkt werden müssten, wenn sie in Theater oder Oper einen Menschen mit dunkler Hautfarbe spielen? Wo wird konkret die Grenze zwischen Erlaubtem und Rassismus gezogen?

Das alles sind Fragen, die diskutiert, argumentiert und ausgehandelt werden müssen. Es gibt keine Patentantwort auf solch komplexe gesellschaftliche Fragestellungen. Die eidgenössische Rassismus-Strafnorm verbietet Aufruf zu Hass und Diskriminierung oder das Verbreiten einer Ideologie, die Menschen oder Gruppen verleumdet oder systematisch herabsetzt. Im Alltag von Direktbetroffenen kann sich Rassismus auf verschiedenste und auch subtile Weisen zeigen, die von nicht betroffenen Menschen möglicherweise nicht realisiert werden. Aber sie sind real. Uns geht es um Empathie, Respekt, Würde. Zentral muss in der Reflexion sein: Wie erfahren Betroffene Rassismus? Die Perspektive Direktbetroffener muss ihren Platz haben.

Hat die Stadt mit derart grossem Widerstand für die Massnahmen gerechnet? Und besteht die Möglichkeit, dass die Entfernung der Inschriften zurückgenommen wird?

Es war uns bewusst, dass das emotionale Themen sind – auf allen Seiten. Die Debatte begrüsse ich. Und ich glaube, dass wir als Gesellschaft in der Lage sind, sie ernsthaft und zeitgemäss zu führen. Noch einmal: Der Stadtrat will verhindern, dass Menschen durch rassistische Zeichen im öffentlichen Raum verletzt werden. Wie im Einzelfall die Umsetzung aussieht und wie Zeichen kontextualisiert und dokumentiert werden, wird zurzeit sorgfältig geprüft.

Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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