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Interview

Liska Bernet (26) hilft im Freiwilligencamp «Better Days for Moria» den Flüchtlingen. Bild: PD

«Flüchtlinge enden in Athen auf der Strasse»

Von: Clarissa Rohrbach

01. März 2016

Die Zürcherin Liska Bernet arbeitet freiwillig in einem Flüchtlingscamp auf der Insel Lesbos. Täglich sieht sie hoffnungsvolle Menschen, die im Flaschenhals Griechenland stecken bleiben.

Frau Bernet, Sie koordinieren  auf Lesbos Freiwillige, die den ankommenden Flüchtlingen trockene Kleider und etwas zu essen geben. Wieso helfen Sie?
Letzten Sommer habe ich meine Masterarbeit über die Flüchtlingskrise geschrieben. Ich studierte in London Entwicklungszusammenarbeit mit Fokus auf humanitäre Nothilfe. Danach ging ich nach Preševo in Serbien, wo die Leute versuchten, entlang der Balkanroute nach Europa zu gelangen. Was ich dort sah, hat mich schockiert: Tausende von Menschen standen tagelang Schlange – bei Minustemperaturen und ohne Essen. Ich fand es unglaublich, dass so etwas bei uns passiert. Das ist nicht mein Bild von Europa. Deswegen musste ich helfen.

Letztes Jahr strandeten über eine halbe Million Menschen auf der Insel. Weil es im offiziellen Camp keinen Platz mehr gab, haben Sie und andere Volunteers «Better Days for Moria» gegründet. Sind die griechischen Behörden überfordert?
So ist es. Griechenland  steht unter enormem Druck. Die EU will die Grenzen schützen und schickt immer mehr Frontex-Leute von der Europäischen Grenzkontrolle. Das bringt aber alles nichts, wenn die Infrastruktur fehlt. Regelungen können das Problem nicht lösen, es kommen trotzdem immer mehr Flüchtlinge.

Braucht es noch mehr Freiwillige?
Hier auf Lesbos sind wir meistens genug. Aber es bräuchte mehr Helfer im jeweiligen Land, wo die Flüchtlinge dann hinziehen. Sie sind auf jahrelange Unterstützung angewiesen, um ein neues Leben aufzubauen. Die Flüchtlinge müssen eine neue Sprache lernen, brauchen Unterkünfte oder benötigen Hilfe, um mit den Behörden zu kommunizieren.

Spätestens seit den Übergriffen in Köln herrscht aber in Europa nicht gerade ein Klima des Willkommens.
Diese Angst vor dem Unbekannten kann ich nachvollziehen. Man muss diese Besorgnis ernst nehmen und Gegenargumente liefern, um bei den Europäern ein Gefühl der Sicherheit zu schaffen. Persönliche Erfahrungen mit Flüchtlingen können helfen, Migration als Chance und Normalität zu verstehen. Ich rede jeden Tag mit den Flüchtlingen, sie sind wie ich und Sie. Europa hat die Verpflichtung, sie aufzunehmen. Nicht zuletzt auch, weil es die Strukturen im Mittleren Osten destabilisiert hat und eine Rolle in den Konflikten spielt.

Die Grenzen nach Norden sind für die Flüchtlinge geschlossen. Spüren Sie das?
Hier nicht. Die meisten bleiben drei Tage und gehen dann mit der Fähre weiter nach Athen. Doch dort kommen sie meistens nicht weiter und enden auf der Strasse. Es macht mich traurig, zu sehen, wie sie auf dem Boot bei der Ankunft vor Erleichterung weinen. Sie denken, dass es jetzt bergauf geht, dabei droht in Athen eine Katastrophe.

Bedeutet Europa das grosse Glück?
Diese Menschen wollen einfach Sicherheit. Einen Job sowie Gesundheitsversorgung und Bildung für ihre Kinder. Die wenigsten glauben, dass ihr Leben in Europa traumhaft wird.

Viele Flüchtlinge kommen unterkühlt und unter Schock an. Was tun Sie, damit es ihnen besser geht?
Wir bieten Essen, Tee, WCs, ein Medical Center und 500 Schlafplätze. Doch das Wichtigste ist das Willkommensgefühl. Am Abend singen und tanzen wir. Dabei bekomme ich immer Geschichten zu hören. Wie diejenige zweier Syrer, die durch einen Abwasserkanal geflüchtet sind, zwei Tage lang in einem Kofferraum eingesperrt waren, danach über die Berge liefen, um dann siebenmal zu probieren, auf ein Boot zu kommen. Ein Freund ist dabei gestorben. Die meisten hier haben jemanden verloren. Und die Frauen erzählen von Vergewaltigungen.

Belastet Sie das nicht?
Ich höre zu, kann aber meistens die Distanz bewahren. Wenn es mir zu viel wird, gehe ich kurz weg. Es hilft niemandem, wenn ich losheule.

Sind die Flüchtlinge Ihnen für Ihre Hilfe dankbar?
Wenige wissen, dass wir freiwillig arbeiten. Viele denken sogar, sie hätten dafür bezahlt. Das erzählen ihnen die Schlepper in der Türkei.

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