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Interview

Ein Wolf auf der Pirsch. Seine Bestände sollen künftig reguliert werden können, bevor grosse Schäden entstehen. Bild: iStock

Freibrief zum Wolf-Abschuss oder Verbesserung des Tierschutzes?

Von: Isabella Seemann

08. September 2020

URNENGANG Soll der Schutz des Wolfes in der Schweiz gelockert werden? Auch über das überarbeitete Jagdgesetz stimmen wir am 27. September ab. Das Parlament hatte im letzten Herbst entschieden, den Schutz von Wolf, Luchs und Co. aufzuweichen. Hunderte gerissene Schafe und Ziegen jedes Jahr, das sei zu viel. Anders sehen es Natur- und Umweltverbände, die daraufhin das Referendum ergriffen. Christian Jaques, Präsident Verein Jagd Zürich, und Andreas Hasler von Pro Natura Zürich, im Pro und Contra.

PRO:

Herr Jaques, was würde sich für die Jäger ändern mit der Gesetzesrevision?

Christian Jaques: Eigentlich wenig, denn geschützte Tierarten bleiben für die Jägerinnen und Jäger auch künftig geschützt. Die Neuerungen wie der jährliche Treffsicherheitsnachweis oder die obligatorische Nachsuche bei verletzten oder verunfallten Tieren sind im Kanton Zürich bereits verankert. Darüber hinaus bringt das neue Jagdgesetz einen Ausbau bezüglich Arten- und Tierschutz. So wurden lebensraumverbessernde Massnahmen wie Wasserschutzgebiete und Wildtierbrücken gesetzlich festgelegt. Gerade Wildtierbrücken und -korridore sind in unserem dichtbesiedelten Kanton für die Wanderbewegungen unseres Wildes wichtig und entlasten die Landwirtschaft und den Forst vor Schäden.

Einzelne Wölfe können heute schon abgeschossen werden, wenn sie Schäden anrichten. Warum reicht das nicht?

Grundsätzlich betrifft die Regulierung des Wolfes die Bergkantone. Im Kanton Zürich ist der Wolf kein Thema. Die betroffenen Kantone kennen die Streifgebiete «ihrer» Wildtiere und können die Wildtierdichte und Tragbarkeit in Bezug auf die Lebensräume kompetent beurteilen. Bei Annahme des Jagdgesetzes können die Kantone nach Anhörung des BAFU zur Verhütung von Schäden oder einer Gefährdung von Menschen Wölfe regulieren, bevor grosse Probleme entstehen. Dabei darf die Wolfspopulation nicht gefährdet werden.

In Zukunft sollen geschützte Tiere zum Abschuss freigegeben werden können, selbst wenn sie keinen Schaden angerichtet haben. Die Gegner reden deshalb vom «Abschussgesetz». Haben sie damit nicht ins Schwarze getroffen?

Das revidierte Jagdgesetz auf ein «Abschussgesetz» zu reduzieren, ist inhaltlich falsch und polemisch. Bedauerlich, denn der neu aufgenommene Ausbau bezüglich Tier- und Artenschutz wird von den Gegnern, die eigentlich dafür sein sollten, auf die Wolfsproblematik reduziert. Das Wildtiermanagement eines jeden Kantons hat zur Aufgabe, für einen ausgewogenen und gesunden Wildtierbestand zu sorgen. Am Beispiel des Rehwildes sorgt die Zürcher Jägerschaft in Zusammenarbeit mit der Jagdverwaltung seit Jahren für einen der Kulturlandschaft angepassten Bestand.

Die Gegner des revidierten Jagdgesetzes sagen, dass den Jägern das Jagen von Rehen, Hirschen und Wildschweinen nicht genüge, sie wollen auch zum Halali auf geschützte Tierarten blasen. Was ist Ihr Kommentar dazu?

Das ist falsch. Die Jägerinnen und Jäger werden auch bei Annahme des Jagdgesetzes keine geschützten Tierarten wie Wolf oder Luchs erlegen können. Es ist im Gesetz festgeschrieben, dass allfällige Abschüsse von Grossraubwild ausschliesslich durch staatlich angestellte Wildhüter und nicht durch Jägerinnen oder Jäger getätigt werden dürfen.

Sehen Jäger den Wolf als Konkurrenz und fürchten, dass er die regionalen Wildbestände dezimiert? Im Klartext: Sollen Wölfe sterben, um hohe Jagdstrecken zu garantieren?

In keiner Weise. Der Wolf ist in erster Linie ein Problem der Landwirtschaft (Schaf- und Ziegenrisse) und kann, wenn er die Scheu verliert, zu einem gesellschaftlichen werden. Bei den hohen Hirschbeständen in den Berggebieten sind Hirschrisse durch den Wolf absolut tragbar. Das Problem ist aber, dass für den Wolf ein Schaf zu reissen wesentlich einfacher ist, als einen wehrhaften Hirsch zu strecken. Also konzentriert es sich in erster Linie auf die leichte Beute.

Bei Städtern haben Jäger ein schlechtes Image. Mit welchem Hauptargument wollen Sie das Stimmvolk für ein Ja gewinnen?

Da muss ich Ihnen widersprechen. Die Jagdabschaffungsinitiative von 2018 wurde mit über 84 % auch in den Städten deutlich verworfen. Die tägliche Arbeit der Zürcher Jägerschaft wird durchaus geschätzt. Das Gesetz ist fortschrittlich, weil es zusätzliche Bestimmungen zur Nachhaltigkeit enthält. Bei der Jagdplanung müssen neu Anliegen des Tierschutzes und der Tiergesundheit berücksichtigt werden. Mit der Einführung der bleifreien Munition wird auch ein altes Anliegen des Naturschutzes im Gesetz aufgenommen.

Wie siegessicher sind Sie, was die Abstimmung angeht?

Da bin ich emotionslos. Ich zähle auf die Kraft sachlicher Argumente. Die Reduktion auf das Thema «Wolf» ist bedauerlich, aber für die Gegner emotional attraktiv. Ich vertraue auf die Vernunft der stimmenden Bevölkerung.

CONTRA:

 

 

Herr Hasler, Sie bezeichnen das vom Schweizer Parlament revidierte Jagdgesetz als «missraten». Weshalb die harsche Kritik an einem gut eidgenössischen Kompromiss?

Andreas Hasler: Das neue Jagdgesetz baut den Artenschutz ab, bringt aber keine konkreten Verbesserungen für die Tiere. So könnten geschützte Tiere in Zukunft auch geschossen werden, wenn sie keinen Schaden verursacht haben. Das ist weit weg von einem guten Kompromiss!

Der Frust der Bergler und Bauern über die Städter sitzt tief. Können Zürcher überhaupt nachvollziehen, zu welchen Konflikten es zwischen Wildtieren, Nutztieren und Menschen kommen kann?

Auch Zürcher kennen solche Konflikte, denken Sie zum ­Beispiel an Wildschweine. Diese Konflikte können mit dem geltenden Jagdgesetz bestens behandelt werden – nicht nur bei jagdbaren, sondern auch bei geschützten Arten wie dem Wolf, der schon heute reguliert werden kann. Das neue Jagdgesetz ist dagegen einseitig auf den Abschuss ausgerichtet, gerade bei bedrohten und geschützten Tierarten.

Ist es für Natur- und Tierschützer denn nicht auch stossend, dass nach dem alten Jagdgesetz zuerst konkrete Risse passiert sein müssen, damit ein Wolf, der seine Scheu verloren hat, erlegt werden kann?

Fragt sich einfach, wann ein Tier seine Scheu verloren haben soll. Da wird der Willkür Tür und Tor geöffnet, die Walliser Regierung will zum Beispiel offiziell einen «Kanton ohne Grossraubtiere». Problemwölfe werden bereits heute geschossen, ja es werden sogar ganze Wolfsfamilien reguliert. Aber neu wie geplant Wölfe auf Vorrat abschiessen, einfach nur, weil sie da sind, das ist echt stossend.

Dass Landwirte ihre Tiere schützen wollen, ist ihr legitimes Interesse. Und damit sich die Schäden und das Leid für die Nutztiere in Grenzen halten, brauche es eine vernünftige Regulierung. Einverstanden?

Der beste Herdenschutz besteht aus Elektrozäunen und Herdenschutzhunden. Neun von zehn Schafen werden heute aus einer Herde gerissen, die nicht geschützt ist. Solange der Herdenschutz nicht flächendeckend umgesetzt ist, wird es immer Wolfsrisse geben. Anstatt nun einen effektiven Herdenschutz finanziell richtig abzugelten und damit zu fördern, setzt die Gesetzesrevision einseitig auf Abschüsse geschützter Tierarten und suggeriert, dass Probleme mit dem Wolf mit der Kugel gelöst werden können. Die Revision erschwert deshalb das Zusammenleben mit dem Wolf eher, anstatt es zu vereinfachen.

Geschützte Tiere wie Biber und Luchs werden mit dem überarbeiteten Jagdgesetz besser geschützt, sagen die Befürworter der Gesetzesrevision. Was spricht aus tierschützerischer Sicht also dagegen?

Das neue Gesetz enthält keine Regelungen zum Schutz von Tieren, die nicht schon im aktuellen Jagd- oder im Tierschutzgesetz enthalten sind. Es bringt daher keinen besseren Tierschutz. Dagegen wird für viele geschützte Tierarten das Leben unsicherer, weil sie leichter abgeschossen werden können – sogar in Wildtierschutzgebieten. Auch deshalb sagen alle Natur- und Tierschutzorganisationen NEIN zum neuen Jagdgesetz.

Der Bundesrat unterstützt die Revision des Jagdgesetzes. Mit welchem Hauptargument wollen Sie das Stimmvolk überzeugen, Nein zu stimmen?

Es ist kein Kompromiss mehr, wie der Bundesrat behauptet. Mit der Revision könnten geschützte Tierarten wie Biber oder Luchs «auf Vorrat» und am Volk vorbeireguliert, also zum Abschuss freigegeben werden. Und bedrohte Tierarten wie Feldhase oder Schneehuhn werden weiterhin gejagt statt geschützt. Nicht zuletzt verhindern Luchs und Wolf den übermässigen Verbiss des Jungwaldes durch Reh und Hirsch. Sie sichern so stabile Schutz- und Bergwälder, was in unser aller Interesse ist.

Wie siegessicher sind Sie, was die Abstimmung angeht?

Die aktuelle Biodiversitätskrise ist den Leuten bewusst. Ausgerechnet jetzt geschützte und bedrohte Tiere vermehrt abzuschiessen, ist die falsche Antwort darauf. Ich bin zuversichtlich, dass die Mehrheit die Polemik um den Wolf durchschaut, das Gesetz ablehnt und so den Weg frei macht für vernünftige Anpassungen am bestehenden Jagdgesetz.

Das neue Jagdgesetz in Kürze

Das Volk entscheidet am 27. Sep­- tember 2020 über eine Änderung des Bundesgesetzes über die Jagd und den Schutz wild lebender Säugetiere und Vögel. Das revidierte Jagdgesetz soll der steigenden Zahl von Wölfen in der Schweiz Rechnung tragen und regeln. Das heutige Gesetz stammt von 1986. Damals gab es in der Schweiz keine Wölfe mehr. Inzwischen sind sie zurückgekehrt. Die Kantone können neu die Wolfsbestände vorausschauend regulieren. Wildhüter dürfen einzelne Wölfe abschiessen, die die Scheu vor dem Menschen verloren haben oder zum Beispiel Schafe gefährden, das heisst, bevor ein Schaden entstanden ist. Darüber entscheidet neu jeder Kanton selber. Gemäss Gesetz sind Eingriffe in den Bestand nur bei Wolfsrudeln und Steinböcken zulässig. Bauern werden stärker in die Pflicht genommen. Sie müssen zum Schutz von Herden Zäune errichten oder Schutzhunde zur Bewachung halten, um eine allfällige Entschädigung für Wolfsrisse zu erhalten. Der Bundesrat kann weitere Arten als regulierbar bezeichnen.

Gegen das neue Jagdgesetz wurde das Referendum ergriffen. Statt den Umgang mit dem Wolf pragmatisch zu regeln, gefährdet das Gesetz den Artenschutz, sagen die Gegner. Wildlebende Tiere geraten noch mehr in Bedrängnis. Viele Bestimmungen sind unnötig. Schon mit dem geltenden Gesetz können die Kantone – wo nötig – Einzeltiere geschützter Arten abschiessen. Es kommt zu einem Wirrwarr des Schutzniveaus bedrohter Tierarten. Je nach Gusto der Kantone können Bestandsregulierungen bewilligt werden.

Bundesrat und Parlament empfehlen das revidierte Jagdgesetz zur Annahme. Von den acht grössten Parteien haben BDP, CVP, FDP und SVP die JA-Parole und EVP, GLP, Grüne und SP die NEIN-Parole herausgegeben.

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