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Interview

An der WM 2006 hat Daniel Gygax (weisses Shirt) im Spiel gegen die Franzosen in der 65. Minute die Chance zum Sieg­treffer für die Schweiz, doch Frankreichs Goalie Fabien Barthez kann in letzter Sekunde klären. Bild: Keystone-Archiv

«Gegen Brasilien zu beginnen, ist ein Riesenvorteil»

Von: Sacha Beuth

12. Juni 2018

FUSSBALL-WM Vor 12 Jahren war Daniel Gygax im Team von Nationaltrainer Köbi Kuhn eine feste Grösse. Der ehemalige Südkurven-Liebling coacht nun die U-16 des FCZ, erinnert sich aber noch gut an die Zeit an der WM 2006. Das aktuelle Schweizer Team sieht er mindestens im Achtelfinal.

Wie war das damals, kurz vor der WM 2006, als Ihnen Köbi Kuhn mitteilte, dass Sie mit nach Deutschland dürfen?

Daniel Gygax: Ich hatte mir im Vorfeld schon gute Chancen für einen Platz im Kader ausgerechnet, da ich einerseits während der Qualifikation immer aufgeboten wurde – sofern ich nicht verletzt war – und andererseits in der Vorbereitung gegen den späteren Weltmeister Italien beim Spiel in Genf ein Tor erzielt hatte. Trotzdem fühlte ich natürlich auch eine gewisse Erleichterung, als ich erfuhr, dass ich definitiv dabei bin.

An der WM selbst kamen Sie dann aber nur zu zwei Teileinsätzen. Was überwiegt in Nachhinein: Die Enttäuschung, dass es nicht mehr waren, oder die Freude, überhaupt gespielt zu haben?

Hätte man mir als kleinem Jungen gesagt, dass ich dereinst zu Teileinsätzen an einer WM komme, wäre ich damit mehr als zufrieden gewesen. Im Nachhinein schwingt aber wegen der Umstände auch etwas Enttäuschung mit. Welchen Verlauf hätte das Turnier genommen, wenn ich gegen Frankreich als Einwechselspieler nicht den Siegtreffer verpasst hätte und gegen Togo nach rund 30 Minuten wegen eines Bauchmuskelrisses nicht hätte ausgewechselt werden müssen? Wie auch immer: Wenn ich daran denke, was in Dortmund beim Spiel gegen Togo vor 60 000 zumeist Schweizer Zuschauern für eine Atmosphäre herrschte und dass wir vor Frankreich Gruppensieger wurden, überwiegt klar das Positive.

Im Achtelfinal scheiterte die Schweiz dann im Penaltyschiessen an der Ukraine. Alle drei Schweizer Schützen verschossen ihre Elfer. Scheiterte man nur an den Nerven, oder hätte man auch taktisch anders agieren müssen?

Hinterher ist man bekanntlich immer klüger. Vielleicht hätten wir offensiver spielen sollen. Vielleicht hätten andere Penaltyschützen antreten sollen. Schlussendlich war es eine Frage der besseren Nerven.

Wechseln wir in die Gegenwart. Hat Trainer Vladimir Petkovic die richtigen Spieler mitgenommen?

Das Kader birgt zumindest keine Überraschungen. Petkovic vertraut mehrheitlich auf diejenigen, die auch während der Qualifikation gespielt haben. Ich hätte wohl nicht gross anders entschieden. Schade ist nur, dass Admir Mehmedi verletzungsbedingt ausgefallen ist. Einen derart vielseitigen Spieler kannst du immer gebrauchen.

Wie schätzen Sie Brasilien, Costa Rica und Serbien, die Gruppengegner der Schweiz, ein?

Der stärkste Gegner ist natürlich Brasilien. Wenn uns gegen die eine Überraschung gelingen soll, muss alles stimmen. Läuft alles normal, werden sie Gruppensieger. Serbien hat viele gute Einzelspieler, aber ob sie als Team funktionieren, muss sich noch zeigen. Costa Rica wird meiner Meinung nach von vielen zu Unrecht als schwächster Gruppengegner eingeschätzt. Doch auf die muss man aufpassen, die sind richtig gut.

Die Schweiz bestreitet gleich ihr erstes Spiel gegen Mitfavorit Brasilien. Eher ein Vor- oder eher ein Nachteil?

Es ist ein Riesenvorteil. Die Schweiz steht nicht unter Siegzwang, kann also befreit aufspielen. Und die Erfahrung zeigt, dass bei den Favoriten beim Startspiel meist noch nicht alles rund läuft.

Nach den ersten zwei Spielen hat sich meist eine Stammelf gebildet. Was empfehlen Sie den Reservisten, damit sie am besten mit ihrer Rolle klarkommen?

Nicht den Kopf hängen lassen, sondern im Training den Konkurrenzkampf aufnehmen, zugleich aber auch nicht querzuschlagen. Hier ist vor allem der Trainer gefragt. Er muss jedem Spieler das Gefühl geben, dass er wichtig für das Team ist. Ausserdem müssen sich alle Spieler, egal ob sie nun zum Einsatz kommen oder nicht, private Oasen schaffen, wo sie sich zurückziehen und abschalten können. Ansonsten besteht die Gefahr des Lagerkollers.

Wie weit schafft es die Schweiz an dieser WM, bzw. was ist aus Ihrer Sicht das Minimalziel?

Wenn man sich die Qualifikation, vor allem aber die Qualität des Teams anschaut, dann muss mindestens der Achtelfinal drin liegen. Dann kommt es darauf an, auf wen man dort trifft und wie gut der Teamgeist ist. Was Letzterer bewegen kann, hat ja die Eishockeynati mit dem Gewinn von WM-Silber gezeigt.

Wer sind neben Brasilien die Favoriten auf den WM-Titel und warum?

Die Deutschen, weil sie nicht nur mental, sondern auch spielerisch stark sind. Die Franzosen, weil sie gerade in der Offensive mit Griezmann, Mbappé, Giroud und Dembélé hervorragend besetzt und im Umschaltspiel extrem gut sind. Die Argentinier, weil es für Messi wohl die letzte Chance ist, Weltmeister zu werden. Und die Engländer, weil um Superstürmer Harry Kane ein talentiertes Team gewachsen ist.

Und wem drücken Sie die Daumen, falls die Schweiz ausscheiden sollte?

Das wird schwer. Meine Frau ist halbe Italienerin, aber die sind bekanntlich nicht dabei. Und ich bin zu einem Viertel Österreicher, aber auch das Austria-Team fehlt in Russland. Ich werde mir dann wohl irgendeinen Aussenseiter aussuchen.

Wo werden Sie die WM verfolgen?

Zu Hause mit Familie und Freunden am TV. Vielleicht werde ich für die eine oder andere Partie auch zu einem Public Viewing gehen.

Zur Person

Daniel Gygax kam am 28. August 1981 in Zürich zur Welt. Nach seiner Juniorenzeit beim FC Baden wechselte er 1998 zum FC Zürich, ehe er 2001 an Winterthur und anschliessend an den FC Aarau ausgeliehen wurde. 2002 kehrte Gygax zu den Zürchern zurück und erzielte in 97 Partien nicht nur 16 Tore, sondern durfte 2005 auch den Gewinn des Schweizer Cups feiern. Danach wechselte er ins Ausland und spielte erst für Lille, von wo aus ihn sein Weg über Metz, Nürnberg, Luzern, Aarau, Le Mont 2016 nach Zug führte. Dort beendete er ein Jahr später seine Karriere als Aktiver. Von 2004 bis 2008 spielte Gygax insgesamt 35-mal für die Schweiz und erzielte 5 Tore. 2017 übernahm er die U-14 des FCZ. Seit März diesen Jahres ist er bei den Zürchern verantwortlich für die U-16.

Fussball-WM im «Tagblatt»

Die 21. Endrunde der Fussball-WM wird vom 14. Juni bis zum 15. Juli 2018 in Russland ausgetragen. Das «Tagblatt» nutzt die Gelegenheit für eine dreiteilige Vorschau, die Zürcher Aspekte mit dem Thema Weltmeisterschaft und Russland verbindet. Am 30. 5. erschien dazu ein Interview mit SRF-Reporter Manuel Köng, am 6. 6. ein Beitrag zu «Russland 2018 in Zürich» sowie ein Artikel zu den Partien in Zürich während der WM 1954. Den Abschluss macht nun nebenstehendes Interview mit dem ehemaligen WM-Teilnehmer und FCZ-Idol Daniel Gygax.

WM-Splitter rund um die Schweizer Fussballnationalmannschaft

Schweizer Kader: Tor: Roman Bürki (Dortmund/28), Yann Sommer (Gladbach/30), Yvon Mvogo (Leipzig/24). Verteidigung: Manuel Akanji (Dortmund/23), Johan Djourou (Antalyaspor/31), Nico Elvedi (Gladbach/22), Michael Lang (Basel/27), Stephan Lichtsteiner (Juve/34), Jacques-Francois Moubandje (Toulouse/28), Ricardo Rodriguez (Milan/26), Fabian Schär (La Coruna/27). Mittelfeld: Valon Behrami (Udinese/33), Blerim Dzemaili (Bologna/32), Gelson Fernandes (Frankfurt/32), Remo Freuler (Bergamo/26), Xherdan Shaqiri (Stoke/27), Granit Xhaka (Arsenal/26), Denis Zakaria (Gladbach/22), Steven Zuber (Hoffenheim/27). Angriff: Josip Drmic (Gladbach/26), Breel Embolo (Schalke/21), Mario Gavranovic (Zagreb/29), Haris Seferovic (Benfica/26). Trainer: Vladimir Petkovic (Chefcoach/55), Antonio Manicone (Assistent/52), Patrick Foletti (Goalietrainer/44), Oliver Riedwyl (Konditionstrainer/43).

 

Unterkunft: Die 55-köpfige Delegation des Schweizer Nationalteams wird während der WM im Viersternhotel Toljatti Resort in Toljatti (ca. 1000 km südöstlich von Moskau) logieren. Zum Komplex, der direkt an einem Sandstrand der Wolga liegt, gehören eine Schwimmhalle, ein Fitnessstudio, eine Turnhalle und fünf finnische Saunen. Der Kurumoch Airport von Samara liegt ungefähr 45 Busminuten vom Teamhotel entfernt. Von Samara aus fliegt die Nati zu ihren drei Gruppenspielen.

«Schweizer» Gruppe: Die Schweiz wurde der Gruppe E mit Brasilien, Serbien und Costa Rica zugelost. Das Petkovic-Team trifft erst am Sonntag, 17. Juni (Spielbeginn Ortszeit 21 Uhr, MEZ 20 Uhr), in Rostow am Don auf Brasilien, dann am Freitag, 22. Juni (Spielbeginn Ortszeit 20 Uhr, MEZ 20 Uhr), in Kaliningrad auf Serbien und schliesslich am Mittwoch, 27. Juni, in Nischni Nowgorod (Spielbeginn Ortszeit 21 Uhr, MEZ 20 Uhr) auf Costa Rica. Die beiden bestplatzierten Teams qualifizieren sich für die Achtelfinals (mögliche Gegner dort Deutschland, Mexiko, Schweden oder Südkorea).

Die Gruppengegner im Überblick: Stärkster Gegner und Top­favorit auf den Titel ist der 5-fache Weltmeister Brasilien mit Starstürmer Neymar von Paris Saint-Germain. Serbien als eigen­ständiger Staat nimmt zwar erst zum zweiten Mal an einer WM-Endrunde teil, doch das Kader ist gespickt mit Spielern aus europäischen Top­ligen. Beim 4-maligen WM-Teilnehmer Costa Rica sticht vor allem Goalie Keylor Navas (Real Madrid) heraus.

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