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Interview

Gehört Zürich ins Museum?

26. Mai 2015

Die Dauerausstellung "Zürich im Landesmuseum" soll die Kulturgeschichte der Stadt darstellen. Am 14. Juni stimmen wir über den Objektkredit von 1,76 Millionen Franken ab. Ein Pro und ein Contra.

PRO: Christina Hug (Grüne)

Christina Hug, welches Ereignis der Stadtzürcher Geschichte darf auf keinen Fall fehlen in einer Dauerausstellung?


Christina Hug: Die Reformation hat Zürich quasi auf die Weltkarte gebracht und die Stadt für Jahrhunderte geprägt. Später haben Migration und Jugendunruhen mitgeholfen, den strengen Geist der Reformation aufzubrechen, sodass Zürich zu einer offenen und überaus lebenswerten Stadt geworden ist. Diese Themen gehören unbedingt in eine Ausstellung über Zürich.


«Zürich im Landesmuseum» soll auch identitätsstiftend sein. Welchen Beitrag würde die Ausstellung an eine Zürcher Identität liefern?

Heute muss man sich Informationen und Exponate zur Stadt Zürich quasi häppchenweise im Stadtarchiv, im Karlsturm des Grossmünsters oder auch im Landesmuseum zusammensuchen. Das hat zwar durchaus seinen Reiz, ist aber nicht dasselbe, wie wenn man sich an einem zentralen Ort über Geschichte, Kultur und Bevölkerung der Stadt informieren kann.  


In der Stadt gibt es bereits Orts- und Quartiermuseen. Welchen Sinn hätten sie bei einer Annahme überhaupt noch?
Die Zürcher Stadtquartiere waren früher selbständige Ortschaften oder gar Kleinstädte mit ihrer je eigenen Geschichte. Diese darzustellen ist ebenfalls eine wichtige Aufgabe, die sich aber an ein anderes, lokaleres Publikum richtet.
Die Gegner sprechen von einem reinen «Selbstdarstellungs-Museum».

Standortförderung sei überdies nicht Aufgabe der Stadt, sondern von Privaten. Was entgegnen Sie diesen Argumenten?
Was soll falsch daran sein, dass Zürich seine spannende(n) Geschichte(n) erzählen will? Ich bin mir sicher: Das Angebot wird vor allem von den Zürcherinnen und Zürchern mit Begeisterung aufgenommen werden. Und wenn auch noch die Tourismusindustrie davon profitiert, kann das schliesslich auch nicht schaden.


Aarau liess sich sein neues Stadtmuseum 13,9 Millionen Franken kosten. Zürich investiert in sein «Stadtmuseum» 1,76 Millionen Franken. Wird da an der Limmat nicht etwas tief gestapelt?
Das ist ja gerade ein weiteres sehr gutes Argument für die Vorlage: Durch die Aufteilung der Kosten zwischen Bund, Kanton und Stadt und durch die Synergien, welche mit dem Landesmuseum entstehen, kommt Zürich auf unglaublich günstige Weise zum lange erwünschten Stadtmuseum.

JAN STROBEL

 

CONTRA: Samuel Dubno (GLP)

Samuel Dubno, Sie nennen das Zürich-Museum  eine «begehbare App». Was meinen Sie damit?


Samuel Dubno: In einem Museum möchte ich Exponate anschauen. Auch das International Council of Museums legt fest, dass an einer Ausstellung materielle Zeugnisse des Menschen und seiner Umgebung gezeigt werden sollten. Leider hat vielerorts der Anteil an Erklärungen Überhand genommen. Das ZIL führt diese Entwicklung ad absurdum: Dort gäbe es nur noch multimediale Installationen. Ich sehe nicht ein, wieso es einen Raum mit Öffnungszeiten für digitale Inhalte braucht. Das ist schlicht nicht zeitgemäss.


Die Befürworter meinen, in der Stadt fehle ein Ort, an dem Zürich sich selbst erzählt. Was haben Sie gegen einen Wegweiser für die Stadt?
Ein Wegweiser für die Stadt ist keine Kultur, sondern Standortmarketing. Das Geld sollte besser ins kulturelle Schaffen fliessen anstatt in die Kulturvermittlung. Davon profitieren nämlich keine Künstler, sondern hauptsächlich Berater. Ausserdem können sich Leute, die unsere Stadt besuchen, heutzutage selber schlaumachen. Alle Sehenswürdigkeiten sind
auf Tripadvisor oder ähnlichen Plattformen aufgelistet, erklärt und bewertet.


Sie halten die 1,76 Millionen Franken für eine unnötige Ausgabe. Im Vergleich zum gesamten Kulturbudget ist dieser Betrag allerdings sehr klein.
Zürichs Finanzlage ist angespannt. Während der Budgetdebatten gab es einen Konsens von links bis rechts: Die Stadt muss das Wünschenswerte vom Nötigen trennen. Dieses Projekt ist nun wirklich ein unnötiges Wohlfühlding. Wir sparen bei Schulen und Krippen, sollten aber hier Geld ausgeben für etwas, das wir nicht brauchen. Zürich muss nicht immer alles haben.


Das ZIL regt die Leute nicht so auf wie der Hafenkran. Wie wollen Sie die Bürger überzeugen, Nein abzustimmen?
Es ist tatsächlich ein schwieriger Kampf. Wir haben nicht viele Mittel für eine grosse Kampagne, und an diesem Sonntag bewegen andere Themen die Stimmbürger. Doch ich hoffe, die Leute sehen die Unnötigkeit dieser Ausgabe ein. Die Tatsache, dass so unterschiedliche Parteien wie die AL, die GLP und die SVP dagegen sind, bringt die Menschen hoffentlich zum Nachdenken und zu einem Nein.


Zürcher unterstützen bekanntlich gern die Kultur. Wieso sollten sie es diesmal nicht tun?
Weil das nichts mit Kultur zu tun hat. Ich befürworte die Kultur auch. Doch wer sich wirklich dafür einsetzt, muss hier Nein sagen. Künstler finden in Zürich kaum Ateliers, Filmemacher beklagen sich über knappe Mittel, bestehende Institutionen müssen Kürzungen hinnehmen. Und da sollte die Stadt das ZIL unterstützen, eine digitale Tourismusbroschüre? Nein. 

CLARISSA ROHRBACH

 

 

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