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Interview

Der höchste Berge der Welt: Heute nicht mehr nur erfahrenen Alpinisten vorbehalten. Bild: Robert Bösch

«Geht doch besser zum Golf als auf den Everest»

Von: Clarissa Rohrbach

28. Mai 2013

Heute vor 60 Jahren erreichten Edmund Hillary und Tenzing Norgay als Erste den Gipfel des Everest. Seither hat sich auf dem höchsten Berg der Welt vieles verändert. ­Robert Bösch (59), Bergsteiger und Fotograf, war schon zweimal am Achttausender und erklärt, wieso es ­heute keine Leistung mehr ist, ihn zu besteigen.

Tagblatt der Stadt Zürich: Robert Bösch, Sie waren 1990 das erste Mal auf dem Everest, haben es aber nicht bis zur ­Spitze geschafft. Was ist passiert?

Robert Bösch: Wir wollten ohne Hochträger und ohne Sauerstoff über den sehr schwierigen Westgrat. Zuvor hatten wir wochenlang die schwierigsten Passagen mit einem Fixseil gesichert. Doch beim Gipfelversuch lag einfach zu viel Neuschnee. Tage später versuchten wir es noch über die Normalroute. Als wir am Gipfeltag bereits um Mitternacht auf etwa 8300 Metern unsere Füsse nicht mehr spürten, mussten wir einsehen: Es geht nicht. Zu viele Stunden wären vergangen, bis uns die Sonne wieder hätte aufwärmen können. Ohne Sauerstoff ist die Erfrierungsgefahr noch viel grösser.

War das frustrierend?

Bösch: Als Bergsteiger muss man eigenverantwortlich handeln und sich fragen: «Wie weit gehe ich?» Doch schliesslich muss man auf die Vernunft hören, sonst ist man schnell tot. Gesund zurückzukehren, kommt vor dem Gipfel. Aber es war schon eine grosse Enttäuschung.

2001 standen Sie dann schliesslich mit Evelyne Binsack auf 8848 Metern, dem höchsten Punkt der Erde. Wie fühlte sich das an?

Bösch: Ich hatte den Auftrag, den Aufstieg von Evelyne Binsack für das Schweizer Fernsehen zu filmen und für die «Schweizer Illustrierte» zu fotografieren. Evelyne wollte auf jeden Fall nur mit künstlichem Sauerstoff aufsteigen. Die Lager und die Sauerstoffflaschen wurden von den Sherpas hochgetragen. Die ganze Besteigung zu filmen und gleichzeitig zu fotografieren, war schon harte Arbeit, doch aus alpinistischer Sicht bin ich nicht besonders stolz über diese Leistung, mich hätte nur eine Besteigung ohne Sauerstoff interessiert. Aber das war mit diesem Auftrag nicht möglich. Auf dem Gipfel war ich froh, oben zu sein, aber von Euphorie konnte nicht die Rede sein, denn es wartete noch ein langer Abstieg.

Vor 60 Jahren war der Everest noch Neuland. Wie hat sich die Besteigungsgeschichte entwickelt?

Bösch: Früher war der Everest eine grosse Herausforderung. Schon die Anreise, per Schiff nach Indien und dann der wochenlange Anmarsch. Dann kamen all die problematischen Faktoren dazu: die Höhe des Berges, schlechte Sauerstoffgeräte, unbekannte Zugänge, das kurze Zeitfenster von April bis Mai, bevor der Monsun kommt, und logistische Probleme. Bereits in den 20er-Jahren waren Engländer auf 8600 Meter gekommen, 1953 gelang dann die Erstbesteigung. Die Zweiten waren übrigens Schweizer. Damals war die Route nur sehr guten Alpinisten vorbehalten, die an vorderster Front die Strecke sicherten. Als man dann mehr Erfahrungen mit 8000er-Bergen sammelte, trauten sich Bergsteiger an anspruchsvollere Routen. So wurde 1963 der schwierige Westgrat am Everest begangen, und 1978 erreichten schliesslich Reinhold Messner und Peter Habeler als Erste den Gipfel ohne Sauerstoff. Damit setzten sie einen neuen Massstab.

Wie fühlt sich das an, ohne Sauerstoff auf 8000 Metern zu sein?

Bösch: Alles ist mühsam, jeder Schritt eine Qual, und das Hirn funktioniert ganz anders. Man muss gut trainiert sein. Nur etwa zwei Prozent gehen heute ohne Sauerstoff – Mount Everest mit oder ohne künstlichen Sauerstoff, das sind zwei völlig verschiedene Berge.

Der Everest hat also nichts mehr mit ­Pioniergeist zu tun.

Bösch: Nein. Es ist vielmehr ein guter Tipp, um mit relativ wenig Aufwand viel Ruhm zu erlangen. Der überwiegende Teil der heutigen Besteiger hat zu wenig alpinistische Ausbildung, einige haben noch nie ein Steigeisen getragen und wissen kaum, wie sie sich anseilen sollen. Sie schaffen es trotzdem, weil die Sherpas vom Basislager bis zum Gipfel alles bereitgestellt haben: Fixseile, Zelte, Schlafsäcke, Essen, Sauerstoff. Auch der Zeitplan ist gegeben, Entscheidungen fallen weg. Die Besucher fühlen sich wie auf einem organisierten Abenteuerchen und merken gar nicht, wie nahe sie eigentlich dem Tod sind.

Wer kann denn heute den Everest be­steigen?

Bösch: Wichtigste Voraussetzung ist, zwischen 40 000 und 80 000 Franken ­lockermachen und zwei bis drei Monate Ferien nehmen zu können.

Ist die kommerzielle Ausbeutung des Berges auch der Grund, wieso Ihr ­Kollege Ueli Steck vor einigen Wochen attackiert wurde?

Bösch: Eine einfache, gradlinige Er­klärung für diese Ereignisse gibt es nicht. Offensichtlich sind gute Alpinisten, die ohne Hochträger unterwegs sind, auch ein Affront für die Sherpas. Vielleicht hat auch Persönliches mitgespielt. Die ­Situation auf dem Berg war schon lange ­angespannt, jetzt ist das Pulverfass ­explodiert. Trotzdem hat mich die ­Gewaltbereitschaft der Sherpas schockiert. Sie machen zwar ein gutes Geschäft, aber stehen unter grossem Druck, denn die Organisatoren der Touren ­müssen Erfolge nachweisen. Die Sherpas leisten härteste Arbeit am Berg. Sie präparieren den gesamten Aufstieg mit kilometerlanger Fixseilstrecke vom Basis­lager bis zum Gipfel. Sie bringen Leute den Berg hoch, die dazu nicht fit genug sind, und müssen viele von denen wieder unter grösstem eigenem Risiko vom Berg runterbringen. Und schliesslich ernten die Touristen die Lorbeeren, schreiben Bücher darüber, wie sie den Everest «dank ihrem eisernen Willen» bestiegen haben.

Würden Sie noch mal auf den Everest?

Bösch: Wenn Everest, dann nur ohne Sauerstoff, aber dafür bin ich jetzt zu alt. Vor ein paar Jahren wäre ich gerne nochmals zurückgegangen, aber schon damals war mir der ganze Rummel zu viel. Und heute ist es unfassbar, was sich an den Gipfeltagen dort abspielt. Es würde mich nicht erstaunen, wenn sich einmal eine wirklich grosse Katastrophe dort oben ereignet. Der überwiegende Teil der Bergtouristen hat die alpinistischen Fähigkeiten nicht für einen solchen Berg. Man möchte ihnen raten, «geht doch besser zum Golfspielen».

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