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Interview

"Gott sei Dank wurde bis jetzt noch niemand im Dienst angesteckt"

Von: Andy Fischer

02. April 2013

Der Respekt gegenüber der Polizei schwindet, die Gewalt gegen die Ordnungshüter nimmt massiv zu. Während im Jahr 2000 schweizweit noch rund 800 Fälle von Gewalt und Drohung gegen Beamte registriert wurden, waren es 2011 bereits über 2500. Im vergangenen Jahr wurden gegen 50 Stadtpolizisten im Dienst verletzt. D. S. (45) ist Zugführer im unfriedlichen Ordnungsdienst und arbeitet seit 20 Jahren bei der Stapo. Er spricht über Randale, Respektlosigkeit und Risiken im Polizeialltag.

«Tagblatt der Stadt Zürich»: D. S., wir durften Sie nur von hinten fotografieren, und mit Ihrem Namen wollten Sie nicht im «Tagblatt» vorkommen. Warum diese grosse Vorsicht?

D. S.: Weil doch eine gewisse Gefahr besteht, dass einzelne Personen ihren Frust gegenüber der Polizei an mir auslassen, und gerade als Familienvater will ich natürlich vermeiden, dass meine berufliche Situation ins Privatleben überschwappt.

Ist das denn schon passiert?

S: Es gab schon Sachbeschädi­gun­gen an meinem Haus. Obs Zufall war oder aufgrund meines Berufes geschah, weiss ich allerdings nicht.

Wie spüren Sie die zunehmende Gewalt gegenüber der Polizei in Ihrem Alltag?

S.: Es ist definitiv nicht mehr so, wie es 1993 war. Zeit für den sogenannten Freund und Helfer bleibt heute nur noch wenig. In den Ausgeh­zonen ist man vor allem damit beschäftigt, Konfliktsituationen zu entschärfen. Pöbeleien gegenüber uns Polizisten gehören inzwischen zum Alltag.

Was ist aus Ihrer Sicht der Grund für die zunehmende Respektslosigkeit?

S.: Erklären kann ich das nicht. Aber früher waren der Dorfpfarrer, der Polizist und auch der Lehrer noch Respektspersonen. Fragen sie heute eine jüngere Person, ob das der Dorfpfarrer für sie noch ist. Das ist er einfach nicht mehr – und bei uns ist das auch so. Wir müssen uns neben der massiven Gewalt auch immer wieder Beleidigungen gefallen lassen.

Erzählen Sie doch mal von einem besonders harten Einsatz.

S.: Bei einer unbewilligten Party beim Bellevue im September 2011. Wir wollten mit einigen Patrouillen die Situation einschätzen – was da aber dann für eine Gewalt gegen uns entstanden ist, einfach weil wir Polizisten sind, das hat mich extrem schockiert. Wir wurden eingedeckt mit allem Möglichen, was fliegt. Es gab verletzte Polizisten. Ich war erstaunt, wie extrem diese Gewalt war. Auch gegenüber der Sanität und der Feuerwehr. Es gibt immer mehr Leute in der Stadt, die sofort aggressiv werden, wenn sie jemanden in Uniform sehen und dann denken, dass dieser Typ eine Abreibung verdient.

Hat man vor solchen Einsätzen Angst?

S.: Nein. Man ist einfach total konzentriert, um sich und die Kollegen zu schützen. Da ist keine Zeit für Angst.

Gibts eine besonders schwierige Kundschaft?

S.: Das Hauptproblem ist der Alkohol. Es gibt so viele Leute, die im Ausgang mit einer Flasche starken Alkohols unterwegs sind. Und das setzt natürlich die Hemmschwelle herunter. Man kann nicht sagen, es ist diese oder diese Personengruppe – es ist der Alkohol, und es sind die Drogen.

Während Einsätzen werden Polizisten oft bespuckt oder gekratzt. Da hätte ich Angst vor ansteckenden Krankheiten wie HIV oder Hepatitis.

S.: Und gebissen wird man manchmal auch. Wenn das in der Betäubungsmittelszene vorkommt, ist es besonders belastend. Gerade wenn man weiss, dass der Täter Träger einer gefährlichen Krankheit ist. Dann heissts zuerst mal drei Monate Prophylaxe. Und erst dann macht ja so ein Test Sinn, weil erst nach dieser Zeit eine Infektion bestätigt oder ausgeschlossen werden kann. Für den Betroffenen ist diese Zeit extrem belastend. Gott sei Dank wurde bis jetzt noch niemand im Dienst angesteckt.

Was kann man Ihrer Meinung nach gegen die zunehmende Gewalt unternehmen?

S.: Die 24-Stunden-Gesellschaft hat bestimmt einen grossen Teil dazu beigetragen. Früher musste man um 0.30 Uhr das Lokal verlassen, um den letzten Zug nicht zu verpassen – heute ist das nicht mehr so. Alles ist viel länger offen. Was dagegen tun? Ein Aspekt wären mehr Polizisten. Aber das ist eine politische Frage.

Nach all dem, was Sie da jetzt erzählt haben, drängt sich die Frage auf: Was bereitet Ihnen noch Freude an diesem Job?

S.: Es gibt nach wie vor viel Gutes und Schönes im Polizeiberuf. Und ich will meinen Teil dazu beitragen, dass Zürich eine lebenswerte Stadt bleibt. Wäre ich frustriert, müsste ich kündigen. So weit ist es aber nicht.

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