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Interview

Adrian Notz führt seit 2012 das Cabaret Voltaire, die Geburtsstätte des Dadaismus. Bild: PD

Happy Dada-Day!

Von: Clarissa Rohrbach

02. Februar 2016

Dieses Jahr feiert Dada sein 100-Jahr-Jubiläum. Begonnen hatte alles im Cabaret Voltaire in Zürich. Direktor Adrian Notz erzählt von der Antikunst, die nie erwachsen wurde.

Am 5. Februar 1916 wurde Dada geboren. Hugo Ball und Emmy Hennings traten zum ersten Mal im Cabaret Voltaire auf. Wie muss man sich diese Show vorstellen?
Adrian Notz: Im Niederdorf herrschte damals eine fast zirkushafte Atmosphäre. Es war voller Cabarets, die Leute wollten Würste, Bier und Sex. Die Dadaisten bezeichneten ihr Lokal zwar als «Künstlerkneipe», aber sie missbrauchten den Spass, um unangenehme Kommentare über das Zeitgeschehen abzugeben. Hennings änderte etwa das Trinklied «So leben wir alle Tage» in «So sterben wir alle Tage» um, eine Anspielung auf den Ersten Weltkrieg. Das Publikum fühlte sich dabei auf seinen Stühlen nicht mehr wohl.


Die Dadaisten bezogen das Publikum stark ein, manchmal beschimpften sie es sogar. Sie rülpsten und miauten auf der Bühne, die Zuschauer lachten, schrien und schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Wieso war ihnen Provokation so wichtig?
Es ging darum, die Leute wachzurütteln. Die Dadaisten protestierten gegen eine von Rationalität getriebene Gesellschaft. Sie wollten Hierarchien auflösen und erklärten die Vernunft zum Erzfeind. Der Erste Weltkrieg war für sie die Ausgeburt dieses Wahns.  

Auch heute leben wir in einer Zeit der Umbrüche, sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen 1916 und 2016?
Die globale Situation ist vergleichbar. Auch heute herrscht vielerorts Krieg. Und wir sind noch stärker vom Wirtschaftsfatalismus dominiert. Geld und Wissenschaft bestimmen über die Welt, der Mensch wird an Zahlen gemessen. Die Dadaisten kämpften gegen den auf Leistung getrimmten Menschen. Da war eine Sehnsucht nach dem Unerklärlichen, dem Magischen in unserer ­Seele. Magie war für die Dadaisten «die letzte Zuflucht der individuellen Selbstbehauptung». Habe ich Sie jetzt schon zu Dada bekehrt?


Sind Sie denn ein Dada-Gläubiger?
Ich denke, ja. Bei Dada geht es um eine ­gewisse Haltung, die Gegensätze vereint. Wie ­Walter Mehring sagte: «ich bin nicht links, ich bin nicht rechts, ich bin vertikal.» Aus dem Sowohl-als-auch entsteht etwas Neues.


Führt das nicht zur totalen Beliebigkeit?
Klar, die Gefahr des «anything goes» – alles ist erlaubt – besteht. Jeder Dadaist machte etwas anderes, sie wussten eigentlich gar nicht, was Dada war. Aber die Haltung hatten sie gemeinsam. Es war die Haltung eines Dandys, wie Hugo Ball im Eröffnungsmanifest schrieb: «Mit edlem Gestus, mit feinem Anstand bis zum Irrsinn, bis zur Bewusstlosigkeit». Oder wie es Lady Gaga sagen würde: «Discover your inner freak» – entdecke deinen inneren Freak.


Bereits 1920 wurde Dada für tot erklärt. Wieso fasziniert ein so kurzer Hype heute noch?
Dada ist ein einfaches Wort – ein Kinderlaut – das die Leute schnell annehmen. Da Dada sich aber auch immer dem Verständnis und der Kontrolle entzieht, hat es etwas grundsätzlich sehr Menschliches. Es ist o. k., etwas nicht zu verstehen. Dada ist spielerisch und pubertär, die meisten erfahren in den Jugendjahren davon. Und als Erwachsener hängt man halt gerne seinen pubertären Träume nach. Ich höre zum Beispiel immer noch Hip-Hop.


Obwohl sich Dada als Antikunst definierte, war sie die erste revolutionäre künstlerische Bewegung der Moderne. Welche Rolle spielte Dada in der Kunstgeschichte?
Dada wollte mit der herkömmlichen Kunst brechen und auch kein Ismus sein, keine einheitliche Ideologie. Es war eine vom Zufall bestimmte abstrakte Kunst, die sich Formen wie die Collage, das Lautgedicht, die Performance oder das Readymade zu eigen machte. Später entwickelten sich daraus der Surrealismus, die Beat-Generation oder der Punk.


Wieso entstand die Bewegung ausgerechnet in Zürich?
Die Schweiz mit ihrem Prinzip der Neutralität war laut Hugo Ball ein «Vogelkäfig, umgeben von brüllenden Löwen». Intellektuelle aus ganz Europa flüchteten vor dem Krieg oder aus wirtschaftlichen Gründen nach Zürich. Damals gab es mehr Deutsche hier als heute. Die Stadt war ein dicht besiedelter, offener, ­internationaler Ort, wo diese krea­tiven Köpfe aufeinandertrafen. So quasi ein extrem konzentrierter ­Humus, der Dada ermöglichte.


Dada wird in diesem Jubiläumsjahr von all den etablierten Institutionen gefeiert. Dada gehört heuer zum guten Ton. Geht das nicht gegen die Philosophie der Gründer?
Im Gegenteil. Hugo Ball hoffte einst, dass Dada ganz Zürich erfassen würde. Vielleicht schaffen wir es dieses Jahr tatsächlich. Und trotz ihrer antibürgerlichen Einstellungen traten die Dadaisten auch im Zunfthaus zur Waag vor dem Herr Jelmoli auf. Wir werden dieses Jahr eine Dada-Überforderung haben, aber Dada ist grösser als das.


Sie wollen während 165 Tagen jeden der 165 Dada-Künstler in einem Offizium würdigen. Wieso?
Das Offizium ist ein Morgengebet aus dem Kloster. Statt eines Gebets werde ich jeden Tag um 6.30 Uhr Arbeiten von einem anderen Dadaisten präsentieren. Ich will ihnen gegenüber Demut zeigen und sie zu Heiligen machen. Das Cabaret Voltaire soll sich durch die Rituale transformieren, damit man sich «orgiastisch dem Gegensatz all dessen, was brauchbar und nutzbar ist», hingeben kann.

Was ist Dada?

Der Dadaismus ist eine internationale Kunst- und Literaturrichtung um 1920, welche die Freiheit und das Irrationale betonte. Es war eine Revolte gegen die konventionelle Kunst und deren bürgerliche Ideale, die man oft parodierte. Dada gab wichtige Impulse für die Kunst der Moderne bis heute.

Ausstellungen:

Am 5. Februar eröffnet im Cabaret Voltaire die Ausstellung «Obsession Dada», die auf Dokumenten des Kurators Harald Szeemann basiert. Im Kunsthaus versammelt
«Dadaglobe Reconstructed» über 200 Kunstwerke, die 1921 dem Dadaisten Tristan Tzara zugeschickt wurden. Mit «Dada Universal» zeigt das Landesmuseum die globale Ausstrahlung der Bewegung. Im Museum Rietberg widmet sich «Dada Afrika» der ­Auseinandersetzung der Dadaisten mit afrikanischen Artefakten.

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