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Interview

Stadtpräsidentin Corine Mauch: «Ich empfinde nach wie vor enorme Freude an meinem Amt.» Bild: Nicolas Y. Aebi

"Ich esse nicht mehr alles so heiss, wie es gekocht wird"

Von: Jan Strobel

29. Dezember 2015

Jahresinterview 2015: In unserem traditionellen Jahresinterview zieht Stadtpräsidentin Corine Mauch Bilanz, gewährt einen Ausblick aufs 2016 und beantwortet ausgewählte Leserfragen.

Corine Mauch, wenn Sie auf das vergangene Jahr zurückblicken; was würden Sie als Ihren persönlichen Höhepunkt bezeichnen?
Corine Mauch: Es war wie immer ein äusserst intensives Jahr. Bei der Arbeit stand für mich ein grosses Projekt im Vordergrund, das mir persönlich sehr am Herzen liegt: das Kulturleitbild für die Jahre 2016 bis 2019. Wir investierten sehr viel Energie dafür. Besonders ­gefreut hat mich dabei die intensive Debatte im Gemeinderat. So etwas hatte ich, gerade wenn es um Kultur geht, bisher noch nie erlebt. Kulturschaffende und Kulturinteressierte füllten die Ratstribüne und haben mit ihrer Präsenz gezeigt, dass ihnen die Kulturförderung ein sehr grosses Anliegen ist.

Der Tiefpunkt des Jahres 2015?
Ganz klar die Terroranschläge in Paris. Das war nicht nur ein Angriff auf Paris, sondern ein Angriff auf unsere Werte, auf unsere Lebensweise.

Sie sind jetzt sechseinhalb Jahre Stadtpräsidentin. Wie hat Sie dieses Amt verändert?
Man tritt dieses Amt mit dem eigenen Charakter und dem eigenen Temperament an und prägt es damit. Umgekehrt prägt das Amt natürlich auch die Persönlichkeit, nicht zu vergessen das Privatleben. Sobald ich das Haus verlasse, bin ich die Stadtpräsidentin, auch wenn es Sonntag ist oder ich Ferien habe. Im Lauf der Jahre konnte ich eine gewisse Gelassenheit entwickeln. Anders ausgedrückt: Ich esse nicht mehr alles so heiss, wie es gekocht wird. Diese Haltung ist unabdingbar in einem so anspruchsvollen Amt. Der Tag ist streng ­getaktet mit einem hohen Tempo. Man muss sich von Sitzung zu Sitzung mit immer anderen Themen und Dossiers beschäftigen, immer wieder neu anknüpfen. Um es mit Alt-Regierungsrat Markus Notter zu sagen: Ein solches Politleben ist wie Simultanschachspielen. Das setzt auch enorm positive Energien frei. Ich empfinde nach wie vor enorme Freude an meinem Amt.

Wie steht Zürich generell Ende 2015 da?

Sehr gut. Zürich hat die schwierigen Jahre gerade in finanzieller Hinsicht bislang gut überstanden, auch wenn die Herausforderungen nach wie vor gross sind. So ist die Wirtschaft vom starken Frankenkurs sehr gefordert und braucht eine verträgliche Umsetzung der Zuwanderungsinitiative. Zürich ist ein starker Wirtschaftsstandort, dem müssen wir Sorge tragen. Als Stadt werden wir Ende dieses Jahres immer noch über eine halbe Milliarde Franken Eigenkapital verfügen. Und ich muss Ihnen sagen: Dafür hätte ich 2009, als ich mein Amt antrat, nicht die Hand ins Feuer ­gelegt. Wir haben Reserven angelegt in den guten Jahren, nach dem Leitsatz: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Wir wollen ­unsere Leistungen weiterhin aufrechterhalten und gleichzeitig investieren. Das ist uns gelungen. Es darf nicht zu einem markanten Leistungsabbau kommen, der die Bevölkerung trifft. Damit würden wir am Ast sägen, auf dem wir sitzen, nämlich der sehr hohen Lebensqualität. In den krisengeschüttelten 90er-Jahren fuhr die Stadt so stark mit Investitionen zurück, dass am Ende die Schäden teurer gekommen sind als das gesparte Geld. Deshalb ist der Begriff der Investition für mich so wichtig. Und wir investieren in unsere Stadt.

SVP und FDP lehnten das Budget 2016 ab. Den Bürgerlichen ist insbesondere das beantragte Defizit von 22 Millionen Franken unverständlich, obwohl der Stadtrat gegenüber dem Budget 2015 mit um 165 Millionen höheren Steuereinnahmen rechne, was einen neuen Rekord darstelle. Was entgegnen Sie diesem Einwand?

Zürich wächst. Das ist erfreulich, lange Zeit zogen die Menschen aus der Stadt weg. In den letzten zehn Jahren sind wir um die Grösse der Stadt Thun gewachsen und haben 44 000 Einwohnerinnen und Einwohner mehr als 2005. Das Wachstum bedeutet aber auch Mehrausgaben bei den Schulen, beim Verkehr, beim Sozialen und im Gesundheits­wesen. Wir wollen weiterhin gute Leistungen für die Bevölkerung erbringen. Das hat seinen Preis, aber das ist es auch wert.

Wenn wir noch einmal die hohe Lebens­qualität in Zürich ansprechen; gemäss der jüngsten Bevölkerungsbefragung erhält Zürich in Oerlikon, Hirzenbach und Affoltern nicht die Bestnote. In Oerlikon leben nur 67 Prozent der Befragten sehr gerne in Zürich. Was läuft da schief?
Dieses Phänomen ist uns natürlich nicht unbekannt. Die Quartiere in Zürich-Nord erfahren gerade enorme Umwälzungen, insbesondere, was den Wohnungsbau betrifft. Da können natürlich auch Verunsicherungen entstehen. Die Strukturen verändern sich. Dabei wurde bei der Planung in der Vergangenheit zu wenig auf den öffentlichen Raum und die Erdgeschossnutzungen geachtet. Wenn man lebendige Quartiere schaffen will, dann sind diese öffentlichen Erdgeschossnutzungen mit Läden oder Cafés aber extrem wichtig. Deshalb haben sie jetzt in der Bau- und Zonenordnung einen hohen Stellenwert erhalten. Gerade am Beispiel Zürich-Nord wird klar, weshalb die Bevölkerungsbefragungen so wichtig sind. Mit ihrer Hilfe können wir quartierspezifische Analysen vorantreiben, identifizieren, wo in diesen Quartieren der Schuh drückt. Wir nehmen die Signale der Bevölkerung auf und können handeln. Das hat zum Beispiel im Langstrassenquartier oder in der Hard hervorragend funktioniert.

Unsere erste Leserfrage kommt von Gabriela Masar: «Der Busbahnhof Sihlquai ist ein Schandfleck von Zürich. Eine Aufwertung wäre dringend nötig. Wie sehen Sie das?»
Der Carparkplatz ist in der Tat kein Schmuckstück. Wir sind daran, das zu ändern. Der Projektstart für die Neugestaltung war diesen Sommer. Die Planung läuft. Ziel ist es, dass sich der Carparkplatz ab Frühling 2018 im neuen Kleid präsentieren kann. Mit einem überdachten Wartebereich, mit neuem Verpflegungsangebot und besseren sanitären ­Anlagen.

Leser Peter Weiss fragt: «Ich bin ein bekennender Autofahrer in der Stadt, fühle mich aber von Jahr zu Jahr ins Abseits gedrängt. Was tut die Stadt eigentlich für den Autoverkehr? Die Fahrzeugzahlen nehmen ja nicht etwa ab, sondern zu.»
Die Stadt hält mit hohen Investitionen die Strassen für den Autoverkehr in Schuss. Nur den Autoverkehr zu betrachten, greift aber zu kurz. Das Gesamtsystem muss funktionieren. Ein gut ausgebauter ÖV hilft zum Beispiel mit, dass die Strassen für diejenigen frei bleiben, die auf das Auto angewiesen sind. Wenn die täglich 500 000 Fahrgäste der VBZ alle das Auto nehmen würden, ginge auf den Strassen gar nichts mehr.

Benutzen Sie eigentlich auch ab und zu ein Auto?

Durchaus. Ich habe zwar kein eigenes Auto, aber ich bin Mitglied von Mobility. Ich brauche in der Stadt einfach kein Auto, zum Glück. Und das ist keineswegs eine ideologische Frage. Das Verkehrssystem auf der Strasse ist zeitweise am Anschlag. Ich bin mit meinem Velo unterwegs oder mit dem Tram. Am liebsten mit dem 15er, der bringt mich direkt von zu Hause ins Stadthaus.

Leserin Nataliya Babenko stellt eine Frage zur aktuellen Flüchtlingskrise: «Was hat Sie dazu bewegt, in Witikon ein Durchgangszentrum einzurichten? Ich finde, das ist ein unpassender Ort für Flüchtlinge. Witikon hat wenig, was es ihnen bieten kann, sie werden in unserem Quartier sehr auffallen.»
Zürich und auch Witikon haben Flüchtlingen sehr viel zu bieten, nämlich Schutz vor Willkür und eine menschenwürdige Existenz. Das ist in vielen Teilen der Welt leider keine Selbstverständlichkeit. Zürich ist eine solidarische Stadt, es hat bei uns eine lange Tradition, dass wir in Notsituationen helfen. Das Durchgangszentrum in Witikon ist übrigens eine kantonale Einrichtung. Wir unterstützten hier den Kanton bei der Bewältigung der steigenden Asylgesuchzahlen.

Zum Abschluss ein Ausblick aufs neue Jahr. Worauf freuen Sie sich besonders?
2016 wird ein Jahr, das sehr stark von Kultur geprägt sein wird. Wir feiern 100 Jahre Dada-Bewegung. Das wird sehr spannend und wird auch international Interesse auslösen. Das zweite grosse kulturelle Ereignis wird die ­Manifesta sein, die wandernde Kunstbiennale. Ihr Motto wird lauten: «What People Do for Money» – Was Menschen für Geld tun. In diesem Sinn wird die Manifesta Zürich auch einen Spiegel vorhalten. Ich freue mich jetzt schon auf die Diskussionen.

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