mobile Navigation

Interview

Der Zürcher Komiker Beat Schlatter feiert am 5. Mai seinen 60. Geburtstag. Bild: PD

"Ich verspüre Demut und Dankbarkeit"

Von: Ginger Hebel

27. April 2021

Künstlergespräch: Der Zürcher Komiker Beat Schlatter wird 60. Er spricht über das Älterwerden, seine Ängste und die Ehe. Und er verrät, warum er aktuell häufiger auf der Kanzel steht als auf der Bühne. 

Beat Schlatter sitzt an seinem grossen Esstisch mit dem bunten Tischtuch in seiner Zürcher Altstadtwohnung. Inmitten von Kunst und Büchern. Darin kann er sich verlieren. Er ist ein grosser Bildersammler. Als Drittklässler gab er sein ganzes Taschengeld für Postkarten aus und verschickte sie aus den Ferien an seinen Schulschatz. Seit 24 Jahren lebt er im Niederdorf, allein, obwohl er verheiratet ist. Schon immer hatte er den Mut, seinen eigenen Weg zu gehen – auch beruflich. Der Komiker, Schauspieler und Drehbuchautor hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Höhenflüge erlebt – aber auch Tiefschläge. Am 5. Mai wird der Zürcher Künstler 60.

Beat Schlatter, wie feiern Sie Ihren runden Geburtstag in der Pandemie?

Beat Schlatter: Ich verschiebe ihn (lacht). Normalerweise fahre ich an meinem Geburtstag immer alleine irgendwo an einen schönen Ort – am liebsten nach Italien. Aktuell ist das mit dem Reisen bekanntlich schwierig. Ich würde meinen Sechzigsten gerne mit vielen Freunden und Bekannten feiern, wenn sich die Situation entspannt. Ich suche noch nach einer passenden Location für 500 Personen.

Viele haben Mühe mit dem Älterwerden. Wie gehen Sie damit um?

Ich mag Geburtstage, weil sie mir die Möglichkeit geben, zu reflektieren und auf Vergangenes zurückzublicken. Ich denke viel an meine verstorbenen Eltern und was sie für mich gemacht haben. Ich verspüre Dankbarkeit und Demut. Meine Mutter starb früh, sie hat leider nie einen Auftritt von mir gesehen. Wenn ich Blumen an ihrem Grab niederlege, komme ich an den Gräbern ehemaliger Schulkollegen vorbei, die in die Drogen oder Kriminalität abrutschten. Dann wird mir bewusst, dass es im Leben auch Glück braucht.

Wie erleben Sie das Alter?

Entspannter, besonders, was den Erfolg anbelangt. Wenn ich ein neues Stück schreibe, dann gebe ich alles und hoffe, dass es beim Publikum gut ankommt. Aber dieser permanente Erfolgsdruck nimmt ab. Das ist angenehm.

Manch Charakterzug verstärkt sich, je älter man wird.

Das stimmt absolut. Meine Höhenangst wird immer schlimmer. Ich bin grundsätzlich ein ängstlicher Mensch; auch das wird im Alter nicht besser.

Sie leben allein, sind aber seit zehn Jahren mit der Buchproduzentin Mirjam Fischer verheiratet. Sind getrennte Wohnungen der Schlüssel zum Liebesglück?

Für uns definitiv. Ich mag das Alleinsein und geniesse es, Zeit für mich zu haben. Die Ehe ist ein hohes Gut. Wir tragen uns gegenseitig Sorge, telefonieren täglich mehrmals, sehen uns aber nur dann, wenn wir es beide wollen. Nach einem Aufritt hat mal ein Zuschauer zu mir gesagt: «Meine Frau sitzt dort hinten. Können Sie ihr bitte sagen, wie toll es ist, wenn man nicht zusammenwohnt». Ich bin mir sicher, dass viele Paare auch gerne so leben würden. Zwei Wohnungen sind ein Luxus, aber für uns ist das die richtige Investition.

Die Pandemie setzt der Unterhaltungsbranche besonders hart zu. Die Vorstellungen zu Ihrer neusten Bühnenkomödie «Ab die Post» im Theater Hechtplatz wurden alle abgesagt.

Wir konnten die neue Bühnenkomödie noch nie vor Publikum spielen, das ist sehr schade, denn Christoph Fellmann, Pascal Ulli und das ganze Ensemble haben sehr viel Arbeit und Zeit investiert. Wenn ein fertiges Stück um Monate verschoben wird, dann bedeutet das einen unglaublichen Mehraufwand für alle Beteiligten. Wir Darstellerinnen und Darsteller müssen es einmal pro Woche memorieren, immer wieder durchspielen, damit es nicht vergessen geht.

Was bedeutet die Krise für Sie finanziell?

Es ist klar: Ohne Auftritte kein Einkommen. Aktuell lebe ich von meinen Ersparnissen. Es ist aber nicht so, dass ich zuhause sitze und Däumchen drehe. Ich arbeite an Buchprojekten, Autorenarbeiten, mache die Bingo-Show auf Radio SRF1. Als freischaffender Künstler bin ich mir das Auf und Ab gewohnt. Ich probiere auch Neues aus. Ich halte beispielsweise Predigten.

Statt auf der Bühne stehen Sie jetzt auf der Kanzel?

Genau. Es macht mir Spass. In mir scheint ein Pfarrer verloren gegangen zu sein (lacht). Für die Zeitung «reformiert.» habe ich verschiedene Pfarrer getroffen und ihnen tiefsinnige und humoristische Fragen gestellt, daraus sind Freundschaften entstanden. Seither lassen sie mich gelegentlich auf die Kanzel. Was predigen Sie? Ich bin ein nachdenklicher Mensch und beschäftige mich viel mit der Veränderung im Leben. Wenn man sie zu stoppen versucht und zu bequem wird, etwas zu ändern, dann hat man verloren. Es ist wichtig, sich immer wieder selber in fremde Situationen zu begeben und sich dadurch von einer neuen Seite kennen zu lernen. Wäre ich dafür nicht offen gewesen, hätte ich diese spannende Erfahrung in der Kirche nie machen können. Mut ist wichtig im Leben.

Beat Schlatter absolvierte auf Wunsch seiner Eltern eine Lehre als Innendekorateur, übte diesen Beruf aber nie aus. 1977 bis 1983 war er Musiker in verschiedenen Schweizer Bands. Als Schlagzeuger spielte er in der Frauen-Punk-Band Kleenex / Liliput. In den Achtzigern tourte er mit Chansonnier Stephan Eicher als Strassenmusiker namens «Die Reisenden» durch Europa. Er spielte in mehreren preisgekrönten Kinofilmen mit, darunter in «Katzendiebe» (1996), «Komiker» (2000) und «Flitzer» (2017). In der Schweizer Soap «Lüthi und Blanc» spielte er die Rolle des «Willi». Heute schreibt er Theaterstücke und Bühnenprogramme und ist darin auch als Darsteller zu sehen.

Früher waren Sie Punk-Musiker. Spielen Sie noch Schlagzeug?

Nein, nein, diese Zeiten sind vorbei, aber ich erinnere mich gerne daran zurück. Viele meiner Freunde sind Musiker, ich mag diese Szene. Nachdem ich mit Stephan Eicher als Strassenmusiker durch Europa tourte, fing ich an, Texte zu schreiben. Irgendwann habe ich gemerkt: Wenn ich die Lieder auf humoristische Weise ansage, dann landet mehr Geld im Hut. Das war ein Schlüsselerlebnis. Als Musiker wussten wir damals nicht, wie wir die 150 Franken Miete für den Übungsraum bezahlen sollten. Wir klauten Katzen aus der Nachbarschaft, warteten auf die Vermisstenanzeige und kassierten den Finderlohn. Daraus entstand später die Idee zum Kinofilm «Katzendiebe».

Sie haben viele Erfolge gefeiert. Gab es auch Rückschläge?

Als ich 2015 am Bahnhof Meilen von einem Fremden zusammengeschlagen wurde – das war schlimm. Seither erschrecke ich mich immer, wenn jemand hinter mir steht. Eine ehemalige Mitarbeiterin hat mir 44 000 Franken geklaut. Dieser Vertrauensbruch tat mir persönlich sehr weh.

Wofür geben Sie am meisten Geld aus?

Für Essen. Ich kaufe gerne auf Märkten und in Feinkostläden ein und schätze hochwertige Produkte. Auch in den Ferien spare ich nicht. Leute, die immer nur sparen, haben meist wenig Sinn für Humor.

Wie halten Sie sich fit?

Früher habe ich nie Sport gemacht und auch nicht auf die Ernährung geschaut. Für den Film «Hoselupf» lernte ich schwingen und besuchte Konditionstrainings. Ich bekam Spass daran. Heute trainiere ich gerne im Freien, die Bewegung tut mir gut. Aber ich bin nach wie vor ein absoluter Genussmensch.

Können Sie gut kochen?

Ich bewirte und bekoche zuhause oft Gäste, das macht mir Freude. Ich bin nicht der grosse Planer in der Küche. Mein Menü vor ein paar Tagen: Saucisson und Kartoffelgratin, dazu Bier und Wein.

Was macht Sie zu einem guten Freund?

Ich versuche immer fair zu sein und alle gleich- zubehandeln. Wenn ich Ja sage, dann stehe ich dazu. Und ich kann gut zuhören.

Viele Künstler sind aktiv auf Social Media. Wie digital sind Sie?

Gar nicht. Ich mache meine Einzahlungen immer noch mit dem gelben Büchlein. E-Banking begreife ich nicht. Ich habe weder Facebook noch Instagram – das sind für mich unnötige Zeitfresser. Meine Managerin Pascale Véron kümmert sich um solche Dinge. Ich nutze diese Zeit lieber für kreative Prozesse und versende Postkarten. Sie haben etwas Sentimentales und sind ein wunderbares Kommunikationsmittel.

Weitere Informationen: www.beatschlatter.ch

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

zurück zu Interview

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare