mobile Navigation

Interview

Der erste Grünliberale auf dem Bock: Matthias Wiesmann, designierter Gemeinderatspräsident. Bild: PD

"Ich will Begeisterung für unsere Demokratie wecken"

Von: Isabella Seemann

05. Mai 2015

Heute Mittwoch wählt der Gemeinderat aller Wahrscheinlichkeit nach Matthias Wiesmann zum neuen Gemeinderatspräsidenten. Mit dem 39-Jährigen wird erstmals ein Grünliberaler auf dem «Bock» sitzen und während eines Jahres die Geschicke des Rats lenken. Der Wirtschaftshistoriker politisiert seit 2010 im Gemeinderat, wo er den Kreis 6 vertritt.

«Tagblatt der Stadt Zürich»: Herr Wiesmann, vor genau zehn Jahren wurde die Stadtzürcher Sektion der Grünliberalen Partei gegründet. Nun stellt die GLP mit Ihnen erstmals den höchsten Zürcher. Stehen Sie unter Druck?

Matthias Wiesmann: Ich bin positiv angespannt und vertraue meiner Fähigkeit, die Sitzungen zu leiten, zumal ich auf beiden Seiten des Ratsbetriebs Erfahrungen sammeln konnte als Gemeinderat sowie als zweiter und erster Vize des Ratspräsidiums. Zudem freue ich mich sehr auf die Repräsentationsaufgaben, die es mir ermöglichen, die ganze Stadt besser kennen zu lernen und mit vielen Leuten ins Gespräch zu kommen.

Wie möchten Sie als erster grünliberaler Gemeinderatspräsident dieses Amt prägen?

Ich möchte Verständnis und Begeisterung für unsere Demokratie wecken und dafür werben, in Politik und Parteien Verantwortung zu übernehmen. Dazu ist es wichtig zu erklären, wie der Gemeinderat und die politischen Abläufe wirklich funktionieren.

Als Besucher erscheint einem das Parlament eher als Schwatzbude und Jahrmarkt der Eitelkeiten denn als Volksvertretung. Können Sie den Frust nachvollziehen?

Ich würde es als lebendiges und debattierfreudiges Parlament bezeichnen. Leidenschaft gehört zur Politik, sonst wird sie freudlos. Der Frust entsteht häufig durch Unwissen, denn in der Öffentlichkeit wird die seriöse Grundlagenarbeit, die wir Politiker in den Fraktionen und in den Fachkommissionen machen, kaum wahrgenommen. Dort aber findet die eigentliche Arbeit der Politiker statt: mehrheitsfähige Lösungen suchen, Allianzen schmieden, kluge Argumente vorbringen. Wenn die Voten im Parlament vorgetragen werden, sind die Meinungen längst gemacht, so entsteht der Eindruck, dass keiner dem anderen zuhört. Die Reden dienen vornehmlich dazu, der Presse und dem Publikum auf der Galerie, die leider meist spärlich besetzt ist, die Meinung der Parteien darzulegen.

Weshalb haben Sie sich entschieden, bei den Grünliberalen zu politisieren?

Als 18-jähriger Gymnasiast an der Kanti Hohe Promenade hatte ich bereits einmal für den Gemeinderat kandidiert, auf der Jungen Liste im Kreis 6. Übrigens gemeinsam mit Raphael Golta, der heute SP-Stadtrat ist. Politik hat mich immer sehr interessiert, aber ich fand nie eine Partei, die mir zusagte. Die einen waren mir zu links, die anderen zu konservativ oder zu wenig umweltbewusst. Erst mit der Gründung der GLP vor zehn Jahren füllte sich in der parteipolitischen Landschaft diese Lücke, und es war Zeit für mich, Verantwortung zu übernehmen.

Was treibt Sie an?

Lösungen für Probleme zu entwickeln – jenseits von Lagerwahlkämpfen. Mir fehlt es an politischem Sendungsbewusstsein, ich will nicht für eine Ideologie missionieren, sondern Sachpolitik betreiben und vernünftige Kompromisse finden.

Sie melden sich vor allem bei Umweltthemen wie der Beschränkung von Parkplätzen in Wohnsiedlungen zu Wort. Wenn es hart auf hart kommt, entscheiden Sie eher grün als liberal?

Die Frage ist falsch gestellt, denn sie geht davon aus, dass es nicht möglich wäre, beides zu vereinen. Das ist mir zu einfach. Wir Grünliberalen sind angetreten, um ganzheitliche Lösungen zu finden, wie Ressourcen, dazu gehören auch die Finanzen, nachhaltig und wirtschaftlich effizient eingesetzt werden können. Ich betreibe keine grün-fundamentalistische Verkehrspolitik und erachte Tempo 30 auf Hauptachsen als sinnlos, nicht aber auf Quartierstrassen. Autofreie Siedlungen sind von der Bevölkerung erwünscht und können an gewissen Orten sinnvoll sein. Es geht darum, jeden Fall einzeln anzuschauen, zu differenzieren und neue Wege zu gehen.

Sie haben in fünf Jahren nur 2 Postulate und eine Motion eingereicht. Ist das ein bewusster Entscheid?

Als Mitglied des Gemeinderatspräsidiums ist man tatsächlich während dreier Jahre eine Art politischer Eunuch. Vorstösse und Voten sollte man dann nicht machen. Das kommt meinem Naturell durchaus entgegen, weil ich lieber im Hintergrund agiere und in der Fraktion an Vorstössen mitarbeite.


Dafür kennt jedes Kind das Liederalbum «Matthias», das Ihnen Ihr Onkel, der Liedermacher Dieter Wiesmann, 1977 widmete. Erzählen Sie uns eine Anekdote darüber?

Ich bin meinem Götti sehr dankbar für diese CD und freue mich noch immer daran. Vor allem muss ich nie überlegen, was ich Kindern befreundeter Paare schenke, alle bekommen «meine CD». Damit kann ich auch gleich den Musikgeschmack der frischgebackenen Eltern positiv beeinflussen.

Mediale Aufmerksamkeit erlangten Sie auch mit Ihrem Buch «Bier und wir» über die Geschichte der Brauereien und des Bierkonsums in der Schweiz. Verraten Sie uns, in welcher Partei die genussfreudigsten Politiker sind?
Ob einer dem Genuss zuspricht, ist eher eine Frage des Charaktertyps als eine der politischen Einstellung. Man findet diesen genussfreudigen Typ in jeder Partei – und es sind jeweils nicht wenige.


Als Gemeinderat, Historiker und Bierkenner: Mit welchem Politiker der Weltgeschichte hätten Sie gerne mal ein Bier getrunken?

Mit Jitzchak Rabin, dem damaligen Ministerpräsidenten Israels. Er war eine beeindruckende Persönlichkeit, weil er als Politiker mit aller Kraft für den Frieden kämpfte, die gemeinsamen Interessen aller Beteiligten auslotete, entschlossen Kompromisse suchte und mutige Entscheidungen traf.


Apéro für die Bevölkerung heute Mittwoch ab 17.30 Uhr auf der Rathausbrücke.

Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan vom Tagblatt der Stadt Zürich!

zurück zu Interview

Artikel bewerten

Gefällt mir 1 ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

KARL-OTTO ROTHFUSS - Matthias Wiesmann ist der richtige auf diesem platz
er kommt aus einem guten quartier. ich kenne ihn und seine eltern seit gut 30 jahren. Matthias wird es machen. hat die fragen im interview gut beantwortet.
ich gratuliere zu seiner wahl, aber nicht nur ich,
mehr anzeigen ...

Vor 8 Jahren 11 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.