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Interview

Eva Lia Wyss ist überzeugt, dass Informationen über Internet gute Entscheidungsgrundlagen für Liebesbeziehungen sind. Bild: PD

Klassischer Liebesbrief hat ausgedient

Von: Isabella Seemann

07. November 2017

Zärtliche Botschaften auf Facebook, Snapchat und Insta­gram statt auf Bütten: Die Zürcher Germanistin Eva L. Wyss analysiert die Kommunikation von Liebenden im digitalen Zeitalter.

Die Zürcher Sprachwissenschaftlerin Eva Lia Wyss gründete vor 20 Jahren am Deutschen Seminar der Universität Zürich zu Forschungszwecken ein Liebesbriefarchiv, das mittlerweile rund 15 000 Briefe, Zettelchen, Postkarten, SMS und Messenger-Chats aus der Schweiz und aus Deutschland umfasst. Ihr neues Buch «vermiss dich krass my love» (Verlag Orell Füssli) verrät, wie sich die Liebeserklärungen von Herrn und Frau Schweizer durch die sozialen Medien verändern.

Haben Sie Ihren ersten Liebesbrief noch?

Eva Lia Wyss: Ich erinnere mich vage an Zettelchen, die in der Schule und auf der Schlittschuhbahn verteilt wurden.

Kann sich der Liebesbrief im Zeitalter von Chats noch behaupten?

Beim Chat entsteht eine interaktive Situation, die durch die gemeinsame Präsenz am Handy oder am Computer verstärkt wird. Dabei kann synchrone Kommunikation entstehen, wie wir das sonst nur bei der Face-to-Face-Begegnung kennen. Das macht die Messengerkommunikation attraktiv.

Viele Liebesbeziehungen nehmen heute ihren Anfang im Internet. Kann man sagen, dass dies dem schriftlichen Liebeswerben zu einer Renaissance verholfen hat?

Nein, bei den Partnerschaftsbörsen und auch auf Facebook wird das Wissen über jemanden sowohl auf schriftlichen wie auch bildlichen Informationen dargeboten. Die Informationen selbst sind allerdings sehr weitreichend und bieten anscheinend gute Entscheidungsgrundlagen für Liebesbeziehungen.

Heute kommunizieren Verliebte hauptsächlich digital. Ein Herzchen-Emoji, ein Smiley, schnell hingetippt, schnell vergessen. Ist das im Kern nicht herzlos?

Das kann schon den Eindruck des Erledigens machen. Doch es kann auch sehr spontan und anrührend sein, wenn es einem in einem unerwarteten Moment auf dem Monitor erscheint. Das Schreiben von handschriftlichen und ausführlichen Briefen hingegen geschieht immer häufiger höchstens noch zu Jahrestagen. Dies kann auch zu einem Ritual werden, dessen Inhalt mehr und mehr verloren geht.

Was ist an einem Liebesbrief aus dem 19. Jahrhundert anders als an einer Liebesnachricht per Chat von heute?

Der Liebesbrief ist eine Gattung, die im 19. Jahrhundert von gebildeten Menschen geschrieben wurde, die einmal über die Kulturpraxis verfügten und zudem auch Zugang zu Schreibmaterialien hatten. Dazu gab es lange Zeit noch bis ins 20. Jahrhundert die Vorstellung, dass die romantischen und leidenschaftlichen Liebesbriefe von Männern verfasst würden, Frauen hingegen hätten darauf züchtig zu antworten. Im Chat haben diese gesellschaftlichen Differenzen keine Bedeutung mehr.

Wie inszenieren sich Paare auf Facebook?

Auf Facebook zeichnen viele Paare ein doch recht freundschaftlich-romantisches Bild ihrer Beziehung. Nur selten gibt es Andeutungen einer gelebten Sexualität. Man möchte fast von einer Abschottung des Sexuellen sprechen, die im öffentlichen Raum überhaupt nicht in dieser Art beobachtet wird. Hier beeinflusst wohl die Dokumentierungs- und Archivierungsfunktion die Kommunikation viel stärker, als man es erwarten würde.

Welche Rolle spielt der «Beziehungsstatus» auf Facebook?

In krassem Unterschied zur Kreativität bei der Ausgestaltung der Facebook-Postings steht die Angabe des Beziehungsstatus. In diesem Feld wird bei Facebook eine vorgefertigte Liste angeboten. Hat man aber seinen Beziehungsstatus zu «In einer Beziehung» geändert, wird dies von den «Freunden» kommentiert, und Facebook doppelt nach und schlägt sogleich die Verknüpfung mit dem Partner/Partnerin vor. Setzt man dies um, erhält der nun neu mit einem verlinkten Menschen die Anfrage, ob er die Beziehung bestätigen möchte. Wird zugestimmt, erhalten diese Paare automatisch eine gemeinsame Partnerchronik. Zudem kann man den Jahrestag angeben, und Facebook gratuliert dann zum Jubiläum. Facebook ist daher nicht nur für die Paardarstellungen nach aussen wichtig, sondern es unterstützt die Konstruktion der Bande auch nach innen, was für den Aufbau einer Paaridentität wichtig ist.

Weitere Informationen: Eva L. Wyss: «vermiss dich krass my love», Verlag Orell Füssli

 

 

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