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Interview

Kümmert sich darum, dass es in Zürich energietechnisch läuft: Michael Baumer, Vorsteher des Departements Industrielle Betriebe. Bild: Stadt Zürich / Tom Kawara

«Mittelfristig drohen Engpässe»

Von: Sacha Beuth

06. Juli 2021

Die Stadt Zürich wird ihre Beteiligungen an Kernkraftwerken nicht los. Das könnte laut Stadtrat Michael Baumer dazu führen, dass ab 2034 jahrelang Kosten für den Betrieb dieser Werke gezahlt werden müssen, ohne dafür einen Gegenwert zu erhalten. Der Vorsteher der industriellen Betriebe sieht dadurch zwar die Stromversorgung nicht unmittelbar gefährdet, macht sich für die entferntere Zukunft jedoch Sorgen.

2016 hatte das Stimmvolk entschieden, dass die Stadt Zürich ab 2034 keinen Atomstrom mehr produzieren und verkaufen darf. Doch noch immer hält die Stadt Beteiligungen am AKW Gösgen sowie über die Aktiengesellschaft für Kernenergiebeteiligungen AKEB am Kernkraftwerk Leibstadt sowie an vier Reaktoren in Frankreich. In einem Begleitpostulat haben darum kürzlich GLP, SP und Grüne den Stadtrat aufgefordert, das Stilllegungsziel in den Kraftwerkgesellschaften einzufordern. Im Gespräch mit dem «Tagblatt» erklärt Michael Baumer, Vorsteher der industriellen Betriebe, warum es so schwierig ist, einen Käufer zu finden, welche Konsequenzen es hat, wenn man die Beteiligungen nicht loswird, und wie es insgesamt um die Energieversorgung Zürichs bestellt ist.

Warum ist es so schwierig, einen Käufer für die AKW-Beteiligungen zu finden?

Michael Baumer: Für den Verkauf der Kernkraftbeteiligungen der Stadt Zürich wurden in einem aufwändigen Verfahren über 100 potenzielle Käufer weltweit und in der Schweiz angesprochen. Schweizer Elektrizitätsunternehmen haben sich auf den Ausstieg aus der Kernkraft eingestellt und sind darum nicht interessiert. Mit ausländischen Unternehmen ist die Zusammenarbeit wegen unterschiedlicher Interessen und unterschiedlichen Rechtssystemen komplex. Der Stadtrat hat darum die eingegangenen Interessensbekundungen für nicht geeignet eingestuft. Zumal die anderen Aktionäre die neuen Partner akzeptieren müssten. Trotzdem werden wir die Bemühungen zum Verkauf der Beteiligungen fortsetzen.

Was, wenn dies bis 2034 nicht gelingt?

Dann ist die Stadt Zürich nicht mehr berechtigt, den Strom aus den Kernkraftwerken gemäss ihren Anteilen abzunehmen. Das würde etwa am Beispiel von Gösgen heissen, dass wir zwar weiterhin – und schlimmstenfalls bis zur Stilllegung – 15 Prozent an die Betriebskosten zu zahlen hätten, aber im Gegenzug auf die 15 Prozent am erzeugten Strom beziehungsweise dem Verkauf desselben verzichten müssten und das Kernkraftwerk diesen Strom anderweitig verwertet. Wie hoch die daraus entstehenden Verluste für uns wären, lässt sich noch nicht abschätzen. Auch, weil wir noch nicht wissen können, wie hoch die Betriebskosten in 13 Jahren sein werden.

Kann mit dem Ausstieg aus der Atomenergie der Bedarf überhaupt mit erneuerbaren Energien gedeckt werden?

Die Schweiz und damit auch Zürich ist Teil des europäischen Strommarkts. Entscheidend sind die Kapazitäten zur Stromproduktion europaweit. Daher investiert das ewz auch in Windparks in Europa.

Die Versorgung ist also nicht in Gefahr?

Gegenwärtig und in naher Zukunft ist nach heutiger Analyse genug Strom zur Deckung der Bedürfnisse vorhanden. Mittel- bis langfristig sind jedoch im Winter Engpässe bei der Stromversorgung zu erwarten. Dann wächst auch die Abhängigkeit vom Ausland. Daher ist es notwendig, dass die Bewilligungsverfahren für den Ausbau von Wasser-, Wind- und Solarkraft in der Schweiz vereinfacht werden. Sonst wird auch ein fehlendes Stromabkommen mit der EU zum Problem. Und es braucht neue Speichertechnologien, mit denen man den im Sommer gewonnenen Strom in den Winter verschieben kann.

Die Kernfusionstechnik, bei der Wasserstoff zu Helium verschmolzen wird, macht enorme Fortschritte und wäre nachhaltiger und ökologischer als die heutige Kernspaltung. Hat man mit dem Ausstieg aus der Atomenergie nicht frühzeitig eine zukunftsträchtige Alternative aus der Hand gegeben?

Heute lässt sich nicht abschätzen, wie sich diese Technologie entwickelt. Da sind noch viele Kosten- und Sicherheitsfragen unklar. Zudem müssen wir für 2034 eine Lösung haben, während Kraftwerke für die Kernfusionstechnik gemäss einiger Experten frühestens 2050 marktreif wären. Auch hier stellt sich die Frage nach den Kosten und ob ein solches Werk dann überhaupt noch nötig ist.

Atomenergie ist für den Verbraucher relativ günstig. Wie stark werden nach dem Ausstieg die Strompreise für Herrn und Frau Zürcher beziehungsweise für einen Haushalt im Schnitt steigen?

Das ewz versorgt die Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung bereits heute mit Strom, der ausschliesslich mit erneuerbaren Energien – und somit auch ohne Kernenergie – produziert wird. Daher hat ein Ausstieg aus der Kernenergie keinen Einfluss auf die Preise.

Wie steht es um die Windenergie. Vor einigen Monaten gab ewz bekannt, dass in Nordfrankreich ein weiterer Windpark realisiert wurde. Wäre es im Sinne regionaler oder zumindest nationaler Unabhängigkeit nicht besser, solche Parks in der Schweiz oder gar in der Nähe von Zürich zu errichten?

Das ewz investiert in Windparks in Europa, weil diese über ausgezeichnete Windverhältnisse verfügen und die Produktions- und Betriebskosten deutlich tiefer sind als in der Schweiz. Die Realisierung von Windparks in der Schweiz ist wichtig, aber oft enorm schwierig, da an den geeigneten Standorten die Erstellung von Windparks meist mit Landschafts- und Naturschutzinteressen, der Luftfahrt oder dem Erholungsbedürfnis der Bevölkerung kollidiert. Daraus ergeben sich dann nicht selten lange Prozesse. So haben wir beispielsweise im Jura ein Projekt, das sich seit 13 Jahren im Bewilligungsverfahren befindet.

Was ist mit Photovoltaik und Wasserkraft? Werden hier die Möglichkeiten richtig ausgeschöpft?

Bezüglich Photovoltaik besteht in der Schweiz noch ein grosses Ausbaupotenzial, auch in der Stadt Zürich. Dies wollen wir in den kommenden Jahren verstärkt nutzen. Das Bürgerbeteiligungsmodell ewz.solarzüri ist bei Zürcherinnen und Zürchern sehr beliebt. Bereits nach fünf Wochen waren schon sämtliche Beteiligungen an vier Photovoltaikanlagen verkauft. Wasserkraft wiederum ist die wichtigste erneuerbare Energiequelle. Das Problem ist hier wie bei der Windkraft, dass es in der Schweiz zu wenig geeignete Standorte gibt und meist langwierige Prozesse bis zur Realisierung eines Werks notwendig sind. Abgesehen von Kleinwasserkraftwerken ist das Potenzial der Wasserkraft praktisch ausgeschöpft oder durch Einsprachen blockiert. Daher strebt die Stadt Zürich eine vorzeitige Rekonzessionierung der eigenen Wasserkraftwerke an. Der neue Rahmenkredit von 200 Mio. Franken, den die Stimmberechtigten am 13. Juni gutgeheissen haben, verschafft dem ewz die hierfür nötigen Mittel.

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

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