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Interview

Roger Schawinksi hat seine Autobiografie geschrieben: "Wer bin ich?", Verlag Kein & Aber, 420 Setien, 39.90 Franken. Bild: Alberto Venzago

"Nichts kann mich aus der Bahn werfen"

Von: Jan Strobel

25. Februar 2014

Roger Schawinski und sein nie versiegendes Mitteilungsbedürfnis – sie gehören eigentlich ins Inventar unserer Heimatkultur. Jetzt legt der Medienrebell, der nächstes Jahr seinen Siebzigsten feiert, seine Autobiografie vor. Darin kehrt er seine legendäre Einstiegsfrage auf seine eigene Person um: «Wer bin ich?» – und schlägt dabei auch selbstkritische Töne an.

Tagblatt der Stadt Zürich: Roger Schawinski, für die Schweizer Öffentlichkeit sind Sie ja im Grunde dauerpräsent. Wieso jetzt die Autobiografie?

Roger Schawinski: Auslöser war ein Essay, den ich zum 1. August für die «Weltwoche» verfasst hatte. Ich erläuterte darin mein ganz persönliches emotionales und politisches Verhältnis zur Schweiz. Grundlage waren meine eigenen Wurzeln. Der Artikel löste so viele positive Rückmeldungen aus, dass in mir schliesslich die Idee zum Buch ganz spontan, ganz intuitiv aufkam. Dahinter stand kein Plan, kein im Stillen lang gehegtes Projekt.

Das passt zu Ihrer Aussage im Buch. Dort schreiben Sie: «Ich hatte noch nie einen konkreten Plan. Strategisches Vorgehen ist mir fremd. Es waren eher Eingebungen, Gedankenblitze, die mich vorantrieben.»

Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein bisheriges Leben. Beim Schreiben des Buches war ich selber überrascht, was ich alles gemacht, aber auch was ich durchlitten habe. Es kamen Erinnerungen und Erfahrungen hoch, die mich schmerzten, die ich zum ersten Mal auf Papier brachte.

Wenn Sie sich von Emotionen und Gedankenblitzen treiben lassen, bleibt da das Rationale nicht mitunter auf der Strecke?

Wenn man sich in etwas verliebt, dann birgt das natürlich immer auch die Gefahr von Fehlentscheidungen.  Wer aus einer starken Emotion heraus handelt, muss dann auch die Konsequenzen ertragen. Dieser Devise bin ich immer treu geblieben. Nichts, mag es auch noch so schmerzvoll sein, kann mich zusammenhauen, aus der Bahn werfen. Meine rebellische Ader lässt das einfach nicht zu. Ich kämpfe für meine Ziele und Ideale. Mein Vater hat mich schon früh eine wichtige Lektion gelehrt: Du entscheidest deinen Lebensweg selbst, alles liegt in deiner Hand, und es gibt immer eine ­Alternative.

Wie hat er das gemacht?

Als ich in der ersten Primarklasse meine Hausaufgaben nicht machen wollte, sagte er mir: «Das musst du auch nicht. Dann wirst du eben Müllmann. Das ist ein wertvoller Beruf für unsere Gesellschaft.» Das hat mir derartigen Eindruck gemacht, dass ich mich sofort hinter mein Schulheft klemmte.   

1999 veröffentlichte der Journalist Roy Spring bereits eine Biografie über Sie. Darin nannte er Sie einen «hyperventilierenden Gipfelstürmer auf der Suche nach der Schmerzgrenze». Wie stehen Sie heute zu dieser Zuschreibung?

Ich gehöre heute nicht mehr zu denen, die immer den Kick brauchen, um sich selber und anderen etwas zu beweisen. Es gibt durchaus auch Ruhephasen in meinem Leben. Ich zeige meine Schwächen, ich bin nicht fehlerfrei. Und: Ich habe die Bodenhaftung nie verloren, handle nicht unüberlegt.

Als Zwanzigjähriger lebten Sie Mitte der 60er-Jahre für einige Monate in einem Kibbuz. Haben Sie damals in Israel Bodenhaftung gelernt?
 
Auf jeden Fall war es eine äusserst prägende Station für meine Entwicklung, eine Lebensschule. Ich musste harte körperliche Arbeit leisten. In der Hitze Steinbrocken aus dem trockenen Boden buddeln, Wassermelonen zu den Ladeflächen tragen und dabei die Rückenschmerzen hinnehmen, den Hühnerstall mit seinem beissenden Gestank reinigen. Auf der anderen Seite war ich Teil einer Gemeinschaft, in der das Prinzip der Gleichheit nicht bloss eine ideologische Phrase war. Es hat tatsächlich funktioniert. Niemand versuchte sich einen Vorteil zu verschaffen. Es war ein einmaliges gesellschaftliches Modell.
     

Ein Begriff, der in Ihrem Buch auftaucht, ist der jiddische Ausdruck «Cherez», Respekt. Welche Bedeutung hat er für Sie?

Es ist der Respekt vor Traditionen, vor der eigenen Geschichte, vor Werten. Der Begriff bildet ein moralisches Fundament. Eigentlich ist er also der Gegenpol zum Rebellischen.

Sie beschreiben, wie Sie es ein wenig mit der Angst zu tun bekamen, als Sie 1980 auf der Kundgebung für Radio 24 einer Masse gegenüberstanden, die «Roger! Roger!» skandierte.  Was ging da in Ihnen genau vor?

Ich erinnerte mich an meinen Vater, der noch von der Ghettomentalität geprägt war. Er war der Ansicht, dass man sich als Jude nicht zu sehr exponieren, nicht zu sehr auffallen sollte, weil das bei den Leuten automatisch antisemitische Reflexe auslösen könnte. Ich habe diese Zurückhaltung schon früh abgelehnt und mich ganz konkret dagegen gestellt.  Dennoch schwang an dieser Kundgebung diese Sorge mit, dass das aus dem Ruder laufen könnte. Und ich stand sogenannten Helden- oder Führergestalten immer kritisch gegenüber. Die Jugendunruhen standen bevor, die  Atmosphäre war aufgeladen. Wenn etwas schiefgegangen wäre, hätte man mich verantwortlich gemacht – und diese Reflexe wären vielleicht hochgekommen.

Ist das auch ein Grund, weshalb Sie sich nie in politischen Gruppierungen oder Parteien engagierten?

Ich habe Angst vor Extremen, vor Fanatikern aller Art. Ich war auch nie ein 68er. Und als ich Anfang der 70er-Jahre zum Schweizer Fernsehen stiess, galt ich bald, besonders bei einflussreichen Redaktoren wie Peter Schellenberg, als Rechtsabweichler.

Wenn man Ihre Stationen in den Medien Revue passieren lässt, angefangen bei den ersten TV-Reportagen aus dem Yom-Kippur-Krieg bis zu Radio 105, wird eines besonders deutlich: Roger Schawinski hatte einfach verdammtes Glück.

Das ist so. Ich hatte wirklich verdammtes Glück. Und ich dachte immer einen Schritt voraus. Geholfen hat mir mein Selbstvertrauen, das ­alles irgendwie gut kommen würde.

Nächstes Jahr werden Sie 70. Gibt es etwas, das Sie nicht mehr können?

Joggen liegt nicht mehr drin, nachdem ich mein Knie ruiniert habe. Auch meine Marathon-Leidenschaft musste ich natürlich aufgeben, Skifahren geht noch, aber nur bei optimalen Bedingungen.

Zum Abschluss: Wer ist Roger Schawinski?

Ich wusste, dass Sie mich das fragen würden. Deshalb habe ich in meinem Buch die Antwort auf über 400 Seiten gegeben.  

Die Buchvernissage der Autobiografie «Wer bin ich?» findet am 4. März im Kaufleuten statt. 19.30 Uhr. Eintritt: 25 Franken.

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