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Interview

«Man vermutet, dass das Sprachenlernen Menschen im Alter kognitiv fitter machen kann», sagt Maria Kliesch. Symbolbild: Clipdealer

Nie zu alt, um Sprachen zu lernen

Von: Stine Wetzel

03. Juli 2018

Mit 70 noch eine Fremdsprache lernen? Auf jeden Fall, findet die Linguistin Maria Kliesch. Die 28-Jährige untersucht erstmals den Spracherwerb von Senioren und setzt sich dafür ein, dass sie als eigene Lerngruppe anerkannt werden.

Maria Kliesch, Doktorandin, Kompetenzzentrum für Linguistik, Universität Zürich

Warum ist das Sprachenlernen im dritten Lebensalter Ihr Forschungsthema geworden?

Maria Kliesch: Ich fand es schon immer faszinierend, dass Menschen so unterschiedliche Sprachtalente aufweisen, und war mir sicher, dass das Gehirn uns helfen kann, die Unterschiede besser zu verstehen. Unser Gehirn verändert sich aber im Laufe des Lebens, und so war ich umso überraschter, dass die Forschung zum Sprachenlernen sich fast ausschliesslich auf Lernende im ersten Lebensdrittel bezog.

Woher rührt Ihr Interesse für Personen im dritten Lebensalter?

Ich habe vier Jahre lang in einer Sprachschule Englisch und Spanisch unterrichtet und gesehen, dass es wenige auf ältere Lernende abgestimmte Kurse oder Unterrichtsmaterialien gibt. Das kann dazu führen, dass sie sich fehl am Platz fühlen, wenn sie sich beispielsweise mit jüngeren Lernenden vergleichen.

Ist der Spruch «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr» denn Quatsch?

Das ist ein Stereotyp, das wir aufbrechen wollen. Die Psychologie weiss schon lange, dass das Gehirn bis ins hohe Alter plastisch bleibt, also immer noch Verknüpfungen herstellen kann. Das Alter an sich ist nicht das Problem. Das Individuum und sein Gehirn sind viel entscheidender. Das Stereotyp, man sei zu alt, ist ein selbstzerstörerisches Vorurteil. Diese Angst führt tatsächlich zu schlechten Leistungen – aber weil sie die Motivation beeinflusst.

Der Abbau von Gehirnsubstanz und kognitiver Leistung im Alter ist aber ein Fakt.

Im Durchschnitt schon. Die individuellen Unterschiede sind aber riesig. Es kann also sein, dass die einen im Alter andere Strategien hinzuziehen müssen, als sie es in jüngeren Jahren gemusst hätten, während die anderen auch dann noch aufnahmefähig wie ein Schwamm sind. Dass neue Sprachkenntnisse auch über 65 noch erworben werden können, steht für uns aber ausser Frage.

Warum haben Sie für die kommende Studie Spanisch gewählt?

Bei einer vorangegangenen Studie hatten wir Englisch gewählt. Jetzt haben wir uns für Spanisch entschieden, weil es damit leichter ist, Teilnehmer zu finden, die noch keine Vorkenntnisse aufweisen – Englisch ist ja allgegenwärtig.

Welche Erkenntnisse haben Sie aus der ersten Studie gezogen?

Wir konnten das Sprachtalent im Alter anhand unserer Messungen von Wortflüssigkeit, Arbeitsgedächtnis, Merkfähigkeit und Gehirnaktivität erklären und damit zeigen, dass auch beim Sprachenlernen auf ganz alltägliche kognitive Fähigkeiten zurückgegriffen wird. Die grosse Frage, die gefehlt hat: Was passiert durchs Sprachenlernen im Gehirn?

Sie meinen, das Gehirn könnte vom Sprachenlernen profitieren?

Es gibt Hinweise dafür, dass Sprachenlernen die Aufmerksamkeit verbessern kann, und man vermutet, dass es Menschen im Alter kognitiv fitter machen kann. Getestet hat das aber kaum jemand. Zusammen mit der Universität Salzburg haben wir die erste Studie, die das systematisch untersucht. Senioren wurden da überhaupt von der Forschung vernachlässigt.

Wie fühlt es sich an, die Erste zu sein?

Als wäre ich auf ein völlig unerforschtes Land gestossen; alles, was wir rausfinden, ist neu. Gleichzeitig ist Pionierarbeit aber auch immer eine Herausforderung.

Was erwartet die Teilnehmer der Studie?

Sie lernen drei Stunden wöchentlich mit einer Software und bekommen ein Mal pro Woche Sprachenunterricht bei uns an der Uni. Bei dem Termin machen wir auch gleich die Tests und Messungen. Und natürlich gibt es Kaffee und Kuchen.

In ihrer Doktorarbeit untersucht Maria Kliesch den Sprachenerwerb im dritten Lebensalter. Sie stellt sich Fragen wie beispielsweise: Welchen Einfluss haben kognitive Fähigkeiten auf das Sprachenlernen und welchen Einfluss hat das Sprachentraining wiederum auf das Gehirn? Das Forschungsprojekt wird vom Schweizer Nationalfond finanziert und ist interdisziplinär angelegt: Hier kommen Romanische Linguistik, Psycholinguistik, Neurolinguistik und kognitive Psychologie zusammen.

Auf Basis der Forschung könnten Lehrmittel und -methoden für Senioren als spezifische Lerngruppe entwickelt werden. Im Oktober beginnt das Forschungsteam um Kliesch mit einer neuen, 32-wöchigen Studie: 30 bis 40 Personen zwischen 65 und 75 Jahren werden beim Spanischerwerb begleitet.

Wer Spanisch lernen und bei der Studie mitmachen will, kann sich melden unter: aging@linguistik.uzh.ch

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