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Interview

Christian Bindella in Tel Aviv: "Wir lassen uns die Lebensfreude nicht nehmen." Bild: PD

"Nur mit Humor lässt sich das meistern"

Von: Jan Strobel

15. Juli 2014

Obwohl Israel Ägyptens Vorschlag für eine Waffenruhe akzeptiert, feuern die Terrororganisation Hamas und jihadistische Splittergruppen weiterhin Raketen aus dem Gazastreifen vor allem auf den Süden Israels. In den letzten Tagen wurde auch Tel Aviv regelmässig angegriffen. Der Zürcher Christian Bindella (29) lebt seit Jahren in Israel und führt im Herzen der Metropole sein eigenes Restaurant. Mit dem «Tagblatt» sprach er über seinen Alltag in einer Stadt unter Beschuss.

Tagblatt der Stadt Zürich: Christian Bindella, in der vergangenen Woche heulten in Tel Aviv fast täglich die Sirenen. Wie haben Sie reagiert?

Christian Bindella: Um ehrlich zu sein: Ich blieb manchmal einfach im Bett liegen. Mittlerweile gehört der «zeva adom», wie wir den Raketenalarm nennen, seit einer Woche fast schon zum Alltag. Ich wollte mich einfach nicht aufraffen. Das Risiko, dass mich eine Rakete in meinem Haus trifft, ist ja sehr gering. Unser Abwehrsystem «Iron Dome» funktioniert bestens. In meiner Strasse beobachten viele den Abschuss der Raketen hoch über der Stadt von ihren Balkonen aus. Normalerweise stelle ich mich aber trotzdem mit den anderen Hausbewohnern kurz ins Treppenhaus oder in einen der Schutzräume.

Verursachen die plötzlichen Alarme nicht enormen psychischen Stress?

Von aussen betrachtet, sieht es ja immer schlimmer aus, als man es vor Ort wahrnimmt. Die Alarme flössen einem natürlich schon Respekt ein. Aber von einer psychischen Belastung oder von Stress kann ich für mich nicht reden. Ich bin eher genervt, dass der normale Gang des Alltags unterbrochen wird. Anders war es bei mir vor zwei Jahren, als in Tel Aviv zum ersten Mal seit 1991 wieder die Sirenen heulten. Für mich war das damals eine Premiere. Als dann im Zentrum auch noch ein Bus explodierte, bekam ich es schon ein wenig mit der Angst zu tun.

Wie gehen die Tel Aviver in Ihrer Umgebung mit der Situation um?

Die meisten nehmen es ziemlich locker. Die Israelis sind mit dieser ständigen Bedrohung aufgewachsen. Sie legen eine Haltung an den Tag, die für Schweizer manchmal nur schwer nachzuvollziehen ist. Wir Tel Aviver lassen uns die Lebensfreude nicht nehmen, manche witzeln sogar über die Angriffe. Nur mit Humor lässt sich so eine Situation meistern. Das Nachtleben geht einfach weiter, Clubs, Bars und Restaurants bleiben selbstverständlich geöffnet. 

Wie steht es um Ihr Restaurant? Leidet das Geschäft?

Wir mussten tatsächlich schon einige Reservationen stornieren. Seit dem Beginn der Angriffe verzeichnen wir etwa 20 Prozent weniger Gäste. Das ist allerdings noch verkraftbar. Bei einem Alarm bitten wir die Gäste, sich in aller Ruhe ins Treppenhaus zu begeben. Das sind dann lediglich zwei Minuten, in denen der Betrieb unterbrochen ist. Danach geht es vollkommen normal weiter.   

Verfolgen Sie das Geschehen rund um den Gazastreifen aus der Presse?

Natürlich. Ich informiere mich regelmässig. Was mir auffällt, ist, wie sich die israelische Berichterstattung zum Beispiel von derjenigen in der Schweiz unterscheidet. In Europa scheint die Meinung oft wieder einmal einfach gemacht zu sein: Israel ist der böse Angreifer, die Palästinenser müssen sich verteidigen.

Wünschen Sie sich nicht manchmal, wieder ins beschauliche Zürich zurückzukommen, gerade in solchen Krisensituationen?

Auf keinen Fall. Wenn ich jetzt in der Schweiz wäre, hätte ich das Gefühl, nicht am Ball zu sein. Ich hoffe einfach, dass das Ganze bald aufhört.  

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