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Interview

Die momentanen Zeiten sind eine Hochbelastung für alle. Beziehungen stehen durch die ungewohnte Nähe auf dem Prüfstand, viele Familien geraten sich in die Haare. Peter Sumpf (Porträtbild) vom Zürcher Elternnotruf und sein Team erhalten vermehrt Anrufe verzweifelter und überforderter Eltern. Bilder: istock

Ohne Ventil steigt der Druck

Von: Ginger Hebel

31. März 2020

Familienprobleme:Die Corona-Krise macht uns alle zu Stubenhockern. Diese Situation belastet viele Menschen und führt zu Streiterei und häuslicher Gewalt. Der Zürcher Paar- und Familienberater Peter Sumpf ist Geschäftsführer des Elternnotrufs und berät mit seinem Team verzweifelte und überforderte Eltern. 

Viele Eltern arbeiten derzeit zuhause im Homeoffice, die Kinder haben schulfrei. Was bedeutet diese ungewohnte Situation für Familien?

Peter Sumpf: Es ist eine Tatsache, dass aktuell Spannungen innerhalb der Familien steigen, besonders an den Wochenenden erreichen uns vermehrt Anrufe verzweifelter Eltern. Die Väter sind aktuell viel mehr zu Hause als sonst. So viel Nähe bringt auch Probleme. Alle müssen jetzt lernen, mit der neuen Situation umzugehen.

Was sind die grössten Probleme aktuell?

Gerade alleinerziehende Mütter sind hin- und hergerissen zwischen Arbeit und Kinderbetreuung. Manche Arbeitgeber zeigen kein Verständnis für die Situation. Hinzukommen vermehrt existenzielle Ängste und die Sorge, was mit dem Kind passiert, wenn man als Elternteil erkrankt.

Viele Paare und Familien leben in beengten Verhältnissen. Wie schafft man sich in einer kleinen Stadtwohnung genügend Raum?

Der fehlende Raum ist tatsächlich für viele ein Problem. Da sind Familien im Vorteil, die auf dem Land in einem Haus leben und Möglichkeiten haben, sich auch mal zurückzuziehen. Solange wir bei uns keine Ausgangssperre haben, kann man aber immer noch raus in die Natur gehen. Ich empfehle, alleine einen Spaziergang zu machen für etwas Luft und Raum.

In China hat die Corona-Krise einen Scheidungsboom ausgelöst. Was kann man tun, dass die eigene Beziehung nicht auch in die Brüche geht?

Es mag sein, dass man seinen Partner durch das ständige Zusammensein mit anderen Augen sieht und sich denkt, «nein, das will ich jetzt nicht mehr». Doch die momentane Ausnahmesituation entspricht auch nicht der Realität. Ich würde aktuell davon absehen, weit reichende Entscheide zu fällen.

Die Isolation führt vermehrt zu Streit und häuslicher Gewalt.

Die aktuelle Situation ist natürlich auf eine gewisse Weise «gefährlich». Wenn das Ventil fehlt, steigt der Druck. Im normalen Alltag kann man sich bei Diskussionen aus dem Weg gehen. Man hat Abstand am Arbeitsplatz oder geht sich im Fitnesscenter auspowern. Diskussionen sind jedoch per se nichts Schlechtes. Emotionsgeladene Themen würde ich momentan meiden, um das Nervenkostüm aller zu schonen. Je lauter die Worte, desto grösser die Gefahr, dass man die unterste Schublade zieht und den anderen verletzt. 

Der Teenager wird aggressiv, weil er nicht mehr in den Ausgang und mit Freunden herumhängen darf. Wie löst man dieses Problem?

Teenager suchen immer den Widerspruch und die Diskussion. Konfrontationen sollte man derzeit so gut es geht aus dem Weg gehen. Man darf Anforderungen an die Kinder stellen, sollte als Eltern aber auch einen Schritt zurückmachen. Rituale strukturieren den Alltag. Familien sollten sich einmal am Tag gemeinsam zum Essen am Tisch treffen und die Handys weglegen. Fernschauen, Gamen, auch damit darf man jetzt etwas toleranter sein.

Die Krise fördert die Kreativität. Viele Eltern basteln jetzt mit ihren Kindern. 

Wenn man es gerne macht, ist es ja gut, aber nicht alle basteln und malen gern. Man kann die Kinder aber in die Haushaltsarbeit miteinbeziehen, um sie zu beschäftigen und abzulenken, im Garten arbeiten oder auf dem Balkon gemeinsam etwas pflanzen.

Die Krise zwingt die Gesellschaft zur Entschleunigung. Experten sehen darin auch gute Aspekte.

Ich bin gegenüber diesen Prognosen tendenziell skeptisch. Ich denke, dass die Menschen eher wieder zurückkehren zum gewohnten Lebensstil, sobald sich die Türen wieder öffnen.

Das Osterfest steht vor der Tür. Doch viele Familien können sich nicht sehen und nichts gemeinsam unternehmen. Wie werden es trotzdem schöne Ostern?

Stellen Sie sich die Frage, wie für Sie ein schönes Osterfest aussieht. Wenn Oma und Opa nicht dabei sein können, dann telefonieren Sie miteinander. Es ist jetzt wichtig, im Kontakt zu bleiben und die Medien zu nutzen, die einem dafür zur Verfügung stehen.

Weitere Informationen: 24 Stunden Hilfe und Beratung unter Tel. 0848 35 45 55 (Festnetztarif) www.elternnotruf.ch

Gratis Beratungen

Die Universität Zürich stellt Paaren kostenlos ein Online-Training zur Pflege ihrer Partnerschaft zur Verfügung. «Eine zufriedenstellende Beziehung puffert gegen das Erkrankungsrisiko und geht mit einer schnelleren Genesung einher», sagt Prof. Guy Bodenmann, Entwickler des Paar-Coachings.

Reden hilft immer. Aktuell fehlen aber äussere Reize und Erlebnisse, von denen man einander erzählen kann. Wie findet man jetzt dennoch Gesprächsthemen?

Guy Bodenmann: Ich denke, Gesprächsstoff gibt es ausreichend. Die aufwühlenden Medienberichte, die Ängste um den Partner, die Kinder und andere einem nahestehende Menschen, finanzielle Befürchtungen und existenzielle Sorgen, die für viele intensivere Kinderbetreuung etc. Wichtig ist, dass die Paare diese nun stärker verfügbare Zeit nutzen, um sich auszutauschen, um über das was einen umtreibt mit dem Partner zu sprechen. Diese persönlichen Begegnungen stärken das Paar und festigen das „Wir-Gefühl“. Nun gilt es zusammenzuhalten, sich gegenseitig zu unterstützen, füreinander da zu sein.

Stress ist Gift für jede Beziehung. Kann diese Krise auch eine Chance für die Liebe sein?

Guy Bodenmann: Jede Situation hat immer beide Seiten. Viele Paare haben aktuell mehr Zeit füreinander als sonst. Diese Zeit können sie konstruktiv nutzen, für Dinge oder Aktivitäten, die lange zurückgestellt wurden. Gemeinsame Pläne schmieden, gemeinsam Fotoalben ansehen, mit den Kindern kochen und putzen, Gesellschaftsspiele spielen. Nun gilt es wieder die gemeinsamen Stärken zu entdecken und diese zu leben, als Paar wie auch als Familie.

Weitere Infos: www.paarlife.ch

Alleine? Die Dargebotene Hand unter Tel. 143 ist jederzeit und anonym erreichbar, auch per Mail. Weitere Infos: www.143.ch

 

 

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