mobile Navigation

Interview

Comic: Beni Merk

Sicherheit oder Big-Brother-Staat?

12. November 2019

Schlagabtausch: Eine gute Streitkultur und harte Debatten mit unterschiedlichen Standpunkten – davon lebt die Politik. Deshalb werfen sich im «Tagblatt» alle zwei Wochen zwei Stadtzürcher Parteipräsidenten oder Fraktionspräsidenten in einem Schlagabtausch den Ball zu. Heute fordert Mauro Tuena, Präsident SVP Stadt Zürich und Nationalrat, Andreas Kirstein, Fraktionspräsident AL Stadt Zürich und Gemeinderat, heraus.

Mauro Tuena: Im Frühling 2018 unterstützte der Gemeinderat grossmehrheitlich die Observationsverordnung zu den Sozialdetektiven, um Missbräuche in der Sozialhilfe zu bekämpfen. Die AL focht den Entscheid vor dem Bezirksrat an. Nach dessen Entscheid führt heute das So­zialdepartement in der Sozialhilfe keine Kontrollen mehr durch. Sozialhilfemissbrauch ist somit wieder salonfähig. Wie erklären Sie diesen Sachverhalt der ehrlichen Bevölkerung?


Mauro Tuena (Bild oben)
Jahrgang: 1972
Partei: SVP
Politische Mandate: Nationalrat und Präsident SVP Stadt Zürich
Beruf: Computertechniker
www.mauro-tuena.ch

Andreas Kirstein
Jahrgang: 1963
Partei: AL
Politische Mandate: Gemeinderat und Fraktionspräsident AL Stadt Zürich
Beruf: Stellvertretender Direktor ETH-Bibliothek/ETH Zürich


Andreas Kirstein: Die Rechtssicherheit ist ein hohes Gut und wird auch von ehrlichen Menschen geschätzt. Ohne gesetzliche Grundlage ist das Ausspähen von Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern Willkür. Darum hat auch der Bezirksrat unserem Rekurs stattgegeben. Wären die Mittel bei der Steuerfahndung nicht effizienter eingesetzt?

Mauro Tuena: Steuerdossiers werden bereits heute genau geprüft. Ihr seid im Grundsatz gegen den Einsatz von Sozialdetektiven zur Missbrauchsbekämpfung in der Sozialhilfe. Das zeigte auch die Debatte im Kantonsrat. Ohne Kontrollen liegt die Missbrauchsquote bei 5 Prozent. Das sind in Zürich etwa 15 Millionen Franken.

Andreas Kirstein: Steuergerechtigkeit und deren Durchsetzung sind die wichtigsten Massnahmen für ein gerechtes Gemeinwesen. Umfassende Observationen bei ca. 1 Prozent Verdachtsfällen in der Sozialhilfe der Stadt Zürich hingegen sind unverhältnismässig.

Mauro Tuena: 64,7 Prozent der Bevölkerung wollen Überwachungsmassnahmen. Das zeigt das deutliche Ja der Stimmbevölkerung zu den Sozialversicherungsdetektiven. Auch die Sicherheit im öffentlichen Raum ist der AL egal. Nach schweren Ausschreitungen an der Seepromenade installierte die Polizei Kameras. Ihr seid dagegen.

Andreas Kirstein: Die öffentliche Sicherheit ist in der Stadt Zürich gewährleistet. Die Kriminalitätsrate ist für ein Ballungszentrum auf rekordtiefem Niveau. Die soziale Sicherheit – insbesondere die Möglichkeit, in einer bezahlbaren Wohnung zu leben – steht für die AL deshalb im Vordergrund. Wo ist da der Beitrag der SVP?

Mauro Tuena: Viele konkrete Vorschläge der Polizei zur Eindämmung der ewigen Schlägereien und Messerstechereien, welche jedes Wochenende stattfinden, werden von der AL nicht unterstützt. Mehr Polizeistellen – abgelehnt, Videoüberwachung an neuralgischen Stellen – abgelehnt, Ausschaffung krimineller Ausländer – abgelehnt.

Andreas Kirstein: Alle genannten Vorschläge bekämpfen weder Ursachen noch nachhaltig die Symptome der Gewalt im Ausgang. Die Polizeidichte ist in Zürich überdurchschnittlich, und immer mehr Videoüberwachungen führen letztlich zum Big-Brother-Staat. Ich vermute, das wollen wir beide nicht.

Mauro Tuena: Nein, das will ich auch nicht. Nur punktuell. Ausserordentliche Vorkommnisse erfordern ausserordentliche Massnahmen. Übrigens zur sozialen Sicherheit: Die Stadt macht sehr viel im Bereich des sozialen Wohnungsbaus. Aber Wohnungsbau ist Sache der Privaten. Nur müssen für diese gute Rahmenbedingungen gelten.

Andreas Kirstein: Auch für mich haben Private im Wohnungsbau eine wichtige Rolle. Gerade privatwirtschaftlich organisierte, aber gemeinnützige Genossenschaften schaffen und erhalten zahlbaren Wohnraum. Die gewinnorientierten Privaten müssen wir durch die Mehrwertabschöpfung im Zaum halten.

Mauro Tuena: Die Mehrwertabschöpfung kommt für mich nicht infrage. In der Vergangenheit wurde – trotz Freiwilligkeit – erpresserisch seitens Gemeinderat damit umgegangen. Ich erinnere mich an einen Fall im Kreis 2. Vielmehr soll die planerische Gesetzgebung so angepasst werden, dass private Investoren bauen können.

Andreas Kirstein: Die vom Bund vorgeschriebene Mehrwertabschöpfung ist dank eines Kompromisses zwischen Hauseigentümer-, Mieter- und Gemeindepräsidentenverband bald Gesetz. 40 Prozent der Planungsmehrwerte können bei den Gemeinden verbleiben. Das macht Sinn, tragen sie doch die Hauptlast der notwendigen baulichen Verdichtung.

Mauro Tuena: Gesetzliche Vorgaben sind demokratisch legitimiert. Wenn politische Parteien selber bei Bauwilligen vorstellig werden, geht das zu weit. Danke für das Gespräch.

In der Ausgabe vom 27. 11. 2019 gibt Andreas Kirstein (AL) den Steilpass weiter an Ernst Danner (EVP).

zurück zu Interview

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
3.5 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare