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Interview

Will in den Stadtrat: Richard Wolff von der AL. Bild: PD

Stadtratswahlen 2013. Richard Wolff: "Der Stadtrat könnte einen Schub von links vertragen"

Von: Isabella Seemann

06. Februar 2013

Seit 30 Jahren engagiert sich Richard Wolff in kulturellen, verkehrs- und umweltpolitischen Organisationen wie der Roten Fabrik, dem Mieterverband oder dem Runden Tisch Verkehr und Gesundheit, seit drei Jahren politisiert er für die Alternative Liste im Gemeinderat. Jetzt will der 55-jährige promovierte Geograf, Stadtforscher und Dozent den frei werdenden Stadtratssitz von Martin Vollenwyder, FDP, erobern.

Tagblatt der Stadt Zürich: Herr Wolff, 6 von 9 Stadtratssitzen sind in rot-grüner Hand. Ist Ihnen der Stadtrat noch nicht links genug?

Richard Wolff: Der Stadtrat könnte durchaus noch einen Schub von links vertragen. In wichtigen Fragen der Wohnraum- und Verkehrspolitik, wie der Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus oder der Verschiebung vom Auto- zum öffentlichen und langsamen Verkehr, die von den Stimmbürgern gutgeheissen wurden, geht er zu wenig vehement vor. Hier würde ich mehr Druck machen. Überdies sind rot-grüne Städte in der Schweiz nicht aussergewöhnlich. In Lausanne sind 6 von 7 Sitzen rot-grün, in Genf 4 von 5.

In mehrheitlich rot-grünen Gemeinden, so das Resultat einer kürzlich veröffentlichten Studie des Politgeografen Michael Hermann, stiegen in den letzten zehn Jahren die Ausgaben um 12 Prozent – dreimal stärker als in bürgerlich regierten Städten. In Zürich gar um 19 Prozent. Kann sich die Stadt Zürich noch einen Linken in der Regierung leisten?

Wolff: Ich kenne die Studie nicht und kann mich deshalb nicht dazu äussern. Grundsätzlich lassen sich Zahlen immer unterschiedlich interpretieren. So könnte dieses Ausgabeverhalten auch bedeuten, dass rot-grün regierte Städte reich, erfolgreich und prosperierend sind und sich darum Ausgabesteigerungen leisten können. Zürich hat sehr solide Finanzen und riesige Reserven. Übrigens wurde die AL in der letzten Budgetdebatte als einzige Partei von der NZZ gerühmt für ihre solide Finanzpolitik, weil wir darauf achten, dass die Ausgaben nicht überborden respektive dass sie am richtigen Ort eingesetzt werden, also beispielsweise zuerst für Soziales, Wohnbau und Bildung und erst dann für Leuchtturmprojekte wie den Kunsthaus-Neubau, das Kongresszentrum oder das Fussballstadion.

Gibt Ihnen das starke Ausgaben- und Personalwachstum nicht zu denken?

Wolff: Diese Ausgaben erfolgen aufgrund von Volksentscheiden und auch auf Anweisung des Parlaments, das gegenwärtig bürgerlich dominiert ist. Wir haben den Auftrag, mehr Krippen- und Hortplätze, mehr Polizeistellen, mehr Personal in den Spitälern und so weiter zur Verfügung zu stellen, um die steigende Nachfrage aufgrund des Bevölkerungswachstums zu befriedigen.

Was treibt Sie an, sich politisch zu engagieren?

Wolff: Die Begegnung mit Menschen, die ungerecht behandelt werden, sowie die 80er-Bewegung haben mich politisiert. Geprägt hat mich meine Jugend in Venezuela, wo ich die gewaltigen Unterschiede zwischen Reich und Arm erlebte, sowie meine Familiengeschichte. Mein Vater ist Jude, Teile meiner Familie wurden verfolgt und verloren im Konzentrationslager ihr Leben. Das Engagement gegen Unterdrückung von Minderheiten und Randgruppen, Verfolgung, Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus ist für mich ein zentrales Anliegen, auch in meinem tagespolitischen Geschäft.

Unterziehen Sie Ihre Ideologie auch einer Wirklichkeitsprüfung? Gut gemeint ist bekanntlich das Gegenteil von gut.

Wolff: Oh ja! Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner politischen Arbeit. Zusammen mit VCS, WWF und Heimatschutz sowie der Stadt Zürich habe ich mich für die flankierenden Massnahmen zur Westumfahrung eingesetzt, bis vor Bundesgericht, damit der Verkehr in der Innenstadt reduziert wird. Auf verkehrspolitischer Ebene ist die Beruhigung der Weststrasse ein riesiger Erfolg. Auf sozialpolitischer Ebene nicht, denn die Mieten sind bis um das Dreifache gestiegen, und einige Leute, die für die Beruhigung mitkämpften, haben ihre Wohnungen verloren.

Gentrifizierung, also Quartieraufwertung, ist Ihr Spezialgebiet als Stadtentwickler. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Wolff: Wer sich verkehrspolitisch engagiert, muss immer die sozialen Konsequenzen miteinbeziehen. Selbstredend war mit einer gewissen Erhöhung der Mieten zu rechnen. Doch gerade in den letzten Jahren hat der Druck auf dem Wohnungsmarkt aufgrund der steigenden Nachfrage in einem nicht vorhersehbaren Masse zugenommen. Zukünftig müssen wir bei Verkehrsberuhigungen mit stärkeren flankierenden Massnahmen auch den Wohnraum sichern. Ich bin kein Ideologe. Durch meine Mitarbeit in zahlreichen Basisorganisationen erhalte ich umgehend Rückmeldung, ob eine Idee in der Wirklichkeit ebenso gut ist, wie sie tönt.

Als Stadtforscher analysieren Sie Städte auf der ganzen Welt. Wie steht Zürich im Vergleich zu anderen Städten da?

Wolff: Zürich ist an der Spitze der Globalisierungspyramide. Trotz Krise im Finanzsektor gehört sie zu den wenigen Städten weltweit, die auf der Gewinnerseite stehen, die prosperieren. Das verursacht natürlich auch Druck, gerade auf den Durchschnittszürcher. Wir merken das an den steigenden Mieten, am mangelnden Wohnraum, der Immobilienmarkt ist total überhitzt, viele Leute werden aus der Stadt verdrängt, nach Glattbrugg, in den Thurgau. Das ist die Kehrseite des Erfolgs. Diese ­Verdrängung der Armen und der unteren Mittelklasse, aber auch von mittelständischen Familien aus der Stadt ist dramatisch, sie ist Zürichs grösstes Problem, und es muss jetzt gelöst werden, wenn wir nicht ein Manhattan werden wollen, wo nur noch die Reichsten leben können.

Wo trifft man Sie in Ihrer Freizeit in Zürich?

Wolff: In Theatern, im Kino, in Restaurants, im Wald, am See und an der Limmat. Dieser Tage war ich im Theater Rigiblick und im Theater am Neumarkt. Ich esse gerne auswärts, beim Inder oder in der Pizzeria im Quartier, aber auch im Ziegel au Lac in der Roten Fabrik und in der Brasserie Bernoulli, neben meinem Büro.

FCZ oder GC?

Wolff: FCZ und Borussia Mönchengladbach, Letzterer wegen der Herkunft meiner Mutter.

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Leserkommentare

Ladislav Jirucha - Eigentlich nichts gegen rot-grün, obwohl mir nach Jugenderfahrung nicht gut dabei ist (im Kommunismus aufgewachsen). Doch Herr Wolff, der mit 55 Jahren es nicht weiter brachte, als zu 55000 Steuereinkommen und 28000 Vermögen, ist mir zu viel. Möchte er
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Daniel Münger - Ein Wolff der sich vehement für ein Rosengartentram einsetzen will, dass wir kürzlich abgelehnt haben, hat offensichtlich "demokratischer Volksentscheid" nicht verstanden und ist für mich folglich: Absolut Untragbar! Ein weiterer Schub von Links?
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