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Interview

Spaltet, wenn nicht die Schweiz, so doch die Gemüter: Covidgesetz. Bild: adobestock

Unnötige Machtfülle oder nötiger Handlungsspielraum?

Von: Sacha Beuth

09. November 2021

URNENGANG Am 28. November entscheidet das Stimmvolk, ob es die «Änderung des Covid-19-Gesetzes» annehmen oder, wie von den Referendums-Komitees vorgeschlagen, ablehnen will. Im Vorfeld des Urnengangs hat das «Tagblatt» Esther Guyer (70), Grünen-Kantonsrätin, und Cyrill von Planta (45), GLP-Kantonsrat und Mitbegründer vom «liberalen Zürcher Komitee gegen das Covid-19-Gesetz», zu einem Rededuell geladen. Guyer wirbt für ein Ja, da mit der Änderung demokratisch abgestützte Massnahmen durch den Bundesrat geschaffen wird und sie ein weiterer, wichtiger Schritt aus der Krise sei. Laut Von Planta sind die Änderungen zumeist überholt und würden zudem die Spaltung der Gesellschaft fördern, weshalb er auf ein Nein hofft.

Schon im Juni hatte das Volk nach einem Referendum dem Covid-­19-Gesetz zugestimmt. Nun kommt es nach einigen Änderungen und einem erneuten Referendum wieder an die Urne. Sind die Änderungen tatsächlich so eminent, dass sie eine erneute Abstimmung rechtfertigen?

Esther Guyer: Absolut. Damit werden Bedürfnisse berücksichtigt, die zuvor nicht oder zu wenig geregelt waren wie etwa der Schutzschirm für kulturelle Veranstaltungen und der Profisport. Auch Contact Tracing und das Zertifikat sind nun klar definiert.
Cyrill von Planta: Die zusätzlichen Massnahmen sind, was die epidemiologische Seite betrifft, weitgehend unnötig. Wir haben sie verschärft, obwohl die Zahl der Hospitalisierungen wegen Corona gleichzeitig gesunken ist. Mit dem gegenwärtigen Covid-19-Gesetz werden wild Massnahmen miteinander vermischt. Es wird wirtschaftliche Hilfe gegen die Gefolgsamkeit der Bürgerinnen und Bürger getauscht. Das Hauptproblem aber ist, dass man das Gesetz entgegen den Versprechungen verlängert hat.

Wenige Wochen vor der Abstimmung zur Änderung des Covid-­19-Gesetzes prescht der Bundesrat mit Zertifikats-Erleichterungen für Genesene und einer Impfoffensive noch einmal vor. Inwieweit hat dies Einfluss auf die Abstimmung?

Von Planta: Ich denke, der Einfluss wird relativ gering sein. Mit einer Impfoffensive wird man kaum noch weitere ungeimpfte Personen dazu bringen, sich piksen zu lassen. Wer sich impfen lassen wollte, hat das getan. Damit erübrigen sich aus unserer Sicht weitestgehend die Massnahmen, solange die Situation in den Spitälern unter Kontrolle ist. Dass der Bund mit den Zertifikats-Erleichterungen versucht, noch ein paar Leute auf seine Seite zu ziehen, damit er es bei der Abstimmung leichter hat, ist nicht verwunderlich. Wobei wir hier die Massnahme selbst durchaus befürworten.
Guyer: Das sehe ich natürlich anders. Ein Charakteristikum dieser Pandemie ist, dass sich ständig alles ändert. Dass es viele Bürgerinnen und Bürger schwer haben, sich auf diese Änderungen einzustellen, kann ich nachvollziehen. Aber dass auch gewisse Politikerinnen und Politiker damit Mühe haben, dafür fehlt mir das Verständnis. Ständig gibt es neue Erkenntnisse, also muss man auch ständig reagieren. Der Bundesrat tut dies auch und zwar in einer Art und Weise, die löblich ist. Er lässt – wie eben bei den Zertifikatserleichterungen für Genesene – neue Erfahrungswerte miteinfliessen. Was es aber braucht, ist eine gute Information. Es wurde zu wenig erklärt. Und hier sehe ich das bislang grösste Defizit der Kampagne des Bundesrates.
Von Planta: Richtig. Nur glaube ich, dass Frau Guyer daraus die falsche Folgerung zieht. Der Bundesrat hat nicht nur zu wenig transparent, sondern auch zu wenig ehrlich kommuniziert. Er stellt seine Massnahmen sehr gerne als Allheilmittel dar und hernach sind die Leute enttäuscht, dass die Massnahmen nicht oder nicht in ausreichender Form geholfen haben. Das ist gerade bei der Covid-Impfung ein Riesenproblem, wo praktisch alles über das Vertrauen in die Behörden geht. Und man kann ein «Produkt» nun mal nicht über Zwang – sei er nun direkt oder indirekt – verkaufen. Ohne diesen Zwang hätten wir eine viel höhere Impfrate, davon bin ich überzeugt. Stattdessen wird mit dem Impfzwang ein Grundrecht tangiert, nämlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Guyer: Also das kann ich jetzt nicht so stehen lassen. Es gibt keinen Impfzwang. Man kann testen, man ist genesen – das 3G-Prinzip. Man hat die Wahl, muss aber auch die Konsequenzen tragen. Das ist im Leben immer so. Trotzdem: Wenn wir so gut und so schnell wie möglich aus der Pandemie rauskommen wollen, dann führt dies nur über die Impfung. Grundrechte werden von manchen fast totalitär zitiert. Es gilt aber das Verhältnismässigkeitsprinzip. Deren Kern muss zwar immer erhalten bleiben, doch in speziellen Situationen muss man den Rahmen anpassen können, wenn es wie jetzt bei der Corona-Pandemie von öffentlichem Interesse ist.

Anfangs wurde im Hinblick auf die Abstimmung behauptet, es gebe für das Covid-Zertifikat keinen Plan B für eine international gültige Lösung. Dann musste der Bundesrat zugeben, dass Auslandreisen auch bei einem Nein möglich wären («NZZ am Sonntag» vom 17.10.). Und nun wird für Genesene sogar eine eigene, rein schweizerische Lösung präsentiert. Wie passt das zusammen?

Guyer: Es passt zusammen, da die Schritte Erkenntnisse der Entwicklung widerspiegeln. Kommt hinzu, dass hier Vorgaben und plötzliche Änderungen von anderen Ländern eine Rolle spielen können, auf die der Bundesrat keinen Einfluss hat.
Von Planta: Es passt in der Tat nicht zusammen und zeigt einmal mehr, dass der Bundesrat unehrlich ist.

Warum kann sich der Bundesrat nicht auch künftig im Pandemiefall auf das Notrecht stützen, wie er dies zu Beginn der Covid-Krise teilweise tat?

Guyer: Wir haben zwar ein Epidemiengesetz, das dem Bundesrat gewisse Rechte gibt. Durch das Notrecht kann der Bundesrat aber direkt eingreifen, doch ist dies heikel, da ihm der Segen des Parlaments fehlt. Mit dem Covidgesetz kann der Bundesrat hingegen sowohl umgehend als auch demokratisch abgestützt handeln.
Von Planta: Jetzt kommen wir zu einem interessanten Punkt, nämlich, dass die Machtfülle des Epidemiengesetzes dem Bundesrat offenbar nicht gut genug war. Das sollte einem eigentlich zu denken geben und ist alleine Grund genug, das Covid-Gesetz abzulehnen.

Stecken in der Änderung des Gesetzes nicht zu viele Aspekte, die man auch hätte gesondert regeln können. Oder anders gefragt: Warum muss man die Datenverfolgungs-Kröte (Contact Tracing) schlucken, wenn man nur eine Ausweitung bei Finanzhilfen für Pandemie-Betroffene will?

Von Planta: Es ist genau einer der Fehler, die wir im Covid-Gesetz haben, dass diese Dinge miteinander verbunden worden sind.
Guyer: Wir befinden uns in einer besonderen Lage. Und besondere Umstände erfordern besondere Massnahmen. Und die nächste grosse Krise, die Klimakrise, steht schon vor der Tür. Um die zu bewältigen, werden wir auch viele Dinge zusammenmischen müssen.
Von Planta: Wir sind nach zwei Jahren Corona eben nicht mehr in einer besonderen Situation. Wir wissen jetzt sehr viel mehr und darum sind derartige Hauruckmassnahmen auch nicht mehr gerechtfertigt. Deswegen muss jetzt das Gesetz versenkt und durch Regelungen ersetzt werden, die einen längerfristigen Zeithorizont haben.
Guyer: Wenn wir es versenken, dann muss man früher oder später wieder aufs Reisen und den Besuch von Events verzichten und es wird unter Umständen wieder zu Restaurant- und Barschliessungen kommen. Und das will ich auf keinen Fall.

Nicht wenige Personen befürchten, dass das Gesetz zu einer massiven Überwachung der Bürger und zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt. Zu Recht?

Von Planta: Bezüglich der Spaltung der Gesellschaft auf jeden Fall, da ein grosser Teil der Bevölkerung die Impfung und / oder repetitives Testen ablehnt. Persönlich sehe ich auch bei der Überwachung ein Problem, kann hier jedoch nicht für das ganze «liberale Zürcher Komitee gegen das Covid-19-Gesetz» sprechen.
Guyer: Die Spaltung der Gesellschaft wird herbeigeredet und -geschrieben. Es macht mir Sorgen, dass viele Leute das Vertrauen in den Staat und in die Demokratie verloren haben. Die bis anhin getroffenen Massnahmen sind für die Gesellschaft insgesamt wichtig und angemessen. Das Zertifikat gilt in Fachkreisen als sehr sicher und datenschutzkonform, ebenso das Contact Tracing. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Leute ein Handy haben, kommt mir die Angst vor Überwachung ausschliesslich wegen Zertifikat oder Contact Tracing zudem etwas merkwürdig vor.

Zusammengefasst in zwei, drei Sätzen: Warum muss das Covid-Gesetz unbedingt angenommen beziehungsweise zwingend abgelehnt werden?

Von Planta: Weil mit dem Rückgang der Hospitalisierungen Milderungen und nicht Verschärfungen der Massnahmen angesagt sind. Die zusätzlichen Kompetenzen des Bundesrats durch das Volk beendet werden müssen, da er dies von sich aus nicht macht. Und weil ich persönlich nicht in einem Land leben will, in dem man mehrmals am Tag ID und Zertifikat zeigen muss, um trivialste Dinge zu machen.
Guyer: Weil es sehr gute Dinge wie die Ausweitung der Finanzhilfe für Kulturinstitute oder Erwerbsersatz für Selbständigerwerbende beinhaltet sowie Zertifikat und Contact Tracing regelt. Und es ist ein weiterer Schritt, um aus dem Krisenzustand zu kommen.

Änderung des Covid-19-Gesetzes: Die wichtigsten Infos

Ausgangslage: Um Menschen und Unternehmen vor der Corona-Pandemie zu schützen, musste und muss der Bundesrat rasch und weitreichend handeln können. Anfangs stützte er sich dafür zum Teil auf das Notrecht. Seit das Parlament im September 2020 das Covid-19-Gesetz verabschiedete, legt dieses fest, mit welchen zusätz- lichen Massnahmen der Bundesrat die Pandemie bekämpfen und wie er wirt- schaftliche Schäden eindämmen soll. Als Reaktion auf die Entwicklung der Krise wurde das Gesetz mehrmals angepasst. Nach einem Referendum nahm die Stimmbevölkerung das Gesetz am 13. Juni 2021 mit 60 Prozent an. Am 28. November wird ein Teil des Gesetzes erneut zur Abstimmung vorgelegt, nachdem ein weiteres Referendum zustande gekommen ist. Es geht dabei um die Anpassungen, die das Parlament im März 2021 beschlossen hat.

Die Vorlage zusammengefasst / geplante Umsetzung: Die Änderungen des Gesetzes vom März 2021 sehen einerseits vor, dass Finanz- hilfen auf Betroffene ausgeweitet werden, die bis dahin nicht oder zu wenig unterstützt werden konnten. Darunter fallen Härtefallhilfen auf zusätzliche Unternehmen, die wegen der Pandemie vorübergehend schliessen mussten oder hohe Umsatzeinbussen erlitten, die Ausweitung des Erwerbsersatzes für Selbstständigerwerbende (Anspruch auf Corona-Erwerbsersatz hat neu, wer einen Umsatzrückgang von 30 statt wie vorher 40 Prozent hat), die Finanzhilfen für Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung sowie für Kultur und Kulturschaffende und weniger strenge Bedingungen für Finanzhilfen an Profisportklubs. Andererseits wurde das Contact Tracing zum Unterbrechen der Ansteckungsketten weiterentwickelt und es wurde festgelegt, dass der Bund Covid-Tests fördert und deren Kosten übernehmen kann. Und der Bund kann die Kantone dazu verpflichten, die Rückverfolgung von Infektionen zu verbessern. Das Parlament schuf zudem die gesetzliche Grundlage für das Covid-Zertifikat für Genesene, Geimpfte und Getestete, um Auslandreisen zu erleichtern und bestimmte Veranstaltungen zu ermöglichen. Wichtig: Die Abstimmung dreht sich nur über die Änderungen vom März 2021, gegen die das Referendum ergriffen wurde. Das heisst, dass bei einem Nein auch nur diese am 19. März 2022 ausser Kraft gesetzt werden. Der Rest des Covid-Gesetzes bleibt bestehen.

Das sagen die Befürworter: Das mehrmals angepasste Covid-19-Gesetz erlaubt es, Menschen und Unternehmen besser zu schützen. Die Anpassungen vom März 2021 weiten die wichtige wirtschaftliche Hilfe aus und schliessen Unterstützungslücken. Das Covid-Zertifikat vereinfacht Auslandreisen und ermöglicht die Durchführung bestimmter Veranstaltungen.

Das sagen die Gegner: Nebst den Referendum-Komitees sind auch die SVP und die EDU sowie Einzelpolitiker aus praktisch allen Lagern gegen die Gesetzesänderung vom März 2021. Sie halten sie für spaltend, unnötig und extrem. Die Änderungen würden zu einer massiven Überwachung führen und Ungeimpfte vom gesellschaftlichen Leben ausschliessen. Zum Schutz vor Covid oder anderen Krankheiten genügen nach Ansicht der Gegner die bestehenden Gesetze.

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