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Interview

Untersuchte für den Schweizer HR-Barometer, wie die Arbeitnehmer ihre Beziehung zum Arbeitgeber sehen: ETH-Forscherin Gudela Grote. Bild: SB

«Unternehmen sollten Sorgen der Angestellten ernst nehmen»

Von: Sacha Beuth

08. November 2016

Forscher der ETH und der Universität Zürich haben im neusten Schweizer HR-Barometer untersucht, wie Arbeitnehmer ihre Beziehung zum Arbeitgeber sehen. Ergebnis: Ein Drittel der Beschäftigten ist mit der Situation unzufrieden, fühlt sich aber dennoch mit dem Unternehmen verbunden, wie Gudela Grote von der ETH erzählt.

Gemäss Ihrer Studie für den Schweizer HR-Barometer ist jeder dritte Arbeitnehmer mit seinen Vorgesetzten und Kollegen unzufrieden. Warum?

Gudela Grote: Das hat viele Gründe. Ein Hauptgrund sind sicher enttäuschte Erwartungen. Dem Arbeitnehmer wurden Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten wurden, oder aber er hat selbst Umstände vorausgesetzt, die dann nicht erwartungsgemäss eingetreten sind. Weitere Gründe sind die Arbeitsplatzunsicherheit oder die Angst, dass sich die Arbeit negativ verändern könnte und die Belastung steigt.

Welche Versprechen wurden denn konkret nicht eingehalten?

Hier muss ich vorausschicken, dass wir für diesen Punkt Themen vorgegeben haben, die Befragten also nicht frei Angaben machen konnten. Anhand dieser Vorgaben zeigt sich, dass beim Lohn und bei den Wei­terentwicklungsmöglichkeiten die grössten Diskrepanzen herrschen.

Die Studienteilnehmer reagieren oft mit Spott und Zynismus auf die Situation, geben aber mehrheitlich an, sich mit ihrem Unternehmen verbunden zu fühlen. Sind wir Schweizer alles Lügner oder Masochisten?

Das sicher nicht. Zynismus entsteht etwa, wenn wir erleben, dass Taten und Worte im Unternehmen nicht zusammenpassen. Gleichzeitig sehen wir aber auch positive Aspekte bzw. hoffen, dass sich die Situation bessert. Dadurch behalten wir die Verbundenheit zum Unternehmen.

Warum aber Zynismus? Warum sucht man nicht das Gespräch oder haut einmal auf den Tisch?

Wir haben in der Studie nicht nach anderen Verhaltensweisen gefragt. Grundsätzlich schliesst zynisches Verhalten ja nicht aus, dass man auch das Gespräch sucht oder auf den Tisch haut. Aber Zynismus selbst kann auch schon ein Ventil für Enttäuschungen sein. Man weiss zwar, dass sich die Situation nicht verbessert, aber man hat seinem Ärger wenigstens etwas Luft gemacht.

Liessen sich bezüglich Regionen, Alter oder Geschlechter Unterschiede feststellen?

Unsere Auswertung zeigt, dass Jüngere eher zu Zynismus neigen als Ältere. Das hat damit zu tun, das sich jüngere Personen eher nach ihren eigenen Vorstellungen weiterentwickeln wollen, höhere Erwartungen haben und sich weniger scheuen, unbequeme Fragen zu stellen. Bezüglich der Geschlechter gab es in diesem Punkt keine signifikanten Unterschiede. Nach Regionen haben wir die Antworten nicht ausgewertet.

Kann man bei den Reaktionen auf die aktuelle Studie Tendenzen herauslesen?

Was man generell sagen kann, ist, dass die Anzahl der Personen, die resignieren, steigt und die Autonomie der Beschäftigten eher sinkt. Dafür steigt auf der anderen Seite die Aufgabenvielfalt.

Welche Auswirkungen hat ein solches Verhalten für den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber?

Mehr Zynismus geht mit höheren Kündigungsabsichten und geringerer Verbundenheit mit dem Unternehmen einher. Ob dann tatsächlich gekündigt wird, ist damit allerdings nicht gesagt. Macht aber eine grössere Zahl von Beschäftigten Ernst, dann kann es zu hoher Fluktuation und Verlust von wertvollem Knowhow kommen. Das kann nicht im Interesse des jeweiligen Unternehmens sein.

Was können oder besser sollten Unternehmen tun, um vom Angestellten wieder in positiverem Licht gesehen zu werden?

Das A und O ist, dass sie die Sorgen der Angestellten ernst nehmen. Nicht selten führen Unternehmen Mitarbeiterbefragungen durch, ohne sich hinterher um deren Ergebnisse zu scheren. Wenn sich abzeichnet, dass berechtigte Erwartungen der Beschäftigten nicht erfüllt werden können, sollten Vorgesetzte immer versuchen zu erklären, warum eine bestimmte Vereinbarung nicht oder zumindest momentan nicht eingehalten werden kann.

Und was kann der Arbeitnehmer dazu beitragen?

Er sollte seine Erwartungen immer klar kommunizieren. Wie kann das Unternehmen und/oder der Vor­gesetzte sonst wissen, was gerade auf seinem «Weihnachtsgeschenk-Wunschzettel» steht? Und man sollte sich auch immer fragen, ob die eigenen Erwartungen auch realistisch sind.

Zur Person

Gudela Grote, geboren am 4. 12. 1960 in Wiesbaden (D), studierte an der Uni Marburg und der Technischen Universität Berlin Psychologie. Nach der Promotion 1987 in den USA kam sie zur ETH Zürich und ist dort seit 2000 Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie.

Der Schweizer HR-Barometer

Der Schweizer HR-Barometer erfasst, wie Angestellte in der Schweiz ihre Arbeitssituation erleben. Erhoben werden etwa Themen wie gegenseitige Erwartungen und Angebote von Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Bestandteil der Arbeitsbeziehung, Arbeitsgestaltung und Personalentwicklung, Führung, Arbeitszufriedenheit, Arbeitsmarktfähigkeit und Karriereorientierung. Der HR-Barometer 2016 widmet sich dem Thema Loyalität und Zynismus. Die Grundlage bildet eine Befragung von 1506 Angestellten, basierend auf dem Stichprobenregister des Bundesamtes für Statistik. Herausgeber der Studie sind Prof. Gudela Grote (ETH) und Prof. Bruno Staffelbach (Universität Zürich).

www.hr-barometer.ethz.ch

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