mobile Navigation

Interview

Ende der Labormaus? Die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» will Tierversuche nur noch in Ausnahmefällen zulassen. Bild: Adobe Stock

Unverzichtbare Methode zum Wohle aller oder unnütze Quälerei?

Von: Sacha Beuth

11. Januar 2022

URNENGANG Die eidgenössische Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot», über die am 13. Februar abgestimmt wird, erhitzt aus wissenschaftlicher und wirtschaftlicher wie ethischer Sicht die Gemüter. Im «Tagblatt»-Interviewduell messen sich dazu Renato Werndli (68), Co-Präsident des Initiativkomitees und Arzt in Zürich, und Frank Rühli (50), FDP-Gemeinderat und Professor an der medizinischen Fakultät der Uni Zürich. Ersterer befürwortet die Initiative, da Tierversuche fast keinen Nutzen, dafür aber viel Leid bringen würden. Letzterer setzt sich für ein Nein ein, weil Tierversuche ein wesentliches Element bei der Forschung nach neuen Medikamenten seien, die sowohl Menschen wie Tieren dienen.

Sowohl Nationalrat wie Ständerat haben im Vorfeld der Volksabstimmung die Initiative radikal abgelehnt. Es gab in beiden Kammern nicht eine einzige Jastimme. Selbst Tierschutzorganisationen lehnen sie ab. Wie werten Sie dieses Votum?

Renato Werndli: Es zeigt, dass zu wenig auf die Ethik und auch zu wenig auf die Wissenschaft geachtet wird. Im Gegensatz zu den Abstimmungskämpfen in den 90er Jahren können wir inzwischen belegen, dass Tierversuche auch in wissenschaftlicher Hinsicht schlecht abschneiden. Dies belegen über 80 Berichte von Metaforschern – das sind Forscher, die Forschungsmethoden auf ihren Zweck und ihre Nützlichkeit untersuchen. Diese kommen zum Schluss, dass die Methode Tierversuch unzulänglich ist, weil das «Messgerät» ein Lebewesen ist, das Emotionen und Launen hat. Es kann somit keine stabilen Resultate liefern und folglich ist keine reproduzierbare Forschung möglich.
Frank Rühli: Die Tatsache, dass das Parlament, alle wesentlichen Parteien, alle Universitäten, Patienten- und Tierschutzorganisationen gegen die Vorlage sind, spricht für sich. Sie zeigt, dass die Initiative absolut extrem und damit auch unschweizerisch ist. Sie verhindert die medizinische Forschung und Innovationen. Sie ist wirtschaftsfeindlich und führt direkt zu Verlusten von sehr wertvollen Arbeitsplätzen. Auch muss ich bezüglich des Vorwurfs der mangelnden Eignung des Versuchsobjekts Tier widersprechen. Es ist viel besser geeignet, als wenn man nur Versuche mit Computersimulationen macht oder nur einzelne Zelllinien oder Zellkulturen untersucht, was teilweise von Tierversuchsgegnern vorgeschlagen wird.

Warum?

Rühli: Das lebende Tier ist näher beim Menschen, es gibt Organe, die gleich aufgebaut sind und gleichwertige Reaktionen zeigen. Und wie der Mensch zeigt es Variabilität. Wenn man Forschung an 100 Menschen betreibt, gibt es dort auch Unterschiede. Genau darum kann man nicht einfach nur einen Roboter für Versuche verwenden.
Werndli: Wenn ein Tier das bessere «Messgerät» sein soll als ein Computer, dann hätte ich das gerne belegt. Es ist doch keine seriöse Forschung, wenn man derart instabile Resultate bekommt. Die Forscher, die Tierversuche anwenden, haben nie untersucht, ob diese Methode eine gute Methode ist oder nicht.
Rühli: Es ist nun mal eine Tatsache, dass in der Medizin gerade dank Tierversuchen enorme Fortschritte erzielt wurden. So basieren so gut wie alle Immun- oder Krebstherapien, ja sogar Operationstechniken darauf. Dank ihnen konnten diverse Impfstoffe, etwa gegen die jährliche Grippewelle oder aktuell gegen Corona, entwickelt werden. Die ganze Bandbreite der Medizin wäre schlicht nicht denkbar, wenn es nicht über Jahrzehnte extrem gut validierte und extrem gut kontrollierte Versuchsanordnungen gäbe, und da ist der Tierversuch zwar nicht das einzige, aber eines der wesentlichen Elemente. Und die Erkenntnisse kommen oft nicht nur den Menschen, sondern auch in der Tiermedizin und damit den Tieren selbst zugute.
Werndli: Wenn man behauptet, die Fortschritte in der Medizin verdanke man Tierversuchen, dann ist das eine Behauptung, die man nicht belegen kann. Ich behaupte das Gegenteil und sage, wir wären sogar noch weiter, wenn wir schon immer auf Tierversuche verzichtet und stattdessen stabilere Methoden angewandt hätten.

Im Initiativtext werden Tier- und Menschenversuche zusammengepackt. Wird auch hier der Stimmbürger wie so oft gezwungen, etwas anzunehmen oder abzulehnen, was er in dieser Form gar nicht will?

Rühli: Hier wird auf einen wichtigen Punkt hingewiesen. Der Initiativtext ist sehr undifferenziert, sehr global und lässt keine Alternativen zu. Letzteres kann weder im Sinn der Forschenden und schon gar nicht im Sinne des Patienten sein.
Werndli: Der Stimmbürger lehnt ein Tierversuchsverbot wohl nur darum ab, weil ihm jahrzehntelang eingetrichtert wurde, dass es ohne nicht geht. Rein ethisch gesehen würden wohl die meisten Leute sowohl Tier- wie Menschenversuche ablehnen.

Mit einem «Ja» soll unter anderem verhindert werden, dass in der Schweiz nebst Tieren auch nichtzustimmungsfähige Menschen für Experimente missbraucht werden. Ist dies nicht ohnehin schon verboten beziehungsweise wo genau findet dieser Missbrauch statt?

Werndli: Es ist leider nicht per se verboten. So steht in Artikel 118C der Bundesverfassung – den wir entfernen lassen wollen –, dass man an urteilsunfähigen Personen Forschung betreiben darf, wenn man die gleiche Forschung nicht auch an urteilsfähigen Personen durchführen kann, wobei diese dann möglichst wenig belastet werden sollten. Inwieweit dies in der Praxis tatsächlich Anwendung findet, entzieht sich meiner Kenntnis.
Rühli: Es ist hier wichtig, anzuschauen, was sich hinter dem Begriff urteilsunfähig verbirgt. Urteilsunfähig ist etwa eine Person, die dement ist. Wenn Sie beispielsweise ein besseres Mittel gegen Demenz wollen, dann müssen Sie dies an entsprechend erkrankten Personen testen.
Werndli: Genau dafür würden wir als Ausnahme ja die «Erstanwendung» zulassen. Damit ist ein Therapieversuch an einer erkrankten Person gemeint. Verboten werden sollen aber Versuche an Menschen, die gesund sind.
Rühli: Der Begriff ist juristisch offenbar nicht so ganz eindeutig. Und wenn wir dies zulassen würden, wäre das sogar kontraproduktiv, weil dann Einzelanwendungen gemacht werden, die keine wissenschaftliche Basis haben.

Was ist mit Versuchen ausserhalb des medizinischen und biologischen Spektrums. Besteht bei einem Ja die Gefahr, dass etwa auch Forschung in der Psychologie verboten wird?

Rühli: Genau. Wie ich schon erwähnte, wird bei einer Annahme der Initiative nicht nur die medizinische Forschung behindert, sondern ebenso die Psychologie, der Pflegebereich oder die Wirtschaft, um nur einige zu nennen. Auch sind dann Produkte, die durch Tierversuche entstanden sind, nicht mehr erhältlich.
Werndli: Psychologie ist ein Gebiet, bei dem es ohnehin keine Tierversuche braucht, weil sie nutzlos sind.

Der Nutzen von Tierversuchen ist schon seit längerem umstritten. Um eine Erprobung der Substanzen kommt man aber nicht herum. Was wären die Alternativen?

Werndli: In erster Linie Biochips mit Zellkulturen, Organkulturen oder Gewebekulturen. Oder die Mikrotumortechnologie, bei der man Krebszellen zum Wachsen bringt. Aber auch Computersimulationen. Alles tierleidfreie Methoden. Wir sind überzeugt, dass sich damit mindestens genauso gute, wenn nicht bessere Forschungsergebnisse erzielen lassen als mit Tierversuchen. Ein Beispiel: In Deutschland gibt es pro Jahr 8000 Todesfälle wegen Medikamentennebenwirkungen. Alle Tierversuch-getestet. Bei so vielen Toten kann die Methodik nicht stimmen.
Rühli: Gerade die Tatsache, dass es auch negative Resultate gibt, zeigt, dass wir auf alle möglichen Methoden angewiesen sind, die uns Informationen zur Entwicklung eines Medikaments bieten können. Abgesehen davon wählt ein Forscher den Tierversuch nicht aus einer Laune heraus – zumal ein solcher meist ein langwieriges oder umständliches Bewilligungsverfahren und oft auch negative Publicity nach sich zieht – sondern weil er sich davon die besten Resultate verspricht.

Der Bund befürchtet, dass bei einer Annahme der Initiative viele Unternehmen ihre Forschung und Entwicklung und damit Arbeitsplätze ins Ausland verlagern würden. Zu Recht?

Werndli: Der einzelne Forscher wird kaum deswegen ins Ausland gehen, da die Schweiz insgesamt für ihn persönlich immer noch viele Vorteile bietet. Zudem ist es nur eine von unzähligen Methoden, die dann wegfallen würde. Bei einer Annahme der Initiative würden die Forschenden bereits am nächsten Tag mit Alternativen arbeiten. Dass einzelne Firmen abwandern, ist möglich, aus ethischen Gesichtspunkten aber in Kauf zu nehmen.
Rühli: Zu Recht. Und nicht nur Firmen. So sind Forscher allgemein sehr mobil. Es ist für sie ein Gütezeichen, an verschiedenen internationalen Institutionen tätig gewesen zu sein. Können sie in der Schweiz keine sinnvolle und gut reglementierte Forschung betreiben, dann wandern sie ab. Der Gesundheits- und Medizinalstandort Zürich wäre massivst gefährdet.

Zusammengefasst in zwei, drei Sätzen. Warum ist die Initiative unbedingt anzunehmen beziehungsweise abzulehnen?

Rühli: Sie ist abzulehnen, weil sie zum einen extrem und radikal ist, da sie ein ganz wesentliches Element der Forschung verbieten will. Sie verhindert so den Fortschritt der Medizin. Damit schadet sie letztendlich jedem Einzelnen von uns.
Werndli: Sie ist anzunehmen, gerade weil sie extrem ist und für eine konsequente Abschaffung der Tierversuche sorgt. Denn Tierversuche sind eine wissenschaftlich schlechte Forschungsmethode und zudem ethisch nicht akzeptabel.

Tierversuchsverbots-Initiative: Die wichtigsten Infos

Ausgangslage:
Wie in vielen anderen Ländern sind Tierversuche in der Schweiz grundsätzlich erlaubt. Sie werden vorab eingesetzt, um Medikamente und Therapien zu entwickeln, mit denen Krankheiten sowohl von Menschen wie von Tieren besser behandelt werden können. Schon heute hat die Schweiz eines der weltweit strengsten Gesetze für Tierversuche: Jedes Gesuch für einen Tierversuch wird von einer kantonalen Tierversuchskommission, in denen auch Tierschutzorganisationen vertreten sind, geprüft. Ein Tierversuch wird nur bewilligt, wenn die Ergebnisse nicht auf anderem Weg erzielt werden können. Auch muss der Nutzen für die Gesellschaft die Belastung der Tiere rechtfertigen. Tierversuche für Kosmetikprodukte in der Schweiz werden grundsätzlich nicht bewilligt. Die Forscherinnen und Forscher dürfen in ihren Versuchen nur mit so vielen Tieren arbeiten wie unbedingt nötig, und sie müssen deren Belastungen so gering wie möglich halten.

Die Vorlage zusammengefasst / geplante Umsetzung:
Die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt» fordert ein generelles Verbot von Tierversuchen. Produkte, die unter Anwendung von Tierversuchen entwickelt wurden, sollen zudem nicht mehr importiert werden dürfen. Weiter wird verlangt, dass Forschung, die ohne Tierversuche auskommt, mindestens dieselbe staatliche Unterstützung erhält wie heute diejenige mit Tierversuchen. Auch sogenannte Menschenversuche sollen verboten werden. Als einzige Ausnahme sehen die Initianten die sogenannte «Erstanwendung» vor. Damit bezeichnen die Initianten Anwendungen mit neuen Substanzen an Tier und / oder Mensch, wenn diese im überwiegenden Interesse der betroffenen Menschen und Tiere liegen, erfolgversprechend sind sowie kontrolliert und vorsichtig vollzogen werden. Inwiefern sich eine solche «Erstanwendung» von Versuchen unterscheidet, ist in der Initiative nicht definiert.

Das sagen die Befürworter:
Für die Initianten war und ist es unentschuldbar, wenn nichtzustimmungsfähige Tiere und ebensolche Patienten für Experimente missbraucht würden. Unzählige Metastudien hätten bewiesen, dass weder ein Tier noch ein Mensch verlässliche Vorhersagen für ein anderes Lebewesen liefern kann. Von 100 Wirkstoffen würden 95 im Menschenversuch versagen, trotz scheinbar erfolgversprechender Ergebnisse im Tierversuch. Die Initiative fördert und fordert sichere Erstanwendungen und ethisch faire, fundierte Vorbereitungen. Bislang hat sich noch keine Partei für die Initiative ausgesprochen.

Das sagen die Gegner:
Bei Annahme der Initiative gäbe es in der Schweiz keine neuen Medikamente mehr, die mit Tierversuchen entwickelt werden, weder für Menschen noch für Tiere. Dazu gehören auch Impfstoffe. Die Forschung sowie die Entwicklung von Medikamenten oder anderen Produkten wie Pflanzenschutzmitteln würden eingeschränkt und möglicherweise ins Ausland verlagert. Das Land wäre vom weltweiten medizinischen Fortschritt abgeschnitten. Bundesrat, Parlament, SVP, Grüne und FDP empfehlen darum die Ablehnung der Initiative.

zurück zu Interview

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare