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Interview

In der Zürcher Ultra-Szene ist Feuer unterm Dach. Bild: Reto Oeschger, TA-Archiv

«Vorfälle in Zürich sind eine lokale Ausnahme»

Von: Sacha Beuth

05. Dezember 2017

Die Auseinandersetzungen zwischen FCZ- und GC-Ultras haben sich zuletzt gehäuft und teilweise in den Alltag ausgeweitet. Verstärkter Dialog könnte laut Christian Wandeler (43), Geschäftsführer Fanarbeit Schweiz, die Situation entschärfen.

Rund ein Dutzend Mitglieder der GC-Ultra-Gruppierung Blue White Bulldogs hatten vor einer Woche laut einem Bericht des «Tages-Anzeigers» in der Sporthalle Leimbach Fussball gespielt, als sie von 20 bis 30 vermummten Personen angegriffen und verprügelt wurden. Unter Szene­kennern ist es ein offenes Geheimnis, wer die Täterschaft war: FCZ-Ultras. Der Zwischenfall ist bislang der letzte einer ganzen Reihe von gewalttätigen Aktionen, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten zwischen den beiden Fanlagern ereignet haben.

Hat Zürich ein Ultra-Problem?

Christian Wandeler: Ein Ultra-Problem würde ich das nicht nennen. Die Rivalität zwischen den beiden Fanlagern hat sich offenbar zugespitzt.

Wie erklären Sie sich, dass FCZ- und GC-Fans in die meisten ­Gewaltvorfälle dieser Saison verwickelt sind?

Ob das so ist, kann ich nicht abschätzen. In den letzten Jahren hatten wir national eher weniger Vorfälle, allerdings mit einigen massiven Ausreissern, die dann auch medial für Aufmerksamkeit sorgten. Zu denen zählen etwa die Vorfälle in Basel im September dieses Jahres, als FCZ-Fans vor der Rückfahrt im Bereich der Bahnhöfe Muttenz und Pratteln Umgebungsschäden von rund einer Viertelmillion Franken anrichteten.

Laut Aussagen von Markus Jungo von der Polizeilichen Koordinationsplattform Sport sind die Fans grundsätzlich gewaltbereiter als früher.

Das kann ich so nicht bestätigen. Vorfälle wie in Zürich, wo es auch zu Gewalt im Alltag kommt, sind eine lokale Ausnahme. Dergleichen ist mir aus anderen Regionen der Schweiz nicht bekannt. Ich glaube, dass das Thema in der öffentlichen Wahrnehmung einen höheren Stellenwert geniesst und heute Vorfälle diskutiert werden, die man früher nicht beachtet hätte. Die Verbreitung der Ultra-Kultur hat übrigens auch Gutes mit sich gebracht. Weil die Gruppierungen in Sachen Nationalität und sozialer Herkunft so heterogen sind, haben entsprechende Diskriminierungen in den Stadien massiv abgenommen.

Worin unterscheiden sich Ultra-Gruppierungen generell von Hooligans oder «normalen» Fans?

Eine klare Linie zu ziehen, ist praktisch nicht möglich. Grundsätzlich verstehen sich Ultras als der 12. Mann ihres Teams, für dessen Unterstützung sie alles geben. Ausserdem herrscht zwischen den einzelnen Ultras eine Art Wettbewerb, wer die beste Choreo oder Pyroshow bietet, die kreativsten Transparente zeigt oder wer am lautesten sein Team unterstützt. Dazu zählt bei einigen auch, ausserhalb des Stadions herauszufinden, welche Ultras die Stärksten sind. Der klassische Hooligan will sich bewusst mit Gleichgesinnten schlagen. Ultras sind kritisch gegenüber der Kommerzialisierung, gut organisiert und meistens an ihren Szenenkleidern erkennbar.

Aus welchen Gründen wenden sich Personen Ultra-Gruppierungen zu?

Der Hauptgrund ist die Aussicht auf ein Abenteuer – egal, wie es dann ausgeht. Man ist Teil der Inszenierung im Stadion, misst sich mit anderen. Das gilt gerade bei Personen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren, die den Hauptteil der Ultra-Szene bilden, als cool. Auch geniessen Zusammenhalt und das Einstehen für eine Sache bei vielen einen hohen Stellenwert.

Was teilweise aber auch zu Racheaktionen und dem Anziehen der Gewalt­spirale führt.

In der Ultra-Szene gibt es mal engere, mal weniger eng definierte Verhaltensvorgaben, die sich von Gruppierung zu Gruppierung unterscheiden können. Unser Ziel ist es generell, die Gewalt zu minimieren, indem wir noch stärker den Dialog suchen und vermitteln – ohne auf Repres­salien seitens der Polizei per se zu verzichten. Die Zahl der Vorfälle auf null senken zu können, ist jedoch ­illusorisch.

Das sagen der FCZ und GC zum Thema

Das «Tagblatt» hat auch über die Verantwortlichen von GC und FCZ versucht, einen direkten Einblick in die jeweiligen Ultra-Szenen zu erlangen. Vonseiten der Grasshoppers wollte man sich nicht näher zum Thema äussern und erklärte einzig, dass man nicht als Sprach-
rohr aller Ultras fungieren könne. Beim FCZ verwies man darauf, dass man generell den Kontakt zu allen Fangruppierungen suche und Probleme direkt anspreche. Die Ergebnisse würden jedoch nicht veröffentlicht, um die Gesprächsbasis nicht zu gefährden.

Was halten Sie von der Ultra-Szene? Schreiben Sie uns: echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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