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Interview

Daniel Murer erklärt Position und Auswirkungen des Jetstreams auf das aktuelle Wetter im Prognoseraum der Meteo Schweiz am Flughafen Zürich-Kloten. Bild: ZVG

Wetterextreme nehmen zu

Von: Sacha Beuth

10. August 2021

REGENSOMMER Heftige Unwetter, Dauerregen – der Sommer 2021 war und ist für viele Zürcher alles andere als erfreulich. Leider dürfte dies keine Ausnahme gewesen sein. Laut Daniel Murer, Meteorologe bei Meteo Schweiz, wird man künftig vermehrt mit Regensommern, aber auch trockenen Hitzesommern rechnen müssen.

Auch wenn die Sonne endlich den Regen abgelöst hat, so dürfte der Sommer 21 bei den Bewohnern Zürichs trotzdem als einer der schlechtesten aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Zumal er zugleich einige heftige Stürme mit sich brachte, die für zahlreiche Überschwemmungen, Verkehrschaos und diverse andere Schäden sorgten. Dabei hatte man letztes Jahr noch einen Traumsommer mit nur wenigen Regentagen geniessen können. Die Ursachen für die Klimakapriolen kennt Daniel Murer, Meteorologe bei Meteo Schweiz.

Wann erlebte Zürich zuletzt so einen regenreichen Sommer?

Daniel Murer: Die Monate Juni und Juli im Sommer 2016 waren ähnlich niederschlagsreich wie der aktuelle Sommer bisher.

Wie viele Liter Regen fielen damals und wie viele bereits diesen Sommer?

Wenn wir jeweils die Werte der Mess- station Zürich-Fluntern für die Sum- me der Monate Juni und Juli nehmen, waren es 2016 427 Millimeter beziehungsweise Liter pro Quadratmeter und 2021 415 Millimeter beziehungsweise Liter pro Quadratmeter. Das ist ohne Zweifel deutlich über dem Durchschnitt der Referenzperiode von 1981 bis 2010, wo der Wert für die beiden Monate zusammen bei 251 Millimetern beziehungsweise Liter pro Quadratmeter liegt.

Warum ist dieser Sommer so verregnet?

Dies hängt vor allem mit dem Jetstream, dem Starkwindband auf ungefähr zehn km Höhe zusammen. Normalerweise verläuft der Jetstream mehr oder weniger von West nach Ost mit nur kleineren Wellen, die sich ebenfalls von West nach Ost verlagern. Seit mehreren Wochen mäandriert der Jetstream jedoch relativ stark, das heisst, seine nach Norden und Süden gerichteten Wellen sind relativ markant oder gar ganz entkoppelt. Dies hat zudem den Effekt, dass sich die Position des Jetstreams und damit auch die Positionen von Hochdruck- und Tiefdruckgebieten über eine längere Zeit nur unwesentlich veränderten. Die Schweiz beziehungsweise Mitteleuropa lag dabei in den letzten Wochen sehr häufig in einer tiefdruckbestimmten südwestlichen Strömung, welche wiederholt feuchte und für Gewitter anfällige Luft heranführte. Demgegenüber lagen Teile Südeuropas sehr oft unter dem «Berg» einer solchen Welle, also in einer hochdruckbestimmten Lage, die viel Sonne und hohe Temperaturen mit sich brachte.

Apropos Temperaturen. Bei uns scheint der Sommer auch aussergewöhnlich kühl zu sein.

Das täuscht. Zwar wies der Sommer 2021 – jeweils gemessen bis zum 8. August – mit bislang vier Hitzetagen nur ein Drittel der Hitzetage der Sommer 2019 und 2018 auf. Insgesamt war der diesjährige Sommer aber nicht zu kühl. Der Juni 2021 war in der Schweiz sogar der viertwärmste Juni seit Messbeginn 1864 (in der Region Zürich rund 2,3 bis 2,5 Grad wärmer im Vergleich zur Norm 1981 bis 2010). Und auch der Juli 2021 war in der Region Zürich nur etwa 0,5 bis 0,8 Grad kühler im Vergleich zur Norm 1981 bis 2010.

Ist dies ein Ausnahmejahr oder müssen wir künftig öfter mit Regensommern rechnen?

Niederschlagsrekordwerte für den Monat Juli gab es an zahlreichen Stationen auf der Alpennordseite, regional wie etwa in Luzern gab es auch Rekorde für die Periode Mai bis Juli, und die damit verbundenen sehr hohen Pegel der grossen Flüsse und Seen zeigten, dass wir es mit einer aussergewöhnlichen Phase zu tun hatten. Unwettersommer mit Überschwemmungen, aber auch Sommer mit enormer Trockenheit und Hitze gehören jedoch zum Klima der Schweiz. Sie treten in grösseren Zeitabständen immer wieder auf (siehe Box). Die aktuellen wissenschaftlichen, auf Messdaten und Modellen beruhenden Untersuchungen zeigen dabei, dass die klimaänderungsgetriebene Tendenz von starken Niederschlägen sowohl in Häufigkeit wie Intensität in Richtung Zunahme geht.

Worauf ist diese Entwicklung zurückzuführen? Natürliche Umstände oder sind sie menschengemacht?

Sowohl als auch, wobei die menschlichen Einflüsse – namentlich die durch den CO₂-Ausstoss verursachte globale Erwärmung – immer stärker ins Gewicht fallen. Gerade in Bezug auf Intensität und Häufigkeit von Regenfällen. Das hat mit dem Umstand zu tun, dass wärmere Luftmassen mehr Wasser aufnehmen können, was wiederum das Potential von Starkniederschlägen erhöht. Gleichzeitig zeigt sich ein Trend hin zu Hitzewellen und Trockenperioden, die intensiver, länger und häufiger werden. Die Variabilität des Klimas scheint also weiter zuzunehmen und damit verbunden auch extremere Ausprägungen.

Wohin geht die Tendenz? Wird es bei uns eher feuchter oder eher trockener?

Das ist schwer vorhersagbar, da man beispielsweise nicht weiss, wie und wo genau die globalen Wind- und Meeresströmungen beeinflusst und damit wo sich Tief- und Hochdruckgebiete künftig platzieren werden.

Historische Extremsommer

in Zürich In der Vergangenheit wurde Zürich schon oft von Extremsommern mit heftigen Unwettern oder enormer Hitze und Trockenheit heimgesucht. Herauszuheben ist etwa der Sommer 1910, wo Unwetter zwischen 14. und 16. Juni die Sihl über die Ufer treten liessen und für heftige Überschwemmungen in der Stadt sorgten. Häufig wiederholende sommerliche Gewitterlagen bis im Juli mit regionalen Unwettern und Schäden gab es letztmals im Sommer 2016, wenn auch nicht derart ausgeprägt wie in diesem Jahr. Auch der Sommer 2007 war mit vielen Unwettern durchsetzt. Die anhaltend nasse Witterung führte im August dann zu teils kritischen Hochwassersituationen und Verkehrsunterbrechungen. Und im Juli 1987 gab es in der ganzen Schweiz zahlreiche schwere Gewitter. Strassen- und Bahnlinien wurden unterbrochen sowie Keller überflutet. Diesen Unwettersommern stehen die in den letzten 20 Jahren gehäuft beobachteten Hitzesommer wie etwa 2003, 2015 oder 2018 mit ebenfalls grossen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und die Natur gegenüber. So war zum Beispiel das Sommerhalbjahr 2018 nicht nur das wärmste seit Messbeginn 1864, sondern es herrschten mehrere längere Trockenperioden, was gerade in der Ostschweiz zu einem Jahrhundert-Niederschlagsdefizit führte.

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