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Interview

Wieso reden die St. Galler so "spitz"?

Von: Clarissa Rohrbach

09. April 2013

Das «Tagblatt» hat es sich zur Tradition gemacht, den jeweiligen Gastkanton des Sechseläutens vorzustellen. Dieses Jahr ist St. Gallen dran. Hier lesen Sie, was Land und Leute im Osten der Schweiz bewegt.

Böse Zungen behaupten, es sei die hässlichste Mundart der Schweiz. Linguist Stephan Schmid erklärt, wie dieser Eindruck entsteht.

Tagblatt der Stadt Zürich: Herr Schmid, Sie kennen sich mit Schweizer Dialekten aus. Ist der sankt-gallische wirklich so nervig?

Stephan Schmid: In der Tat wird bei sogenannten Dialekt-Hitparaden die St. Galler Mundart oft negativ bewertet. In einer Befragung der Uni Freiburg bezeichnete man sie als «hell, schrill, spitz und stichelig».

Die St. Galler werden aber nicht tatsächlich verpönt, weil sie so sprechen.

Schmid: Auf keinen Fall. Man neckt sich auf eidgenössischer Ebene gerne zwischen den Kantonen. Die Zürcher sollen zum Beispiel «e grossi Schnure» haben.

Was unterscheidet den St. Galler vom Zürcher Dialekt?

Schmid: Am meisten fallen die Vokale auf. Das «a» wird in St. Gallen viel heller ausgesprochen, mit der Zunge weiter vorne und weniger gerundeten Lippen. Auch das «i», das «ü» und das «ö» sind ausgeprägter. Diese Unterschiede bemerken die Zürcher am meisten, da sie selbst diese Vokale dumpfer aussprechen. Die oben genannten Adjektive beziehen sich hauptsächlich auf solche Lauteigenschaften, werden aber interessanterweise zum Teil auch für das Zürichdeutsche genannt.

Sind die Zürcher also auch «stichelig»?

Schmid: Der Zürcher Dialekt wurde als «zackig», «hart» und «schroff» eingestuft. Ausser den Vokalen hat das Zürichdeutsche aber viel gemeinsam mit dem St. Galler Dialekt, da Zürich in der Mitte zwischen Westen und Osten liegt. Berner sprechen die Vokale noch dumpfer aus, und ihr Dialekt wurde zum Teil mit dem Französischen assoziiert, wohingegen die hellen St. Galler Vokale eher an das Hochdeutsche erinnern. Allerdings ist der Kanton St. Gallen recht gross, und man spricht nicht überall den Dialekt, den wir als typisch sankt-gallisch empfinden.

Woran liegt das?

Schmid: Der St. Galler Dialekt entstand vermutlich in der Stadt als Prestige-Modell und hat sich nur in einzelnen Kantonsteilen ausgebreitet. Er wird ausserhalb der Stadt im Gebiet Wil/Gossau sowie am Bodensee gesprochen und hat viele Gemeinsamkeiten mit dem Thurgauer Dialekt. Im Toggenburg, am oberen Zürichsee und im Rheintal gibt es hingegen ganz andere Einflüsse, vom Zürcher bis zum Bündner Dialekt.

Wie lange gibts den St. Galler Dialekt schon?

Schmid: Es handelt sich um einen alemannischen Dialekt, der sich wie alle Deutschschweizer Dialekte aus dem Althochdeutschen entwickelt hat. Die ersten Handschriften stammen aus dem Mittelalter, weiter zurück gibt es keine Quellen.

Anscheinend empfinden die St. Galler ihren Dialekt sogar als «fein». Ist das Selbsttäuschung?

Schmid: Nein, man identifiziert sich immer mit dem eigenen Dialekt und nimmt ihn anders wahr als die Nachbarn. Mit der Mundart gibt man sich als Mitglied einer Gemeinschaft zu erkennen und grenzt sich von anderen ab. Trotzdem: Die sprachlichen Sticheleien sind spielerischer Natur.

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