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Interview

Erklärt den Eltern ihre jugendlichen Kinder: Lina Hodel (18). Bild: CLA

"Wir fühlen uns oft fehl am Platz"

Von: Clarissa Rohrbach

15. April 2014

Jugendliche sind weit mehr als nur Komasäufer und Schläger. Lina Hodel (18) hatte die Vorurteile gegenüber ihren ­Altersgenossen satt. Sie schrieb einen Ratgeber für alle über 30, in dem sie die Jugend erklärt. Ihre These: Die oft so verschriene «heutige Jugend» gibt es nicht, denn jeder war einmal jung. Daran will die lernende Polygrafin Erwachsene erinnern und ihnen zeigen, dass Jugend­liche braver sind, als man denkt.

Tagblatt der Stadt Zürich: Lina Hodel, das Letzte, was ein Jugendlicher von seinen Eltern hören will, ist: «Ich habe das auch alles erlebt, da musst du jetzt einfach durch.» Wieso?

Lina Hodel: Weil wir in gewissen ­Momenten so verzweifelt sind, dass es uns so was von egal ist, was unsere Eltern vor 20 Jahren erlebt haben. Eine schlechte Note oder die Abfuhr eines Jungen können einer Katastrophe gleichkommen. Da möchten wir eigentlich nur verstanden werden und hören, dass alles gut wird. Auch stressen hilft nichts. Lieber fragen Eltern, ob sie bei den Hausaufgaben helfen können, anstatt Druck aufzubauen.

Franzvokabeln lernen als Weltuntergang. Wieso reagieren Jugendliche so sensibel?

Eigentlich möchten wir einfach wild sein, «Seich» machen, Dinge ausprobieren. Wir haben zwar mehr Freiheit als ein Kind, aber nicht das Recht, am erwachsenen Leben teilzuhaben. Gleichzeitig wird aber von uns schon verlangt, Reife zu zeigen. Das alles führt dazu, dass wir uns selber nicht einschätzen können. Dazu kommt die Veränderung des Körpers und all die Pickel. Manchmal erkennen wir uns fast selber nicht im Spiegel. Das ist hart.

Die beste Freundin versteht das aber.

Die beste Freundin gibt einem das Gefühl, nicht alleine zu sein. Sie kann jede Reaktion und jeden Gedanken nachvollziehen. Und sie weiss, wann der Moment gekommen ist, um ein ernstes Wörtchen zu reden oder sich einfach still zu umarmen.

Eltern sorgen sich, dass Jugendliche herumknutschen. Zu Recht?

Wir wissen selber nicht genau, was oder wen wir wollen, deswegen ist ­Herumknutschen normal. Doch die meisten gehen nicht unüberlegt auf Sex ein. Die Jugend ist hauptsächlich die Zeit der ersten grossen Liebe. Viele träumen von einer festen Beziehung.

Sie sind seit einem Jahr mit Ihrem Freund Christian zusammen. Was ist das Schönste daran?

Zu wissen, dass jemand zu einem ­gehört; die ersten Weihnachten oder die ersten Ferien gemeinsam ver­bringen.

Wieso haben so viele Jugendliche Stöpsel in den Ohren?

Es gibt einen Spruch: «Music on, ­world off.» Wir fühlen uns oft fehl am Platz, darum hüllen wir uns zum Schutz in unsere Musik und so in unsere eigene Welt ein. Wenn ich traurig bin und niemand das nachvollziehen kann, höre ich eine traurige Ballade, dann fühle ich mich verstanden.

Nicht nur die Musik ist auf dem Handy, auch Facebook, Youtube und Instagram, Kanäle, auf denen Jugendliche viel Zeit verbringen. Muss man das den 40-Jährigen wirklich ­erklären?

Wir hängen sehr an unserem Handy. Aber es gibt auch Erwachsene, die während des Essens das Telefon auf dem Tisch lassen. Das finde ich in jedem Alter unanständig. Aber wir Jungen gehen viel vertrauter mit dem Handy um. Unsere Eltern schreiben auf Hochdeutsch SMS, wir in Mundart. Sie checken nur die Mails, wir tauschen uns Videos aus. Auf Youtube suchen sie nur einen Song, wir aber Koch- und Nähanleitungen und überhaupt die Antwort auf jede Frage.

Wieso sind die Jungen heute so selbstbewusst?

Die Generation unserer Eltern ist ­locker, uns war es bereits erlaubt, Erwachsene zu duzen. Das gibt einem das Gefühl, auf Augenhöhe zu sein. Bei meinen Grosseltern war das noch anders. Damals zählte die Autorität noch mehr, da durften die Jungen ­einem ja nicht frech kommen.

Lieber autoritäre oder nachsichtige Lehrer?

Es gibt Tage in der Schule, da haben Jugendliche gerade die grösste Krise ihres Lebens. Da würde es helfen, wenn der Lehrer versuchen würde zu verstehen. Vielleicht hat man ja die Hausaufgaben nicht aus Faulheit verschwitzt, sondern weil es einem wirklich sehr schlecht geht. Ein Lehrer, der ab und zu fragt: «Wie gehts dir eigentlich?», wäre toll. Natürlich darf er aber auch nicht allzu nachsichtig sein, Jugendliche nutzen das schnell aus.

Jugendliche sind halt doch keine Heilige. Sie übertreiben es auch gerne mit dem Alkohol. Das können Sie nicht leugnen.

Sicher. Durch den Alkohol verliert man die Hemmungen, die in der Jugend typisch sind. Und wir testen so auch unsere Grenzen. Aber je älter wir werden, desto langweiliger wird das Trinken. Nur das Tabu macht es spannend, ich rate Eltern, darüber zu reden.

Sie haben für Ihr Buch Jugendliche und Erwachsene befragt, insgesamt 200 Leute. Was möchten Sie damit bewirken?

In erster Linie Verständnis für die ­Jugendlichen. Erwachsene sollen beim Lesen schmunzeln und sich gerne an ihre eigene Jugend zurückerinnern. Das gewalttätige Bild, das die Medien über die Jungen verbreiten, ist nur ein Randphänomen. Ich möchte nicht, dass die Leute staunen, weil ich sie auf der Stras­se anständig begrüsse. In erster Linie sind wir nette, junge Menschen, die sich noch suchen.

Zum Schluss: Wieso mögen Jugendliche Kaugummi so gerne?

Weil Kaugummi einfach cool ist, beim Kauen ist man lässig. 

Gewinnen Sie ein Exemplar von «Die heutige Jugend gibt es nicht», schreiben Sie an gewinn@tagblattzuerich.ch. Das Buch von Lina Hodel ist im Kommode-Verlag ­erschienen und im Handel erhältlich.

Die Buchvernissage mit Podiumsdiskussion findet am 2. Mai um 19 Uhr im Bogen F im Viadukt statt.

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