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Interview

Fettes Brot sind (v.l.) Dokter Renz, König Boris und Björn Beton.(Bild: Jens Herrndorff)

«Wir sind auch geile Biester»

Von: Reinhold Hönle

15. Oktober 2019

Mit Songs wie «Jein» und «Emanuela» wurden Fettes Brot zu Superstars der deutschen Rapszene. Nun sind sie mit ihrem aktuellen Album «Lovestory» auf Tour und spielen am 23. Oktober im Komplex.

Dokter Renz, wann haben Sie Ihren Doktor in Liebe gemacht?

Dokter Renz alias Martin Vandreier: Ich hatte mein Praktikum in der 7. Klasse – bei Dr. Sommer. In der «Bravo»! (lacht)

Mit so viel Know-how muss Ihr Liebesleben als junger Hip-Hop-Star ziemlich wild gewesen sein . . .

Wir waren schon ziemlich früh in unserer Karriere in festen Händen – in sehr zärtlichen festen Händen – und haben deshalb nicht alle Klischees von Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll erfüllt.

Sie sind also ziemlich monogam?

Wir haben die Tendenz dazu, uns zum grössten Teil auf eine Person einzulassen, ja.

Dann ist «Geile Biester» also nicht autobiografisch, sondern nur eine Funk-Hommage?

Geile Biester gabs natürlich schon. Wir selbst sind ja auch welche! (lacht) Diese funky Nummer, bei der man gut heraushört, welche Vorbilder Björn Beton gehört hat, zelebriert den Spass am Sex. Immer mit der Betonung, dass beide das Gleiche wollen. Das wollte er durch diese Hunde-und-Katzen-Fabel auf den Punkt bringen.

Sind Sie im #MeToo-Zeitalter gezwungen, zu betonen, dass der Sex einvernehmlich ist?

Auf diese Frage habe ich ein paar klare Antworten. Ich persönlich fühle mich durch diese Debatte in meiner sprachlichen Ausdrucksfähigkeit überhaupt nicht eingeschränkt, sondern ich finde die Kritikpunkte oder Anregungen zur bestehenden Sprache total richtig. Wenn es heisst, dass 100 Schüler demonstriert haben, suggeriert die männliche Wortform, dass keine Mädchen teilgenommen haben.

Welche Lösung finden Sie gut?

Schüler_innen, zum Beispiel. Ich bin auch für jeden Hinweis dankbar, falls ich mich gendermässig falsch ausdrücke. Ich glaube, dass für ein emanzipiertes Zusammenleben von Mann und Frau noch einige Kämpfe ausgefochten werden müssen. Ich habe jedoch keine Angst vor ihnen, sondern finde es spannend, dass wir eine Flutwelle von gesellschaftlichen Veränderungen mitbekommen. Bisher war ich immer ein bisschen neidisch auf die 68er-Generation . . .

Weshalb?

Ich habe mir vorgestellt, was da in den Unihörsälen los gewesen sein muss. Wie haben die sich da gefetzt! Obwohl wir in manchen Punkten der Emanzipation inzwischen viel weiter sind, sind in vielen Köpfen immer noch betonartige Denkmuster vorhanden, die es zu überwinden gilt. Da mir Sex nur Spass macht, wenn er auf Augenhöhe passiert, kamen mir Groupie-Popstar-Affären nie erotisch vor. Die eine will ein Stück von seinem Ruhm und der andere seine Grossartigkeit bestätigt bekommen.


«Robot Girl» handelt davon, dass man sich in die Siris und Alexas unserer schönen neuen Welt verlieben könnte. Könnte Ihnen das auch passieren?

Ja, wenn wir in unserer wöchentlichen Radiosprechstunde «Was wollen wissen» mit Leuten telefonieren, finde ich eine tolle Frauenstimme am anderen Ende wahnsinnig fantasieanregend. Der Film «Her» von Spike Jones, der davon handelt, dass sich die Hauptfigur in die Stimme seines Betriebssystems verliebt, die von Scarlett Johansson gesprochen wird, war aus diesem Grund absolut glaubwürdig. Zwar wusste der Mann nicht, dass die Frau hinter der Stimme so wahnsinnig hübsch und erotisch ist, aber der Klang der Stimme reichte völlig.

Was, wenn sich Mensch und Maschine einmal nicht mehr unterscheiden lassen?

Es ist sicher interessant, sich darüber Gedanken zu machen, was geschieht, wenn wir das erste Mal unser Herz an etwas verlieren, das nicht menschlich ist. Ist das ein Problem, oder wäre es sogar okay? Ein Robotergefährte als Lösung gegen Einsamkeit? Da wir wahrscheinlich bereits in naher Zukunft von Robotern gepflegt werden, ist es wohl auch nicht unwahrscheinlich, dass wir später einmal die Nähe von hübschen Robotern suchen.

In Japan, wo die Menschen neben der Arbeit kaum Zeit fürs Privatleben haben und die
Anonymität in den Grossstädten besonders gross ist, sollen Singlemänner sogar schon virtuelle Freundinnen haben . . .

Natürlich denkt man sofort, wie traurig das ist. Dabei ist das romantische Bild aus Hollywood, wo man den Traumprinzen sucht, dem man für immer sein Herz schenken und mit dem man dann glücklich in den Sonnenuntergang reiten kann, auch nur eine Illusion. Deswegen würde ich mir wünschen, dass die Gesellschaft offener für ganz unterschiedliche Optionen würde.

Gibt es Menschen in Ihrem Bekanntenkreis, die Sie zu «Du driftest nach rechts» inspiriert haben?

Es ist mehr das Gefühl, dass sich immer mehr Menschen von fremdenfeindlichen Parteien manipulieren lassen. Seit die Single draussen ist, hören wir immer wieder: «Das kennen wir von meiner Tante. Jedes Mal, wenn sie kommt, erzählt sie solchen Unsinn. Ich weiss gar nicht, wie ich damit umgehen soll. Betretenes Schweigen kann nicht die Lösung sein. Wir müssen unsere Werte lautstark vertreten, sonst werden sich die Rechten immer weiter vorwagen.

An welche Erlebnisse in der Schweiz erinnern Sie sich besonders gern?

Wir schätzen, dass wir Plattdeutsch schnackende Blödelrapper von Anfang an offene Ohren fanden. Ich weiss noch, wie wir «Nordish by Nature» in der Roten Fabrik performt haben und die hauptsächlich Schwiizertüütsch sprechenden Zuschauer mitzurappen versuchten. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt.


Fettes Brot spielen am 23.10. im Komplex 457, Hohlstrasse 457

 

TICKETS ZU GEWINNEN

Das «Tagblatt der Stadt Zürich» verlost 2×2 Tickets für das Fettes-Brot-Konzert am 23.10. im Komplex 457! Schreiben Sie uns eine E-Mail mit Namen, Adresse, Telefon, E-Mail-Adresse und Betreff Brot an: gewinn@tagblattzuerich.ch

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