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Interview

«Die Situation ist so authentisch wie nur möglich.» Basil Honegger, Gesamtprojektleiter «Im Schatten der Burg». Bild: SRF

«Wir wollen soziale Zwänge simulieren»

Von: Sacha Beuth

13. Juni 2017

FERNSEHEN Im Leutschenbach hat man sich für den Sommer wieder ein Living-History-Projekt ausgedacht. Am 17. Juli startet auf SRF 1 die Sendung «Im Schatten der Burg», in der eine sechsköpfige Familie ins Jahr 1517 zurückversetzt wird. Laut Projektleiter Basil Honegger (40) steht den Protagonisten eine entbehrungsreiche Zeit bevor.

Das diesjährige Living-History-Projekt von SRF ist im Jahr 1517 angesiedelt. Warum wurde gerade dieser Zeitpunkt gewählt?

Basil Honegger: Wir haben den Zeitpunkt gewählt, weil dieses Jahr das grosse Reformationsjubiläum begangen wird. Vor 500 Jahren hat ja Martin Luther seine Thesen an der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen. Diese Zeit des Umbruchs wollen wir erlebbar machen. Die Zuschauer sollen über die Erlebnisse und Erzählungen der Familie Dietschi erfahren, wie sich das Leben im späten Mittelalter anfühlte, wie etwas schmeckte oder roch.

Luther hat seine Thesen im Oktober angeschlagen. Das Projekt findet jedoch im Sommer statt. Wieso?

Das hat in erster Linie mit unserem Regelprogramm zu tun. Während der anderen Jahreszeiten sind die Sendeplätze generell mit Pflichtthemen belegt. Im Sommer aber hat es – wenn nicht gerade grosse Sportveranstaltungen laufen – Raum, um eigene Schwerpunkte zu setzen.

Im Gegensatz zu den vorangegangenen Living-History-Projekten von SRF bestimmen die Zuschauer den Ablauf teilweise mit, etwa indem sie die Höhe der Abgaben der Familie an den «Vogt» festlegen. Weshalb diese Änderung?

Ein Bauernhof war immer abhängig von der Obrigkeit. Nun können wir die sozialen Zwänge, die damals herrschten, nicht eins zu eins wiedergeben, wollen gewisse davon aber simulieren. Doch statt dies wie etwa im Projekt «Anno 1914» Schauspieler tun, schlüpfen die Zuschauer in diese Funktion. Das hat zudem den Vorteil, dass sie durch diese Interaktivität noch näher am Geschehen sind.

Manche würden jetzt behaupten, SRF will so einfach eine höhere Einschaltquote erreichen.

Sicher nicht. Unsere Living-History-Projekte sind beim Publikum beliebt und haben dementsprechend gute Quoten. Wenn es uns nur um die Quote gehen würde, würden wir ganz andere Massnahmen ergreifen. Wir versuchen, Geschichte erlebbar zu machen, und das auf eine unterhaltende Art und Weise.

Trotzdem bleibt ein schaler Nachgeschmack. Der Zuschauer entscheidet, wie viel der Familie zum Essen bleibt. Ob sie also leiden muss oder nicht. Ist das nicht ethisch fragwürdig?

Niemand muss bei unserem Projekt leiden. Es wird Entbehrungen geben, die Dietschis werden auf gewisse Dinge verzichten müssen, aber es wird sicher keiner verhungern oder verdursten. Weiter werden die Protagonisten bei einer allfälligen Verletzung oder Erkrankung, die über ein kleines Bobo hinausgeht, nach heutigen Standards medizinisch versorgt.

Wie authentisch ist Ihr Projekt?

Die Situation ist so authentisch wie nur möglich. Allerdings mussten wir – ob aus logistischen Gründen oder von Gesetzes wegen – Kompromisse eingehen. So wurde etwa das Holzhaus für die Dietschis von uns erstellt. So originalgetreu wie möglich, aber mit heutigen maschinellen Mitteln und nach Suva-Richtlinien. Beim Plumpsklo mussten wir von Gesetzes wegen den Unterbau so einrichten, dass die Fäkalien nicht einfach absickern. Die Kleider wiederum sind wie früher aus Leinen und Wolle, das heisst sie kratzen. Es gibt kein fliessendes Wasser im Haus und nur ein einziges Bett und ein paar Strohsäcke zum Schlafen.

Was ist mit der Jagd beziehungsweise Wilderei? Früher haben die Bauern ihre Mahlzeiten mit Wildfleisch ergänzt.

Das Recht zu jagen war damals durch sogenannte Regale geregelt und der Obrigkeit vorbehalten. Das betraf vor allem das Rotwild, aber auch Wildschweine oder den Auerhahn. Bauern durften aber Tiere, die der Vogt nicht unbedingt auf seinem Land haben wollte wie etwa Wölfe, Ratten aber auch Hasen, jagen. Sollte es den Dietschis nun tatsächlich gelingen, einen Hasen fangen, legen wir Wert darauf, dass die heutigen Tierschutz- und Schlachtgesetze eingehalten werden.

Nebst den Produkten unterschied sich das Mittelalter auch gesellschaftlich von der heutigen Zeit. So hatten die Bauern den Lehnsherren für Arbeiten oder Kriegsdienste zur Verfügung zu stehen.

Es wäre prinzipiell denkbar, dass auch unsere Protagonisten Frondienst leisten müssten. Was dann genau auf sie zukommt, geben wir jedoch nicht von vornherein bekannt. Sie werden aber sicherlich nicht in blutige Schlachten ziehen müssen.

Und wie viel wird das Projekt kosten?

Wir produzieren mit den Ausgaben dieses Projekts rund 560 Fernsehminuten, wobei wir versuchen, die Ausgaben so tief wie möglich zu halten. Die Kosten für Themenschwerpunkte variieren, je nach Umfang und Produktionsart, zwischen Beträgen im mittleren fünfstelligen Bereich und Kosten von rund einer Million Franken.

«Im Schatten der Burg» – Die wichtigsten Infos

Für das Living-History-Projekt «Im Schatten der Burg – Leben vor 500 Jahren» wird die durch ein Casting ausgewählte Familie Dietschi aus Kestenholz SO ins Jahr 1517 zurückversetzt. Vater Christoph (48), Mutter Nicole (45) sowie ihre Kinder Katja (17), Simon (15), Maurin (11) und Ladina (8) wohnen in einem der damaligen Zeit entsprechenden Holzhaus unterhalb von Neu-Bechburg in Oensingen SO und müssen sich als einfache Bauernfamilie von dem ernähren, was auf ihrem spärlichen Acker und im Garten wächst. Zudem ist die Familie abhängig vom Lehens- geber (Vogt) auf der Burg. Dessen Launen und Ansprüche werden durch das TV-Publikum über Internet-Votings bestimmt. Die Sommerserie von «Schweiz aktuell» startet am Montag, 17. Juli, und dauert bis Freitag, 4. August 2017, und wird täglich von Montag bis Freitag jeweils um 19.05 Uhr auf SRF 1 gezeigt. Daneben wird ab 24. Juli auf Radio SRF 1 auch eine Pilgerreise durch die Schweiz nachgestellt und werden Experten zum Leben im späten Mittelalter befragt.

Weitere Infos: www.srf.ch/schweizaktuell

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