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Interview

Martin «Tino» Schippert: Hinter der Fassade des harten Rockerbosses verbarg sich ein sensibler Mensch. Bild: PD

"Zürich brauchte halt einen Marlon Brando"

Von: Jan Strobel

11. Februar 2014

Martin «Tino» Schippert - der Zürcher Hells Angels-Boss gehörte in den 70er Jahren zu den schillerndsten und auch abgründigsten Figuren des Untergrunds. Mancher Zeitgenosse stilisierte den Halbstarken, der 1981 unter ungeklärten Umständen in Bolivien starb, zu einem Helden, einem unbeirrbaren Rebellen. Doch dann wurde es still um ihn. Jetzt hat der 38-jährige Regisseur Adrian Winkler einen Dokumentarfilm über Tino Schipperts Leben gedreht. «Tino - Frozen Angel» nennt er sein Werk, das morgen in den Kinos startet.

Tagblatt der Stadt Zürich: Adrian Winkler, eigentlich hätte man als Regisseur dieses Films einen Alt-68er oder zumindest einen Alt-Bewegten erwartet. Sie haben mit beidem wenig zu tun. Was faszinierte Sie an der Person Tino Schippert?

Adrian Winkler: Dieser Mensch hat sich ja, ganz unschweizerisch. radikal exponiert, und das nicht nur äusserlich, sondern auch in seiner ganzen Lebenseinstellung. Sich in den frühen 60er Jahren gegen die Normen aufzulehnen, brauchte viel Mut. Die Gesellschaft war viel enger, viel restriktiver. Es war deshalb viel schwieriger, als junger Mensch seinen eigenen Weg zu wählen. Als Halbstarke befanden sich Tino und seine Gang automatisch am Rand der Gesellschaft, mehr noch, sie waren ständig unter dem Radar der Ordnungshüter. Das ist etwas, was wir heute kaum mehr nachvollziehen können. Die Gesellschaft ist heute viel liberaler. Auch ich konnte diesem Druck aus dem Weg gehen, ich hatte die freie Wahl unter den verschiedensten Lebensentwürfen. Das Phänomen der Halbstarken hat mich übrigens bereits vor zehn Jahren beschäftigt, als ich einen Dokumentarfilm über diese Szene drehte.

Ende der 60er Jahre wurde Tino Schippert zur Symbolfigur des Zürcher «Undergrounds». Was machte sein Charisma aus?

Ich glaube, es war vor allem das Bild, das Tino abgab. Er, auf seinem Motorrad, in Lederkluft. Es ging weniger darum, was er sagte, obwohl viele ihn als charismatischen Redner bezeichneten. Tino Schippert und die Motorrad-Rocker handelten aus dem Bauch heraus, da gab es kein intellektuelles, politisches Programm der Rebellion, wie bei den Studenten damals. Aber Tino hat mit allem, was er hatte, gegen die aus seiner Sicht verknöcherte Gesellschaft angekämpft. Und damit konnten sich viele identifizieren.

Dennoch fühlten sich Intellektuelle wie Friedrich Dürrenmatt von Schippert angezogen.

Dürrenmatt gefiel, dass Tinos Rebellion aus dem Herzen kam, er nannte sie «existenziell». Aber natürlich hat auch Dürrenmatt, wie viele zeitgenössische Intellektuelle, seine Person idealisiert, auch romantisiert. Tino Schippert war die ideale Projektionsfläche, gerade, weil er und seine Gang eben in kein Raster passten. Dabei hat man beide Augen verschlossen, denn Tino hatte von Beginn weg Kontakte zum Millieu und nahm es auch mit dem Gesetz nicht so genau. Aber man brauchte halt einen Zürcher Marlon Brando, einen «Wild One».

Wo taten sich bei Tino Schippert die Abgründe auf?

Bei einer so widersprüchlichen Persönlichkeit müssen die Abgründe zwangsläufig tief sein. Schippert hatte eine kriminelle und gewalttätige Seite. Er selbst hat nie einen Hehl draus gemacht. Er sass mehrmals im Gefängnis, geriet unter anderem wegen Vergewaltigungsvorwürfen ins Visier der Staatsanwaltschaft, floh in den Libanon, wo er sich als Haschischbauer versuchte, kam dann in der Schweiz wieder in den Knast und haute erneut ab - um schliesslich in Brasilien und Bolivien unterzutauchen. Andererseits zeichnen seine Weggefährten im Film auch ein ganz anderes, nämlich sehr warmherziges Bild von Tino Schippert. Hinter der Fassade des harten Rockerbosses verbarg sich  ein sensibler Mensch, einer, der seinem Bruder Ruedi Dutzende von gefühlvollen Briefen schrieb.

Laufen Sie selbst mit Ihrem Film nicht Gefahr, Tino Schippert zu idealisieren?

Diese Gefahr besteht. Ich denke aber, dass der Film das Gegenteil aufzeigt. Es ist die Geschichte von jemandem, der innerhalb von drei, vier Jahren vom Outlaw plötzlich zum Helden stilisiert wird, um dann, fern von seinen früheren Weggefährten, einsam und auch vergessen zu enden. Der gefeierte Rebell wurde zum Opfer seines eigenen Mythos. Darin liegt die Tragik seiner Lebensgeschichte. Selbst die Zürcher Hells Angels interessierten sich damals nicht mehr für ihn. Als Identifikationsfigur hatte Tino gewissermassen ausgedient, er hatte das Revier verlassen. Und: Bis heute möchten viele Alt-68er nicht sehen, dass dieser eigentlich unpolitische Draufgänger auch Teil ihrer Bewegung gewesen ist.

Wie, denken Sie, sehen heutige Jugendliche Ihren Film?

Ich glaube, sie werden ihn ohne ideologische Scheuklappen aufnehmen, ohne in Tinos Geschichte ein politisches Programm zu sehen. Das wäre ja ein Stück weit auch in seinem Sinn gewesen.

«Tino - Frozen Angel» läuft ab morgen im Kino Arthouse Movie.

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