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Interview

Krimiautorinnen Mitra Devi (links) und Petra Ivanov: «Wir sind beide Sensibelchen, das verbindet uns stark.» Bilder: Chris Marogg

Zürich, schockgefrostet

Von: Isabella Seemann

15. August 2017

Sie gehören zu den erfolgreichsten Spannungsschriftstellerinnen der Schweiz: Mitra Devi und Petra Ivanov. Jetzt haben die beiden Zürcher Crime-Queens zusammen einen Psychothriller geschrieben. «Schockfrost» kommt nächste Woche in den Buchhandel.

Erinnern Sie sich noch, wie Sie sich kennen gelernt haben?
Petra Ivanov: Meine erste Begegnung mit Mitra war in Form eines Textes. Wir haben beide an einem Stafettenkrimi mitgeschrieben. Mein Text schloss an Mitras an. Da habe ich sie gegoogelt und war schwer beeindruckt von ihrem schwarzen, gegelten Haar und der Lederjacke. Und ziemlich nervös – ihr Text war super, ob meiner den hohen Erwartungen genügen würde?

Mitra Devi: Kurz darauf hatten wir unsere erste gemeinsame Lesung. Die Veranstalter änderten von sich aus den angekündigten Namen des Events, weil er ihnen zu «kriminell» erschien. Ich hätte geschwiegen und die Faust im Sack gemacht. Doch Petra setzte sich tatkräftig für uns ein, was mich sehr beeindruckte.

Der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe sagte mal: «Wir Schreiber sind zerfressen von Neid.» Hand aufs Herz: Waren Sie je neidisch auf die Bücher und die Erfolge der anderen?
Ivanov: Nein, weil wir ganz anders schreiben. Das ist, als wäre ein Vegetarier neidisch auf jemanden, der einen Hamburger isst.

Devi: Zum Glück war ich das nie, das hätte unsere Freundschaft sicher belastet. Auch wenn es vielleicht selten vorkommt: Wir können uns am Erfolg der anderen freuen.

Was bedeutet Ihnen die Zusammenarbeit für «Schockfrost»?

Devi: Für mich war das eine ungewohnte und sehr bereichernde Erfahrung: den eigenen Text, mit dem man noch nicht ganz zufrieden ist, schon während des Entstehens mit jemand anderem zu besprechen. Etwas, was ich sonst immer vermeide!

Ivanov: Als Autorin arbeitet man vorwiegend alleine. Ich habe es sehr genossen, «meine» Figuren mit jemandem zu teilen, mit Mi­tra darüber zu sprechen, was Sarah zum Beispiel in einer gewissen Situation denkt oder wie sich Georg fühlt. Dadurch wurden die Figuren viel lebendiger, und das wiederum macht das Schreiben einfacher und genussvoller.

Sie sind beide starke, eigenständige Persönlichkeiten im Beruf. Wie lief das bei der Zusammenarbeit?
Ivanov: Manchmal waren wir uns gleich einig, manchmal gar nicht. Wir sind beide kompromissfähig (das gedruckte Buch ist der Beweis!), aber es war dort schwierig, wo es nicht um Vorlieben ging, sondern jede von der eigenen Idee überzeugt war und fürchtete, ein Kompromiss schwäche den Text.

Devi: Auf eine andere Art sind wir aber beide auch kompromisslos: Wir hörten nicht auf halbem Weg auf, weil wir die Überarbeitung scheuten, sondern haben so lange am Text gefeilt, bis jede von uns zufrieden war.

Ihre eigenen Ermittler Nora Tabani und das Ermittlerduo Flint & Cavalli sind charakterlich recht unterschiedlich. Ist das bei Ihnen auch so?
Ivanov: Wir sind beide Sensibelchen, das verbindet uns stark. Alles andere ist nebensächlich und spielt im Alltag nicht so eine grosse Rolle.

Devi: Dem kann ich nichts hinzufügen!

Wie nah ist Ihnen die gemeinsam entwickelte Heldin Sarah Marten in «Schockfrost»?
Devi: Ich leide mit ihr, denn das Leben, das wir ihr zumuten, meint es zum Teil gar nicht gut mit ihr! Ich kann nachvollziehen, wie sie reagiert, wie sie handelt, wie sie fühlt. Es ist eine nötige Identifizierung.

Ivanov: Mir ist jede Figur in «Schockfrost» nah. Wenn ich schreibe, versetze ich mich total in die Lage, Denkweise, Gefühlswelt der Figur und gewinne sie lieb. Ich habe in meinen Büchern nicht nur wiederkehrende Hauptfiguren, sondern auch immer neue wichtige Figuren, die tragende Rollen haben.


Wie lautet Ihre wichtigste Schreibregel?

Ivanov: Ich muss mich ganz in die Figur hineinversetzen können. Gelingt es mir nicht, verstehe ich sie zum Beispiel nicht, entstehen Brüche in der Geschichte.

Devi: Ich gehe stark von der Handlung aus und muss schon von Anfang an wissen, wohin sie führt, wer welche Motive hat und was die Hintergründe sind. Ich habe ein klares Bild vor Augen, das ich beim Schreiben mehr und mehr mit Leben fülle.

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Mord, fiktiv natürlich?

Devi: Ja, sehr genau: Ich habe anhand eines Zeitungsartikels über eine 80-jährige Frau, die einen Bankraub verübte, eine fiktive Story gemacht, die sehr lustvoll zu schreiben war. Die echte Bankräuberin hat keinen Mord begangen, meine Figur schon.

Ivanov: Ja, aber er war mir nicht wichtig. Mich interessiert das Innenleben der Figuren, der Mord ist für mich nur Teil des Plots.

Ist Ihnen Ihre Krimipartnerin ein Vorbild?
Ivanov: Mitra schreibt temporeich, ihre Geschichten haben eine Sogwirkung. Ich gebe ihr meine Texte immer zum Gegenlesen, da ich meist zu langsam einsteige und mich manchmal in Details verliere.

Devi: Petra ist unglaublich genau und sorgfältig und lässt nicht locker, bis sie jedes Detail kennt. Sie probiert alles aus, was ihre literarischen Figuren tun: reiten, Albanisch lernen, juristische Bücher lesen. Für «Schockfrost» hat sie einen Kurs im Bogenschiessen besucht, weil Sarah das macht!

Was haben Sie zuletzt von Ihrer Krimipartnerin gelernt?
Ivanov: Zu planen! Ich plane ein neues Buch nicht, Mitra hingegen schon. Ich habe gelernt, dass es manchmal Vorteile hat. Allerdings werde ich wohl nie zu einer Planerin, ich bleibe eine entdeckende Schreiberin.

Devi: Den Figuren mehr zu vertrauen. Normalerweise zeichne ich für meine Krimis die Handlung akribisch mittels eines Storyboards auf. Petra überlässt ihren Figuren viel mehr Freiheit. Ich habe gesehen, dass das auch funktioniert.

Sind zwei Schreibhirne besser als eins? Oder hatte Schiller recht, der sagte: Der Starke ist am mächtigsten allein?
Devi: Ich glaube, beides stimmt. Wir sind einerseits «Einzeltäterinnen», andererseits war es für dieses Buch mit den schnellen Perspektivenwechseln und Sichtweisen äusserst hilfreich, zu zweit zu arbeiten.

Ivanov: Diese Frage können nur die Leserinnen und Leser von «Schockfrost» beantworten.

Haben Sie als Krimiautorin eine Theorie, woher das Böse in der Welt kommt?

Ivanov: Ich vermute, jeder Mensch trägt das Potenzial zu Gewalt in sich, aber es muss einiges zusammenkommen, bis er handelt. Ich denke an die Umstände, die Lebensbiografie, vielleicht den Charakter einer Person.

Devi: Das Böse ist für mich nicht etwas Abstraktes oder von aussen Kommendes, wie es religiöse Menschen zum Beispiel im Teufel sehen, sondern wohnt im Herzen des einzelnen Menschen. Ob es ausgelebt wird, hat für mich aber auch ein Stück weit mit einer Entscheidung zu tun.

Ab 21. August 2017 ist der erste gemeinsame Thriller des Zürcher Krimiduos im Buchhandel erhältlich: Devi & Ivanov: «Schockfrost», Unionsverlag, 26 Franken.
Am 28. August ist Buchvernissage im Kaufleuten. Weitere Informationen, Programm und Tickets:

www.kaufleuten.ch

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