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Lifestyle

Buchautor Max Küng.

Lesen aus Liebe zum Leben

Von: Isabella Seemann

17. August 2015

NEUE ZÜRCHER BÜCHER: Das «Tagblatt» stellt drei Romane vor von Zürcher Autoren über das Ringen um die Liebe und das Älterwerden.

Ruth Schweikert: «Wie wir älter werden», S. Fischer Verlag, Mai 2015, 24.90 Franken.

Wenn Fragen nicht beantwortet werden, bleibt nichts anderes übrig, «als sich die Geschichte selber auszudenken». Kathrins Mutter wollte ihr nie Genaues über Vaters Abwesenheit mitteilen. Sie ist die Tochter von Jacques und Friederike Brunold. Mit zur Familie gehören zwei Brüder – und zwei Halbschwestern. Sabine und Iris sind als Töchter von Emil und Helena Seitz aufgewachsen. Jahrelang hatten sie keine Ahnung, dass Jacques ihr richtiger Vater ist. Das ist der Kern dieses familiären Verhängnisses. Die beiden Ehepaare schlossen einen Pakt des lebenslangen Schweigens zum Schutz ihrer Kinder, damit sie in intakten Familien aufwüchsen. Wissend und unwissend strickten fortan alle am Lügengeflecht. Die Autorin lichtet es Zug um Zug. Die Wahrheit ist zumutbar. Doch wäre totale Transparenz nicht eine Schreckensvision? Und besitzen Lügengeschichten nicht auch ihren Reiz? Die vertrackte Familienstruktur fordert der Lektüre sehr viel Geduld ab, bis sich die komplex versponnenen Lebensfäden klären und entwirren. Gleichwohl steht man am Schluss mit vielen losen Enden da. Doch der Zürcher Autorin gelingen zehn Jahre nach «Ohio» auch in diesem Roman immer wieder berührend schöne Momente.

 

Silvio Blatter: «Wir zählen unsere Tage nicht», März 2015, Piper Verlag, 26.90 Franken.

Das Alter ist nichts für Feiglinge, lautet ein Bonmot. Der Zürcher Schriftsteller Silvio Blatter, der im Seefeld lebt und nächstes Jahr siebzig wird, hat das letzte Drittel des Lebens und was man davon erwarten darf, zum Thema seines neusten Romans gemacht. Das Künstler-Ehepaar Isabella und Severin Lerch ist zwar gealtert, empfindet sich aber keineswegs als alt, gerade im Vergleich zu ihren zwei «kreuzbraven» Kindern Sandra und Matthias. Doch es gärt unter der gutbürgerlichen Oberfläche: Existentielle Fragen bleiben unbeantwortet. Das Leben von jedem von ihnen steht vor einer Wende. Isa, die «Diva vom Radio», merkt, dass die jüngeren Radiomoderatoren sie wegloben. Bildhauer Severin verliert sein Atelier in einer Kiesgrube. Tochter Sandra führt eine vorgebliche Musterehe mit einem ambitionierten Politiker der grünliberalen Partei. «Unglückliche Familien verstörten sie», «Höhenflüge und Hirngespinste» belächelte sie. Sohn Matthias, mit einer fanatischen Volleyball-Spielerin verheiratet, verliebt sich in eine junge Kosovarin, der die Abschiebung droht. Kein Geringerer als Heinrich Böll lobte einst Blatters «eigene Art, Situationen und Konflikte überpräzis zum Ausdruck zu bringen». Das gilt gleichermassen für den aktuellen Roman. Silvio Blatter beschreibt darin sachlich das Beziehungsgeflecht, in dem jede seiner Romanfiguren eingebunden ist. Schöne Sätze kann man auch auf sich wirken lassen. Zum Beispiel diesen: «Ein Tag, an dem die Zeit sie wie mit schwarzen Flügeln streifte».

Max Küng: «Wir kennen uns doch kaum», Rowohlt Verlag, April 2015, 14.90 Franken.

Manch wahre Liebesgeschichte ist so verwirrend schön, dass man kaum glauben kann, sie sei nicht einem Roman entsprungen. Der Zürcher Kolumnist und Reporter Max Küng hat eine solche erlebt – und daraus einen Roman verfasst. Die Geschichte von Moritz, so heisst Maxens Protagonist, und der Künstlerin Meta beginnt mit einem Treffen, das nicht zustande kommt. Eine gemeinsame Freundin wollte den Journalisten und die Künstlerin miteinander bekannt machen, doch man verpasste sich. Durch einen Zufall (gibts sowas überhaupt in der Liebe?) erhält Moritz Metas Mail-Adresse und schreibt sie an. Sie antwortet. Ihm gefällt ihr Humor. So geht es hin und her. Tausende Mails und SMS lang. Aus der anfangs harmlosen Plauderei entwickelt sich eine Liebesutopie. Es ist kompliziert. Sie ist in einer festen Beziehung. Sie lebt in Berlin, er in Zürich. Dann hat der Mann beruflich in Berlin zu tun. Er steigt im Hotel Forum am Alexanderplatz ab. Er schickt ihr eine SMS mit der Zimmernummer: «2310». Eine halbe Stunde später klopft es an der Tür. «Wir kennen uns kaum» ist ein origineller, unterhaltsamer und pointenreicher Roman, der berührt, weil er der Wirklichkeit entsprungen ist.

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