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Lifestyle

Lust am Lesen, Lust am Klügerwerden

Von: Isabella Seemann

15. September 2015

BÜCHER: Das «Tagblatt» stellt Werke zur Zeitgeschichte vor, darunter den eindrucksvollen Band über Winston Churchill und seine Liebe zur Schweiz. Von Isabella Seemann

Eveline Hasler: «Stürmische Jahre», Nagel-&-Kimche-Verlag, Aug. 2015, 29.50 Franken

Nach der Machtergreifung 1933 liessen die Nazis die deutschen Theater von Juden und antifaschistischen Intellektuellen säubern. Eine neue Heimat fanden die verfemten Schauspieler und Schriftsteller beim damals privat vom Ehepaar Ferdinand und Marianne Rieser betriebenen Theater am Pfauen. Neben klassischem Stoff von Shakespeare brachten die Riesers die weltweit ersten Stücke, die sich direkt gegen den Nationalsozialismus wenden. In der Folge störten Frontisten die Vorstellungen. Aber auch der Schweizer Schriftsteller­verband, dessen Präsident mit den Faschisten sympathisierte, wehrte sich gegen die Stückewahl des «Jud Rieser, der, wie bei seinesgleichen üblich, nur auf die Kasse schaut». Und Max Frisch bemängelte die «Deutschfeindlichkeit» des Theaters. Die 82-jährige Autorin Eveline Hasler hat erneut akribisch recherchierte Fakten zu einem einnehmenden Roman komponiert. So leicht er sich liest, hinterlässt er doch tiefen Eindruck, wie die Menschen im Zürich der 1930er-Jahre mit angehaltenem Atem das Ungeheure erwarten.

Werner Vogt: «Winston Churchill und die Schweiz», Verlag NZZ Libro, Mai 2015, 48 Franken

Im Spätsommer 1946, der Blutdampf über dem europäischen Kontinent hatte sich verzogen, reiste der britische Kriegsheld zum Malen an den Genfersee. Ein regelrechtes Churchill-Fieber brach im Land aus, als sich diese Nachricht verbreitete. Der Bundesrat lud den Politiker am 18. September nach Bern ein. Gleichentags fuhr dieser mit dem «Roten Pfeil» nach Zürich, wo es in der Enge einen grossen Bahnhof für ihn gab. Churchill stieg im Grand Hotel Dolder ab und arbeitete die ganze Nacht an jener Rede zur deutsch-französischen Versöhnung und zur Einheit Europas, die er tags darauf an der Universität hielt und die als «Zürcher Rede» in die Geschichte einging. Weshalb Sir Winston Churchill gerade Zürich als Bühne für seine politische Vision wählte und in welcher Beziehung er zur Schweiz stand, beleuchtet der Küsnachter Autor Werner Vogt mit immenser Sachkenntnis, klugem Urteil und einem anregenden Schreibstil, der die Lektüre nie öd werden lässt. Viele, auch rare, historische Aufnahmen lassen Churchills Triumphzug durch Zürich lebendig werden. Bereits in jungen Jahren bereiste der Brite die Schweiz als Tourist, bestieg den Monte Rosa, bewunderte die Schönheit der Alpen – und ertrank beinahe im Genfersee. Im Laufe seines Lebens knüpfte er enge Bande zu Schweizern. Politisch hatte Churchill ein profundes Verständnis für die Situation der Schweiz als neutraler Staat inmitten von Nationalsozialismus und Faschismus.

Harry Gmür: «Am Stammtisch der Rebellen», Europa-Verlag, 2015, 37.90 Franken

1933 entschied sich Harry Gmür für die richtige Seite. Der aus einer gutbürgerlichen Familie stammende Berner hatte in Deutschland studiert, eine Jüdin geheiratet und kehrte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit ihr in die Schweiz zurück. In der Folge driftete er aber immer weiter ins Totalitäre, leitete die Zürcher Sektion der stalinistischen Partei der Arbeit und arbeitete für eine regierungstreue DDR-Zeitschrift. In den 1950er-Jahren schrieb er einen umfangreichen Roman, der jahrzehntelang in einer Schublade lag und nun von seinem Sohn Mario Gmür, dem Zürcher Psychiater und Gerichtsgutachter, herausgegeben wurde. In «Rebellen am Stammtisch» treffen sich Kommunisten, Kriminelle, Künstler Bordsteinschwalben und vergnügungsfreudige Industrielle in den Beizen des Niederdorfs zum Trinken und Politisieren. Auch der Maler Alfred Esch, der die Tochter seines Meisters geheiratet hat, träumt vom Klassenkampf – und von der Hure Doris Fontana. Als es zum Streik gegen Lohnkürzungen und Entlassungen kommt, muss sich Esch entscheiden: für sein bürgerliches Leben oder seine Ideologie.Der Roman spiegelt Harry Gmürs eindimensionales politisches Weltbild, in dem die Bösen reich und die Guten arm sind. Die Figuren entsprechen eher Karikaturen. Als Zeitdokument ist der Roman über Zürich im Kalten Krieg gleichwohl aufschlussreich.

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