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Lifestyle

Wohliges Grauen vor der Haustür

Von: Isabella Seemann

13. Oktober 2015

NEUE ZÜRCHER KRIMIS: Das «Tagblatt» begleitet drei altbekannte Ermittler auf Verbrecherjagd durch die heiteren bis hässlichen Seiten der Stadt. Von Isabella Seemann

Werbung kann tödlich sein


Raphael Zehnder: «Müller und der Mann mit Schnauz», Emons-Verlag, April 2015, 15.50 Franken.

Kommunikationsmogul Jörg-Olaf Bischoff liegt tot in seinem luxuriösen Büro im Seefeld. Schnauz voran in einem Gugelhopf von Sprüngli. Erstochen, wenige Minuten vor einem Motivations-Event für die Mitarbeiter. Der Verdächtigen sind viele. Denn Olli, wie ihn die ganze westliche Welt nennt, hat sich nicht nur innerhalb der Werbeagentur «König, Herzog, Papst und Bischoff» durch seine kokaingetriebene Erbarmungslosigkeit viele Feinde gemacht, sondern auch unter Kunden, die sich schlecht beraten fühlen – wie Regierungsrat Rüttimann, der um seine Wahl bangt. Auch privat fehlts dem Millionär nicht an Neidern und Eifersüchtigen. Kommissar Müller Benedikt gerät bei seinem vierten Fall in die Schlangengruben der Kommunikations- und Politbranche und muss schaurig aufpassen, dass er nicht selber gebissen wird. Manches schrammt arg nah am Parodistischen vorbei und ist doch ungemein realistisch. Raphael Zehnders unbestechlicher Blick für Absurditäten und Eitelkeiten machen seine Kriminalromane zu einer vergnüglichen Gesellschaftssatire.

Klassenkampf mit Mord

Petra Ivanov: «Heisse Eisen», Appenzeller-Verlag, August 2015, 39.90 Fr.

Politik ist sein Leben. Seit Jahrzehnten engagiert sich Moritz Kienast mit Verve für Soziales und Umweltschutz. Geradezu verbissen fordert der parteilose Kantonsrat einen durchgehenden Uferweg entlang des Zürichsees – und damit quasi die Enteignung von Privatgrundstücken mit Seeanstoss. An Feinden mangelt es ihm wegen seiner Kompromisslosigkeit und seiner klassenkämpferischen Allüren nicht. Auch mit dem Bruder hat er sich bös verstritten, und mit der Ehefrau hat er nicht mehr viel gemeinsam. Plötzlich verschwindet der Mittfünfziger von der Bildfläche, und als kurz darauf in einer Waldhütte am Albis eine verkohlte und aufgespiesste Leiche gefunden wird, zweifelt Staatsanwältin Regula Flint keinen Moment an deren Identität. Ihren «verflixten siebten Fall» muss sie allerdings unter erschwerten Bedingungen aufklären – ihr Partner, der Kriminalpolizist Bruno Cavalli, weilt für eine Undercover-Ermittlung in den USA. «Heisse Eisen» ist sehr dicht an der Realität geschrieben, akribisch recherchiert, gelegentlich mit Informationen überfrachtet und geprägt von psychologischer Tiefe. In der Veranstaltungsreihe «Zürich liest» ist Petra Ivanov gemeinsam mit der Krimiautorin Mitra Devi unterwegs im Krimitram: Samstag, 24. Oktober, 15 Uhr und 17 Uhr, Extrafahrten-Haltestelle Bellevue, Tickets 15 Franken, erhältlich bei Starticket.

Schatten über Zürich

Marcus Richmann: «Januskinder», Gmeiner-Verlag, 2015, 17.90 Franken.

Ein obdachloser Alki findet auf seiner Suche nach einem warmen Schlafplätzchen in einem Baucontainer beim Kongresshaus ein wimmerndes Baby, das kurz darauf stirbt. Es handelt sich um die kleine Jacqueline, die vor fünf Tagen entführte Tochter eines Ärzte-Ehepaars. Lösegeldforderungen sind aber keine eingegangen. Noch während Maxim Charkow, der russischstämmige Ermittler der Mordkommission Zürich, im Umfeld der Familie ermittelt, wird zwischen Müllsäcken hinter einem Thai-Restaurant im Rosenhof ein weiteres totes Baby gefunden. Die Spurensuche führt Maxim Charkow und sein Team in die Abgründe Zürichs zwischen Rotlichtmilieu und Goldküste, zu russischen Menschenhändlern und den Säulen der Zürcher Gesellschaft. In seinem dritten Charkow-Krimi hat der nahe Zürich lebende Autor Marcus Richmann seine Recherchen über ein dunkles Kapitel der Schweizer Sozialgeschichte verwoben, die administrative Versorgung in der Psychiatrie. Nach und nach verknüpfen sich die Handlungsstränge – das Buch bleibt spannend und anspruchsvoll bis zuletzt.

 

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