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Mario Babini: «Der wichtigste Moment ist die Gegenwart.» Bild: JS

"Allein, in meiner Zelle"

Von: Jan Strobel

24. März 2015

Gemeinderat Mario Babini erzählt über seine ­U-Haft und darüber, was ihm Kraft gegeben hat.

Mario Babini, Gemeinderat, parteilos, hat sich eben eine Zigarette gedreht und lässt den Rauch in die frühlingshafte Zürcher Luft steigen. Hinter ihm erhebt sich die Bronzestatue auf dem Werdplatz mit ihrer ganzen energiegeladenen, kraftvollen Männlichkeit. Ihr Titel: «Befreiung». «Das könnte in meinem Fall nicht zutreffender sein», sagt Babini. Und: «Es wird für mich immer einfacher, mich der Öffentlichkeit zu stellen. Ich tue das Schritt für Schritt, wie ein Marathonläufer. Und wenn ich zurückblicke, habe ich schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt.» Irgendwann habe jeder, gerade im Gemeinderat, gemerkt, dass er kein Psychopath sei, sondern lediglich eine kurze manische Phase durchgemacht habe. «Das Einzige, was davon als Symptom noch übrig ist, ist mein etwas gesteigerter Redefluss.»

Das sagt der Mann, der noch vor kurzem in den Boulevardmedien als der «Messerfuchtler» und der «irrste Politiker der Schweiz» betitelt wurde, der 101 Tage in U-Haft sass, nachdem er angetrunken in einer Bar in der Enge herumgepöbelt und einen Gast mit einem Messer bedroht haben soll. Das Messer hat er mitgenommen zu unserem Gespräch – es ist ein Nagelclip an seinem Schlüsselbund. Seit Anfang März sind sämtliche Verfahren gegen den 57-Jährigen eingestellt. Er darf sich jetzt wieder als freier Mann der Politik und der Öffentlichkeit widmen, der er sich in den nächsten Monaten gleich zweimal stellt. Am 1. April wird er im Zentrum Karl der Grosse an der Mittagsveranstaltung «Gemeinderat, zu Tisch!» über sein Zürich diskutierten. Im Mai soll schliesslich sein Buch «101 Tage –mitten aus dem Leben gerissen» über seine Zeit in der U-Haft erscheinen.

«Ich war froh, dass ich diese Tage allein mit mir in meiner kleinen Zelle verbringen konnte», erzählt Babini. «Du erfährst im Knast, was wirklich wichtig ist im Leben, nämlich die Zeit, die dir Kraft gibt. Der Buddhist in mir sagt heute: Der wichtigste Moment ist die Gegenwart. Die Vergangenheit ist history, die Zukunft ist mystery.»

Das Einzige, was ihm wirklich Angst gemacht habe, sei gewesen, «zwangsweise medikamentös behandelt zu werden, obwohl dies ohne ­juristische Zustimmung heikel ist. Doch ich habe in meinem Leben eines gelernt, nämlich zu denken und jedes Problem wissenschaftlich anzugehen. Das hat mich im Leben weiter gebracht als alles andere.»

Von guten Mächten umgeben
Ein Fundament für die Seele, sagt Babini, hätte ihm in dieser Zeit besonders ein Gedicht Dietrich Bon­hoeffers, des Theologen und Widerstandskämpfers gegen die Nazis, gegeben. Babini rezitiert es aus dem Stegreif: «Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.» Kraft schöpfte er auch durch «meine wahren Freunde und meine Kinder, die mich in der Haft besucht haben». Auch seine Nachbarn in der Enge hätten immer zu ihm gestanden.

Doch hat sich sein Blick auf den Politbetrieb und die Gemeinderatskollegen verändert? Hat er nicht seine politische Heimat verloren? Babini verneint, ist sogar froh, dass er jetzt, da er nicht mehr für die SVP politisiert, eine neue Freiheit gefunden habe, auch eine unverhoffte Machtposition, die ihn mitunter im Rat zum Zünglein an der Waage macht. Sein Profil umschreibt er heute als «mehr liberal, weniger rechtspopulistisch» und könnte sich durchaus vorstellen, dereinst in den Reihen der FDP zu sitzen.

Mit seinem ehemaligen Parteichef Mauro Tuena steht er heute wieder auf kollegialem Fuss. «Neulich, beim Skirennen des Gemeinderats, habe ich Tuena hochkant abgehängt.»

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