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Das blinde Zürcher Ehepaar Elsbeth und Alfred Keller ertastet das taktile Stadtmodell mit Braille-Schrift. Es ist in Zürich einzigartig. Bild: GH

Altstadt zum Anfassen

Von: Ginger Hebel

08. Juni 2021

Stadtmodell: Blinde und sehbehinderte Menschen können jetzt auf Fingerspitzen durch Zürich spazieren. Möglich macht dies ein dreidimensionales Tastmodell mit Blindenschrift beim Stadthaus. 

«So breit habe ich mir das Limmatquai gar nicht vorgestellt. Und wie gross die Kirchen sind», schwärmt Elsbeth Keller und fährt mit ihren Fingern über das neue Tastmodell am Stadthausquai. Die Zürcherin ist seit ihrer Kindheit blind. Auch ihr Mann Alfred kann nichts sehen. Gemeinsam hören und tasten sie sich durchs Leben und entdecken die Stadt. Elsbeth Keller erfühlt die Kuppe der Sternwarte und die Dimensionen des Hauptbahnhofs. «Das ist eine ganz spannende Erfahrung.» Ihr Mann Alfred schätzt die neue Möglichkeit, Zürcher Plätze und Gassen ertasten und die Architektur erleben zu können. Kleine Punkte in Blindenschrift (Braille) geben Informationen zu Gebäuden und Strassen.

Die Heimat ertasten

Das taktile Stadtmodell für blinde und sehbehinderte Menschen ist in Zürich einmalig. Es stammt von Felix Brörken aus Nordrhein-Westfalen. Der Künstler hat es anhand hunderter Fotos in einem aufwendigen Verfahren im Massstab 1:750 aus Goldbronze erstellt. Es zeigt das Gebiet der Altstadt zwischen Bürkliplatz / Bellevue und Hauptbahnhof. «Dieser Massstab erlaubt es, die Stadtstruktur gut zu ertasten», erklärt Felix Brörken. In zahlreichen deutschen Städten stehen bereits Blinden-Stadtmodelle. Die skulpturartigen Gebilde stossen auch bei der sehenden Bevölkerung auf Begeisterung. «Sie ermöglichen eine neue Sicht auf die Heimatstadt», erklärt der Kunsthandwerker.

Meilenstein der Integration

Auf dem Zürcher Zwingliplatz befindet sich bereits ein Tastmodell des Grossmünsters. Nach Reparaturarbeiten wurde es kürzlich wieder aufgestellt. «Ein Tastmodell eines ganzen Stadtgebiets gab es in Zürich bisher nicht, wir sind sehr stolz darauf», sagt Stadtrat Richard Wolff. Es handelt sich dabei um eine Schenkung des Serviceclubs Lions Zürich-Turicum und der Zürcher Kantonalbank. Der Lions Club Zürich-Turicum hat hunderte von Stunden Freiwilligenarbeit im Hinblick auf die Schenkung des bronzenen Tastmodells mit Blindenschrift für die Bevölkerung der Stadt Zürich und deren Einweihung geleistet. «Ein von mir lang gehegter Wunsch geht damit in Erfüllung», sagt Marcel Rohr, Lions-Mitglied und Initiant des Projekts.

Auch Daniel Rey, Geschäftsleiter der Zürcher Sehhilfe, Beratungsstelle für blinde und sehbehinderte Menschen, freut sich. «Das ist eine Bereicherung und ein Meilenstein für die Integration.» Er ist überzeugt, dass auch Schulklassen sowie Touristen auf ihren Stadtrundgängen künftig von diesem Modell profitieren werden. Daniel Rey erlebt Zürich als sehr fortschrittlich, was die Barrierefreiheit betrifft. «Es gibt viele taktile Bodenleitsysteme im öffentlichen Raum sowie hindernisfreie Haltestellen. Zudem werden blinde und sehbehinderte Menschen oft in Projekte miteinbezogen, das ist erfreulich.» Für Stadtrat Richard Wolff ist klar: «Eine Stadt muss für alle funktionieren, auch für Menschen mit Einschränkungen.»

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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