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Leben die Vielfalt: Trix Meier und Christoph Gantert von der Brockenhalle Tigel. Bild: GH

Ansturm auf Zürcher Brockis

Von: Ginger Hebel

29. März 2022

Wandel: Gebrauchtes wird weiter gebraucht. Seit der Pandemie werden mehr Möbel und Kleider gespendet. Bewusstes und nachhaltiges Einkaufen ist gefragter denn je. Die Zürcher Brockenhäuser erleben einen Boom.  

Vor dem Brockenhaus stehen sie Kolonne. Händler, Schnäppchenjäger, Preisbewusste. Und Familien mit Grosseltern und Enkelkindern. Sie sind auf der Suche nach günstigen Weingläsern, nach bunten Lampen im 70er-Jahre-Stil und Einzelstücken. Einige Stammgäste kommen sogar zweimal täglich, weil das Angebot in den Zürcher Brockis oft stündlich wechselt. «Die Nachfrage bestimmt den Preis», sagt Trix Meier, Mitglied der Geschäftsleitung Genossenschaft Brockenhalle Tigel (tigel.ch).

Seit über 40 Jahren existiert die Brockenhalle im Seefeld. «In unserer Gesellschaft wird viel Brauchbares weggeworfen. Wir tun etwas dagegen und bringen gebrauchte Artikel wieder in Umlauf», sagt Trix Meier, die seit 21 Jahren mit Herzblut für den Tigel arbeitet. Im Tigel gibt es nur wenige Ladenhüter. «Ein Brockenhaus lebt von der Vielseitigkeit», betont Mitarbeiter Christoph Gantert. Auf drei Etagen: Skurrile Werkzeuge, Haushaltsartikel, Holzschränke, Stühle, Bücher, Vinyl-Platten. Zinnbecher, früher beliebt, verkaufen sich heute schwer, ebenso Waschkommoden mit Marmorplatten. «Früher konnten wir dafür bis 400 Franken verlangen, heute müssen wir sie viel billiger anschreiben», sagt Meier. Sie orientieren sich auch an den Preisen im Internet. «Das machen heute alle.»

Junge mögen Gebrauchtes

Wer sich für Secondhand entscheidet, schont nicht nur das Portemonnaie, sondern leistet einen Beitrag zum Umweltschutz. «Secondhand trägt einen wichtigen Anteil zum nachhaltigen Konsum bei. Ausserdem fliesst unser Ertrag direkt in soziale Projekte der Stiftung Heilsarmee für Menschen in Not», sagt Morena Napoletano, Mitglied der Heilsarmee-Brocki-Geschäftsleitung (derzeit 19 Filialen schweizweit, in Zürich an der Geroldstrasse, brocki.ch). Die jüngere Generation kauft heute vor allem Secondhand-Kleider. «Die beste Jeans ist die, die nie produziert worden ist. Die zweitbeste jene, die es schon gibt, und die von jemandem noch lange weitergetragen wird», sagt Napoletano. Diesen Trend beobachtet auch Trix Meier. «Auch wir spüren den Willen der Klimajugend. Bei uns kaufen mehr Junge ein als früher.» Das verstaubte Brocki-Image ist längst passé. Auch das Arche Brockenhaus in Altstetten (arche-brockenhaus.ch) stellt einen Wandel fest. «Die Jungen sind sehr neugierig, auch Schulklassen besuchen uns öfters», sagt Teamleiterin Nathalie Dubois. Deko-Artikel, Geschirr, aber auch Kleinmöbel seien gefragt. «Erstaunlich ist, dass Kunden immer häufiger nicht nur Gebrauchtes ins Brocki bringen, sondern auch neuwertige Ware, teilweise nicht einmal ausgepackt.» Sie sei aber froh, dass die Artikel im Brocki landen und nicht im Müll.

1000 Besucherinnen und Besucher tummeln sich samstags im Brockenhaus hinter dem Zürcher Hauptbahnhof (zuercher-brockenhaus.ch). Früher war das 124-jährige Traditionshaus für die Armen da. Heute ist die Kundschaft bunt gemischt, auch Zürcher Hipster suchen hier nach alten Beizentischen und Designklassikern. «Jedes Objekt hat seinen Preis. Nur weil wir ein Brocki sind, müssten wir einen Horgenglarusstuhl nicht verscherbeln», sagt Chef Ueli Müller. Das Brocki ist zur Inspirationsquelle geworden. «Auch Möbelhändler schauen sich regelmässig bei uns um», erzählt Müller stolz. «Wir legen Wert auf eine schöne Präsentation der Waren. Die Kunden schätzen die Einkaufsatmosphäre.» In der hauseigenen Polsterei wird das alte Handwerk gelebt. Ueli Müller beobachtet bei den Möbeln eine gewisse Uniformität wie bei der Mode. «Zürcher springen stark auf Trends auf und kaufen Möbel nach Farben.» Monobloc-Stühle, lange verpönt, sind heute wieder gefragt. Ist der Trend vorbei, trennen sie sich davon. Auch originalverpackte Gartenmöbel landen im Brocki. «Leute kaufen häufig auf Vorrat oder sie ziehen um und stellen fest, dass die Möbel nicht mehr passen», sagt Mitarbeiter Björn Neukom. Auch er hat seine Einrichtung – und vor allem seine Kleider – von den Brockenhäusern und vom Strassenrand. «Zürcherinnen und Zürcher entsorgen viel Gutes oder bringen es ins Brockenhaus.»

Einige Brockis werden immer öfter aber auch benutzt, um gratis zu entsorgen. Vor dem Tigel im Seefeld liegen oft Berge voller Kleider. «Massentextilien sind zum Problem geworden. Vieles ist unbrauchbar. Aber auch wir können nicht gratis entsorgen, das sind sich viele nicht bewusst», sagt Trix Meier. Zudem hätten sie – wie alle Brockis – einen Qualitätsanspruch. «Artikel kommen nur sauber und intakt ins Regal.» Die Kundschaft schätzt, dass alles, was man im Brocki sieht, sofort verfügbar ist. Anders als in Möbelgeschäften, wo die Wartezeiten für einen Stuhl oder ein Sofa aufgrund von Lieferengpässen und Rohstoffmangel bis zu zwölf Wochen betragen. Dank der vielen Warenspenden sind die Brockenlager voll bis zur Decke.

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