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Die Grünen feiern mit Prosecco und Blumen: Die Grüne Ständeratskandidatin Marionna Schlatter freut sich am 20. Oktober über das Zwischenresultat der Eidgenössischen Nationalrats- und Ständeratswahlen. Bild: Keystone

Auch Zürich sieht jetzt grün

Von: Jan Strobel

22. Oktober 2019

Der Triumph der Grünen und der Grünliberalen bei den Nationalratswahlen vom Sonntag hat auch im Kanton und in der Stadt Zürich seinen Niederschlag gefunden. Selbst in ihren klassischen städtischen Hochburgen mussten vor allem die SP und die FDP Federn lassen.

An Superlativen mangelte es an diesem Wahlsonntag nicht – und das kommt auf der nicht unbedingt besonders emotionalen Schweizer Politbühne ziemlich selten vor. Die Rede war von einer  historischen Wahl, von einer der grössten Verschiebungen, welche die Bundespolitik in ihrer jüngeren Vergangenheit erlebt habe. Natürlich durfte auch der Hinweis auf Greta Thunberg nicht fehlen. Die 16-jährige Klimaaktivistin aus Schweden habe die hiesigen Wähler «aufgerüttelt». Klar scheint für manche Kommentatoren mit Blick auf die Endresultate indessen eines zu sein: Die historischen politischen Pole zwischen links und rechts schmelzen langsam, aber stetig weg – überdies ein europäisches Phänomen, das sich jetzt auch in der Schweiz bemerkbarer macht denn je.

Das zeigt sich auch im Kanton und in der Stadt Zürich. Obwohl sich eine «grüne Welle» bereits im Vorfeld und schon an den letzten Kantonsratswahlen abzeichnete, mussten die etablierten Parteien im Kanton Zürich zum Teil erstaunlich deutliche Verluste hinnehmen. Die grössten Verlierer dieser Nationalratswahlen sind die SVP und die SP. Erstere rutschte um 3,98 Prozent von 30,68 auf 26,7 Prozent ab. Die Sozialdemokraten müssen ihrerseits einen ähnlichen Verlust von 4,08 Prozent verkraften, von 21,39 Prozent bei den Wahlen 2015 auf jetzt 17,31 Prozent.

Besonders bitter fiel der Wahlsonntag für die FDP aus, die sich bei den Nationalratswahlen 2015 noch über einen entscheidenden Zugewinn hatte freuen können. Die jahrzehntelange Talfahrt des Zürcher Freisinns schien damals gestoppt. Jetzt verliert die FDP den damals gewonnenen Boden wieder und fällt mit 13,66 Prozent sogar hinter die Grünen und die Grünliberalen. Neu ist sie nur noch fünftstärkste Kraft im Kanton.

Die Sensation lieferten auch in Zürich die Grünen, die um 7,19 Prozent zulegten. Ihr Aufstieg ist vergleichbar mit jenem der SVP in den 1990er-Jahren. «Völlig überwältigt» zeigte sich denn auch Grünen-Präsidentin Regula Rytz von diesem Resultat. Mit 14,08 Prozent ist die Partei im Kanton drittstärkste Kraft hinter der SVP und der SP. An vierter Stelle folgen als zweite grosse Gewinner dieser Wahlen die Zürcher Grünliberalen. Sie legten um 5,83 Prozent zu und kommen neu auf 13,99 Prozent.

Einzug der Jungpolitiker
Erstaunlich ist ein Blick auf die Resultate in der Stadt Zürich, die traditionell zu einer Hochburg der SP gehört. Selbst in ihren Stammkreisen 4, 5, 3 und 6 verloren die Sozialdemokraten deutlich – besonders stark im Kreis 6 mit minus 7,75 Prozent. Es sind dieselben Stadtkreise, in denen wiederum die Grünen besonders massiv zulegten, im Kreis 3 gar um 11,55 Prozent. Interessant ist auch das Abschneiden der Grünliberalen in den Stadtkreisen 7 und 8, die bisher als FDP-Hochburg galten. Die GLP legte hier um 7,94 Prozent zu, während die FDP 3,61 Prozent verlor. Hier zeigt sich die Verschiebung innerhalb der klassischen politischen Lager also besonders deutlich. Links hat heute vor allem in der Stadt immer stärker einen grünen und etwas weniger einen roten Anstrich, liberal weniger einen blauen als einen hellgrünen, auch wenn der derzeitige Klima-Hype während der kommenden Legislaturperiode wieder etwas abflauen sollte und andere Themen im Vordergrund stehen könnten. Die Sozialdemokraten wie auch der Freisinn haben es nicht geschafft, gegen die grüne und grünliberale Dominanz in der Klimafrage anzukommen. Die SVP wiederum scheint sich zu spät mit Verve der zeitgeistigen Diskussion angenommen zu haben.

Zu Überraschungen kam es auch bei den neu in den Nationalrat gewählten Zürcherinnen und Zürchern. So schaffte es der erst 25-jährige Stadtzürcher FDP-Gemeinderat Andri Silberschmidt mit 60 538 Stimmen in die grosse Kammer. Erst letztes Jahr war der  Bankangestellte und Gastrounternehmer in den Zürcher Gemeinderat eingetreten (siehe Interview unten).

Ihren Sitz im Parlament räumen müssen hingegen zum Beispiel Kathy Riklin (CVP), Martin Naef (SP) oder Hans-Ulrich Bigler (FDP), der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands. Nicht in den Nationalrat geschafft haben es etwa Milieu-Anwalt Valentin Landmann (SVP) oder der langjährige SVP-Stratege Christoph Mörgeli.

«Ich sehe mich im Nationalrat als Brückenbauer»

Mit seinen 25 Jahren ist Andri Silberschmidt, der frisch in den Nationalrat gewählte Stadtzürcher FDP-Politiker und Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, der schweizweit jüngste Parlamentarier in Bundesbern. Ganz fremd ist ihm der Arbeitsalltag in einem Parlamentsbetrieb allerdings nicht. Er politisierte bereits im Stadtzürcher Gemeinderat.

Erst 2018 traten Sie in den Zürcher Gemeinderat ein. Jetzt folgt bereits der Sprung in den Nationalrat. Haben Sie keine Höhenangst?
Andri Silberschmidt: Die Wahl ist auch für mich selbst eine absolute Sensation. In meiner Zeit im Zürcher Gemeinderat konnte ich erste Erfahrungen im Parlamentsbetrieb sammeln und mich in der Spezialkommission Hochbaudepartement  besonders bei Themen der Stadtentwicklung engagieren. Und als Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz ist mir die nationale Bühne natürlich auch nicht fremd. Auf Ende Jahr werde ich dieses Amt nach knapp vier Jahren abgeben.

Die FDP musste bei den Nationalratswahlen Verluste hinnehmen. Wie wollen Sie im künftigen von Mitte-links dominierten Parlament starke liberale Akzente setzen?
Ich habe bereits in der rot-grün dominierten Stadt Zürich gelernt, Akzente zu setzen. Mit dieser Ambition gehe ich im Dezember auch nach Bern. Es gibt aktuell zwei Hauptthemen, für die ich mich besonders engagieren möchte. Einerseits geht es um die Anliegen von Jungunternehmern und die Rahmenbedingungen, unter welchen sie arbeiten. Ich selbst bin Gastrounternehmer. Ein anderes Kernthema wird für mich die Sicherung der AHV im Sinne einer fairen Reform sein.  Ich sehe mich dabei im Nationalrat als Brückenbauer zwischen den politischen Lagern.

Was sagen Sie grundsätzlich zum Abschneiden der FDP?
Wir sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Ich bin aber sicher, dass wir mit einer verantwortungsvollen Klima- oder Europapolitik in vier Jahren wieder ein sehr starkes Resultat erzielen werden.

Wie haben Sie Ihre Wahl gefeiert. Im eigenen Lokal, dem Kaisin am Talacker?
Nein, leider nicht, ich feierte aber mit Freunden spontan gleich nebenan in der Pelikanbar. Am Tresen. JS

Jungunternehmer und neu gewählter FDP-Nationalrat: Andri Silberschmidt.

So schnitten die einzelnen Parteien im Kanton Zürich ab

 

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