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Polizei rät: Nicht abwarten - handeln. Adobe Stock

Bedroht im eigenen Zuhause

Von: Ginger Hebel

02. November 2021

Häusliche Gewalt beginnt oft mit Beleidigungen, körperlicher Misshandlung – und endet im schlimmsten Fall mit Mord. Experten sind sich einig, dass sich ohne Meldung oder Anzeige die Situation häufig verschlechtert. 

Hinter verschlossenen Türen kommt es zum Streit. Er beleidigt sie. Sie macht ihm Vorwürfe. Schreie. Schläge. Die Situation eskaliert. Die Kantonspolizei Zürich rückt täglich rund 18-mal wegen Meldungen zu häuslicher Gewalt aus. 2020 kam es gemäss Zürcher Kriminalstatistik zu sechs Morden und vierzehn versuchten Tötungen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt. In Zürich-Altstetten ereignete sich am 13. Oktober ein Femizid. Eine 30-jährige Mutter wurde erstochen. Beim dringend Tatverdächtigen handelt es sich um ihren Mann.

Gemäss dem Informationsportal «Stop Femizid» kam es dieses Jahr schweizweit zu 25 Femiziden und neun versuchten Tötungen. «Häusliche Gewalt wird statistisch erfasst, nicht aber Femizide. Wir wollen das Problem beim Namen nennen», sagt Sylke Gruhnwald von «Stop Femizid». Um Gewalt gegen Frauen möglichst umfassend zu dokumentieren, zählen Sylke Gruhnwald, Nadia Brügger und Pauline Martinet alle Morde an weiblichen Personen in der Schweiz. Sie durchforsten Polizeiberichte und Medienmitteilungen und verlinken auf ihrer Homepage auf anonyme und kostenlose Hilfsangebote. «Dass Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind, schmerzt.»

Gewalt in der Schwangerschaft

«Gewalt an Frauen beginnt sehr oft mit Beschimpfungen, Beleidigungen und Demütigungen», sagt Pia Allemann, Co-Geschäftsführerin der Zürcher Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft (BIF). Frauen zwischen 25 und 45 sind am häufigsten von häuslicher Gewalt betroffen. «Bei auffallend vielen beginnt Gewalt in der Schwangerschaft. Das ist erschreckend. Wichtig ist, dass sich die Betroffene rasch Hilfe holt. Auch Angehörige oder Nachbarn können Unterstützung anbieten», sagt Pia Allemann. Mike Mottl, Geschäftsleiter und Männerberater des Mannebüro Züri, teilt diese Beobachtung. «Tatsächlich ist die Zeit der Familiengründung betreffend häusliche Gewalt am gefährlichsten.» Sie bringe oft ungeahnten Stress mit sich, Frust und Überforderung. «Die Sexualität und das gemeinsame Leben verändern sich. Das wird oft unterschätzt.» Mottl glaubt nicht, dass die Gewalt in der Gesellschaft zugenommen hat. Es sei positiv zu deuten, dass das Anzeigeverhalten sich verändert und Opfer eher bereit seien, etwas gegen Gewalt zu unternehmen. Er beobachtet jedoch einen merklichen Anstieg von Partnerschaftskonflikten. Über 700 Männer haben sich 2020 vom Mannebüro Züri beraten lassen – so viele wie noch nie. «Stolpersteine im Leben sind Trennungen und Scheidungen. Wenn der Traum einer glücklichen Familie und ewiger Liebe begraben wird, leiden viele Männer; vielleicht noch mehr als Frauen.»

Angst vor einer Trennung

Häusliche Gewalt ist ein Thema, über das die meisten Frauen ungern sprechen, aus Scham und Angst vor Rache. «Die Erfahrung zeigt, dass eine Meldung oder eine Anzeige bei der Polizei meistens zu einer Verbesserung der Situation führt», sagt Judith Hödl von der Stadtpolizei Zürich. «Die meisten Täter können nur zu einer Verhaltensänderung bewegt werden, wenn möglichst früh klare Zeichen gesetzt und griffige Massnahmen eingeleitet werden.» Gestützt auf das Gewaltschutzgesetz, kann die Polizei eine gefährdende Person für 14 Tage aus der gemeinsamen Wohnung wegweisen. Ebenso kann ein Kontakt- und ein Rayonverbot auferlegt werden. Auch lassen sich die Massnahmen auf Antrag vom Gericht um maximal drei Monate verlängern. Bei einem Verstoss wird die Person wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen mit einer Busse bestraft. Auch können die Täter von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zur Teilnahme an Lernprogrammen (zum Beispiel «Partnerschaft ohne Gewalt») verpflichtet werden. «Das grundsätzliche Dilemma ist, dass alle Massnahmen befristet sind. Wenn bei einem Gefährder nicht innerhalb des zur Verfügung stehenden Zeitfensters eine Verhaltens- beziehungsweise Einstellungsänderung erreicht werden kann, ist das Instrumentarium irgendwann erschöpft», sagt Judith Hödl.

30 Prozent der Männer, die ein Kontakt- und Rayonverbot und / oder eine Wegweisung erhalten haben, konnten zu einer persönlichen Beratung im Mannebüro Züri motiviert werden. «Männer berichten uns oft, dass der Polizeieinsatz rückblickend die Sache hat zum Guten wenden lassen. Es kann die Gewaltspirale durchbrechen», sagt Mike Mottl. Er glaubt, dass das Gewaltschutzgesetz da eine wichtige Rolle spielt. «Wir hätten wohl sonst noch mehr Leid in den Familien und auch mehr Femizide.» «Viele Frauen haben Angst, auch vor einer Trennung», sagt Gewaltexpertin Pia Allemann. Es sei aber wichtig, zu reagieren und sich professionelle Hilfe zu holen. «Der Schutz der Frau und der Kinder steht immer an erster Stelle.» Auch sei es ratsam, einen Notfallkoffer bei einer Vertrauensperson zu deponieren, immer ein Ladegerät fürs Handy dabeizuhaben und die Nummer der Polizei zu speichern. «In Ausnahmesituationen gehen auch einfache Nummern vergessen.»

Kostenlose Hilfe und Beratung:

Polizei: 117

www.stopfemizid.ch

www.bif-frauenberatung.ch

www.mannebuero.ch

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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