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Die Mitarbeiter eines Callcenters wussten nichts von betrügerischen Machenschaften ihrer Chefs. (Symbolbild)

Betrug aus dem Callcenter

Von: Isabella Seemann

26. November 2019

Dutzende hilfsbereite Spender geprellt: Ein Strafgerichtsfall am Zürcher Obergericht gewährt Einblick in dubiose Geschäfte von Callcenter-Kriminellen.

Blasser Teint, Karo-Hemd unterm Strickpullover, darüber eine gesteppte Barbour-Jacke: Mr. Jones* tritt auf, als habe er nur eben seine Landpartie unterbrochen für diesen lästigen Termin am Obergericht. Er will den Tolggen im Reinheft tilgen lassen und erhebt Einsprache gegen das erstinstanzliche Urteil des Zürcher Bezirksgerichts. Dieses hatte ihn 2017 wegen gewerbsmässigen Betrugs zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Sein Businessmodell führte allerdings schon vor einem Jahrzehnt zu Warnungen in Konsumentenmagazinen, Hunderten von Strafanzeigen, einer Festnahme und 43 Tagen U-Haft. Zahlreiche Einsprachen sowie eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes seitens der Untersuchungsbehörden – wie das Obergericht festhalten wird – sorgten dafür, dass das Verfahren gegen den Briten noch immer nicht abgeschlossen ist. Sein ehemaliger Geschäftspartner hatte jedoch gestanden und wurde in einem separaten Verfahren verurteilt. Dieser trage alleine die Schuld, sagt Mr. Jones. «Ich bin unschuldig.» Was er denn heute beruflich mache, fragt der Oberrichter den smarten 60-Jährigen mit dem Anschein eines erfolg­reichen Gentlemans. «Ich habe Krebs», antwortet dieser.

Frühling 2010: Täglich ergoss sich medial eine Pandemie-Hysterie über die Bevölkerung. Für die sogenannte Schweinegrippe verkündete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) höchste Warnstufe. Mr. Jones, studierter Ingenieur, und sein Partner witterten das grosse Geschäft und gründeten einen angeblichen Pandemiewarndienst. Dabei wählten sie über eine Infoline Telefonnummern in der Deutschschweiz an und liessen die Verbindung sofort wieder abbrechen. Personen, die die regional anmutende Nummer auf ihrem Display zurückriefen, vernahmen sodann eine Tonbandstimme, die sagte, dass sie sich «rechtsgültig» gegen eine Jahresgebühr von 130 Franken für einen Infodienst gegen Grippe und Pandemie angemeldet hätten, wenn sie die Nachricht bis zum Pieps hörten, der dann auch sofort erklang. Danach versandte das Duo an die 10 000 Personen je eine Rechnung. 174 Leute gingen ihnen auf den Leim und überwiesen insgesamt 22 620 Franken an Mr. Jones’ Firma.

Kleinvieh macht auch Mist! Dieses Motto befolgte das Duo auch, als es mit dem Verein «Peace Aid» in Aktion trat. Ihre ahnungslosen Callcenter-Mitarbeiter riefen mehrere Tausend Personen an und baten sie um Spenden für Projekte zur Eindämmung der grassierenden Jugendkriminalität. Rund 1209 Gutmeinende kauften den Anrufern das karitative Engagement ab und überwiesen summa summarum 45 203 Franken und 45 Rappen. Nur: Der Verein mit der professionell wirkenden Website war ein Lügengebäude – oder wie man heute sagt: Fake.


Opfer sollen Mitverantwortung tragen

Der Staatsanwalt nennt es gewerbsmässiger Betrug und beantragt 36 Monate Freiheitsstrafe. Mr. Jones habe eine ausserordentlich grosse Zahl an Personen geschädigt und sei dabei raffiniert, aggressiv und mit krimineller Energie vorgegangen. Besonders verwerflich sei, wie er die Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft von Menschen schamlos und schändlich ausgenützt habe.

Mr. Jones’ Verteidiger verlangt zuerst einmal, dass der Staatsanwalt wegen Befangenheit in Ausstand treten müsse. Dann schiebt er den Opfern, die «nur 1,74 Prozent» aller Angerufenen ausmachten, eine Mitverantwortung zu. Sein Mandant sei von allen Punkten freizusprechen und für die U-Haft und den Lohnausfall zu entschädigen.

Das Obergericht sieht keinen Anlass, auf das Ausstandsbegehren gegen den Staatsanwalt einzutreten. Hinsichtlich «Peace Aid» spricht es Mr. Jones des gewerbsmässigen Betrugs schuldig, von der Anklage «Pandemie-Infoline» wird er jedoch freigesprochen. Damit senkt es die Freiheitsstrafe auf 13 Monate zur Bewährung. Den 174 Privatklägern muss Mr. Jones jeweils die Hälfte ihrer Spenden an «Peace Aid», zuzüglich 5 Prozent Zins seit 2010 zurückzahlen. Das macht zwar bei Einzelnen nur noch um die 10 Franken aus, aber eben: Auch Kleinvieh macht Mist, wie Mr. Jones aus Erfahrung weiss.

*Namen geändert

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