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Was hinter die Absperrungen in Migros (im Bild) oder Coop gehört, ist nicht immer klar. Bild: CLA

Das Chaos in den Regalen

Von: Clarissa Rohrbach

19. Februar 2021

Grossverteiler und Ladenbetreiber zerbrechen sich den Kopf darüber, welche Produkte zu sperren sind und welche nicht. Der Bund nimmt die Unklarheiten bei den Covid-19-Verordnungen in Kauf. Bei der Umsetzung handeln die Geschäfte deshalb nach eigenem Augenmass.

Der Plüsch-Panda lächelt. Dabei liegt er hinter einem Absperrband in der Kinderabteilung der Migros. Seit dem 18. Januar dürfen in den Geschäften nur Waren des täglichen Bedarfs verkauft werden, dies bis voraussichtlich Ende Februar. Das bedeutet, dass Läden, die auch andere Produkte anbieten, diese absperren müssen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) listet in einem Anhang zur Verordnung Beispiele von Artikeln auf, die zulässig sind. So sind neben Lebensmitteln auch Kosmetikprodukte, Putzmittel, Geschirr, Kochutensilien, Zeitungen, Bau- und Gartenartikel, Schreibwaren und Unterwäsche freigegeben. Kleider und Spielzeuge sind hingegen gesperrt. Dass die Vorgaben des Bundes Fragen aufwerfen, zeigt ein Augenschein in der Zürcher Innenstadt.

In der Migros City beginnen die Widersprüche gleich beim Eingang. Neben Hammer und Nägeln preist eine Aktion ein elektrisches Kaminfeuer an. Während Sonnenbrillen unerlässlich scheinen, sind Mützen und Schals ausser Reichweite. Ein paar Regale weiter vorne stehen Brieftaschen zur Verfügung, Gürtel aber nicht. Im Coop City sind gleich ganze Etagen nicht zugänglich. Während im Erdgeschoss Schuhcremen, Strümpfe und Duschgels bereitliegen, sind die Damen- und Herrenkleider sowie die Spielzeugabteilung gänzlich geschlossen. In der dritten Etage stehen reihenweise Duftkerzen zum Kauf bereit, Tischtücher hingegen sind gesperrt. In der Küchenabteilung sind Wassersprudler erlaubt, Kaffeemaschinen nicht. Ab und zu ertönt eine Durchsage, die mitteilt, welche Artikel angeboten werden. Ein Test zeigt: In beiden Läden lassen sich eigentlich gesperrte Produkte problemlos an der Kasse bezahlen.

Frage der Interpretation

Manche Kunden sind sowohl in der Migros als auch im Coop verwirrt. «Ich verstehe es nicht, es gibt kein System», sagt eine ältere Dame. Eine andere stimmt dem zu: Es mache für sie keinen Sinn. Das eine könne man kaufen, das andere nicht. Eine junge Frau hingegen bleibt gelassen. Sie mache sich keine grossen Gedanken, sie bekomme alles, was sie brauche.

Doch wer entscheidet, welche Produkte zu sperren sind? Laut BAG obliegt die Durchsetzung und Kontrolle der Massnahmen den Kantonen. Der Covid-19-Sonderstab des Zürcher Regierungsrats teilt mit, der Kanton stehe im Dialog mit den Läden; Polizisten und Arbeitsinspektoren würden kontrollieren, ob die Massnahmen richtig umgesetzt werden.

Laut Gabriela Ursprung, Leiterin der Unternehmenskommunikation der Genossenschaft Migros Zürich, werde die Umsetzung des Teilsortiments selbständig nach Augenmass vollzogen. «Die Verordnung des Bundes ist zwar bindend, doch bei Tausenden von Artikeln gibt es trotz Vorgaben Interpretationsspielraum.» Man halte sich an die exemplarische Liste der Verordnung und entscheide in der Umsetzung pragmatisch im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten. Die Migros ist laut Ursprung zufrieden mit der Umsetzung der BAG-Massnahmen. «Bei den Kunden herrscht eine grössere Akzeptanz als im ersten Lockdown.»

Auch Coop-Sprecherin Melanie Grüter sagt, dass die Kunden Verständnis zeigten. Das Unternehmen hat anhand der BAG-Liste eine Richtlinie erstellt, die in allen Filialen einheitlich umgesetzt wird. Die Frage, wieso Tischtücher in der Migros erhältlich sind und im Coop nicht, kann Grüter nicht beantworten.

Drohende Konkurswelle
Das BAG meint, es würde zu weit führen, sämtliche Produkte aufzulisten, deshalb wurden diese nur in Form von Kategorien benannt. «Es kann deswegen in der Umsetzung zu gewissen Unterschieden kommen», räumt das BAG auf Anfrage ein. In Anbetracht der riesigen Menge an angebotenen Produkten könne nicht vermieden werden, dass die Abgrenzungen in Einzelfällen zu kritischen Rückfragen führten.

Dass im Detailhandel Verwirrung herrscht, bestätigt Christa Markwalder, FDP-Nationalrätin und Präsidentin von Swiss Retail. «Die Läden können die Inkohärenzen des Bundes nicht verstehen.» Das BAG habe zwar bei der Beschliessung der Massnahmen das Gewerbe einbezogen; doch die Regeln seien schwer nachvollziehbar. «Niemand kann erklären, warum man Blumen, aber keine Bücher im Laden kaufen kann», sagt Markwalder. Die Geschäfte hätten ratlos versucht, Listen von zulässigen Produkten zusammenzustellen.

Das Corona-Jahr 2020 hat Migros wenig zugesetzt. Trotz des Lockdowns im letzten Frühling stieg der Umsatz des Unternehmens um 7,2 Prozent auf 24,2 Milliarden Franken. Etwas anders sieht es bei Coop aus. Hier fiel der Umsatz um 1,6 Prozent auf 30,2 Milliarden Franken. Coop musste vor zwei Wochen zwei Non-Food-Filialen in Wil / SG und in Volketswil vorübergehend schliessen. Die Kunden seien weggeblieben. Die Standorte sollen allerdings nach dem Lockdown wieder öffnen. Ob die kleinen Geschäfte mit Waren des nichttäglichen Gebrauchs das auch können, ist ungewiss. «Es droht eine Konkurswelle», sagt Markwalder. Sie rechnet mit einem wöchentlichen Umsatzverlust von 800 Millionen Franken für den Detailhandel während des Lockdowns. Überproportional viele Leute in der Branche seien bereits arbeitslos. Diesen dürfte auch das Teilsortiment nichts bringen.

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