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Am Bezirksgericht Zürich wird in den kommenden Tagen über das Schicksal von Carlos entschieden. (Bild: Sabrina Meier)

Das Gericht beschäftigt sich erneut mit Carlos

Von: Ramona Kobe

30. Oktober 2019

Die Anklageschrift ist lang: 29 Vorfälle von Januar 2017 bis Oktober 2018. Ein Protokoll, wie der 24-jährige Carlos im Gefängnis wütet. Selbst hinter Gittern ist keiner vor ihm sicher. Nicht die Mithäftlinge, nicht die Aufseher und Gefängnisleiter. Ab heute steht er vor dem Zürcher Bezirksgericht.

Selten stösst ein Prozess auf solch reges Interesse wie jener, dessen Hauptverhandlung heute und morgen, 30. und 31. Oktober, am Bezirksgericht Zürich stattfindet. Grund für den Ansturm ist ein junger Zürcher, «einer der bekanntesten Straftäter der Schweiz» (Zitat eines Staatsanwalts), bekannt unter dem Pseudonym Carlos, der im August 2013 nach einer Dokumentation im Schweizer Fernsehen landesweit in die Schlagzeilen geraten ist. Der Fall um Carlos, Sohn eines Schweizers und einer Brasilianerin, hat auch grosse Diskussionen über den Aufwand zur Resozialisierung von Straftätern angestossen. Rund acht Jahre seines Lebens hat der inzwischen 24-Jährige bereits in geschlossenen Institutionen und Gefängnissen verbracht.

Rückblende: Nach einer Messerstecherei 2011 am Zürcher Schwamendingerplatz wurde der zur ­Tatzeit 15-jährige Jugendliche zu einer neunmonatigen Freiheits­strafe verurteilt – und bekam eine massgeschneiderte Sondertherapie. Das «Sondersetting» umfasste einen Privatlehrer, eine 4½-Zim­mer-­Wohnung sowie regelmäs­si­ges Thaibox-Training. Kostenpunkt: 29 000 Franken pro Monat. Zu
viel, fanden Medien und Politiker, das Sondersetting wurde daraufhin ab­gebrochen – Carlos war zwischenzeitlich auf freiem Fuss.

Ein weiterer Vorfall ereignete sich im Frühling 2016: Carlos soll einem Mann in Zürich beim Aussteigen aus einem Tram der Linie 2 nach einem Wortwechsel den Kiefer gebrochen haben, heisst es seitens Anklage. Das Bezirksgericht glaubte Carlos nicht, der von Notwehr sprach, und verurteilte ihn zu 18 Monaten unbedingt. Eigentlich hätte Carlos bereits im letzten Herbst entlassen werden sollen, doch wegen seines Verhaltens während seiner Inhaftierung, das immer wieder durch seine Gewaltbereitschaft geprägt war, sitzt er weiter in Untersuchungshaft, derzeit in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf.

Die Delikte, die Carlos im Rahmen des aktuellen Prozesses vorgeworfen werden, haben sich gemäss Anklageschrift zwischen Januar 2017 und Oktober 2018 ereignet. Der Straftatbestand: einfache sowie versuchte schwere Körperverletzung, Sachbeschädigung, mehrfache Drohung und Beschimpfung sowie wiederholte Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte.

Unrühmliche Bekanntheit

Den Anfang machte ein Vorfall im Januar 2017: Bei einem Eintrittsgespräch im Gefängnis Winterthur weigerte sich Carlos, seine Kleidung für die nötige körperliche Durchsuchung abzulegen. Er beschimpfte den Gefängnisleiter und die drei Aufseher, die zur Sicherheit dabei waren, drohte ihnen, sie «kaputtzumachen».

Immer wieder machte der heute 24-Jährige dem Personal verschiedener Gefängnisse das Leben schwer. Er spuckte, beleidigte, drohte; er nannte die Angestellten «Hurensöhne» und «Schlappschwänze» – wünschte ihnen den Tod. Seine Wut liess er auch an anderen Insassen aus. So drohte er einem der Häftlinge, der ihm sagte, dass er im Werkraum nichts ver­loren habe, ihn «fertigzumachen». Einem anderen schlug er im Speisesaal zweimal mit der Faust gegen den Kopf, sodass der Mann taumelte, gegen eine Tischkante prallte und schliesslich zu Boden stürzte. Zum schwerwiegendsten Vorfall im Rahmen der aktuellen Anklage kam es Ende Juni 2017 in der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf, also dort, wo sich Carlos derzeit befindet. «Jetzt erkläre ich euch den Krieg», brüllte er gemäss Anklageschrift, nachdem er über eine interne Verlegung informiert worden war. Er schlug den Gefängnismitarbeiter mit der Faust zu Boden und prügelte anschliessend auf ihn ein. Sechs Männer waren nötig, um Carlos von dem Opfer wegzureissen und diese Attacke zu stoppen. Der Aufseher musste sich über längere Zeit in Psychotherapie begeben und war monatelang arbeits­unfähig.

Für derart gelagerte Straftaten sieht das Strafgesetzbuch eine Verwahrung grundsätzlich vor. Der zuständige Staatsanwalt Ulrich Krättli wird seinen Strafantrag jedoch erst anlässlich der Hauptverhandlung stellen. Das Urteil wird voraussichtlich am 6. November verkündet.

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