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Im Regen stehen gelassen? Wie die Flugzeuge auf den Start, warten viele Kunden der Swiss auf eine Ticket-Rückerstattung. Symbolbild: iStock

Das grosse Geduldsspiel

Von: Sacha Beuth

08. Juni 2020

Wegen der Coronakrise konnte seit Mitte März kaum ein Flug durchgeführt werden. Seither warten Tausende von Kunden auf die Rückerstattung für die gebuchten Tickets durch die Reiseunternehmen. Doch diese können dem Begehren oft nicht nachkommen, da die Airlines ihnen das Geld dafür noch nicht überwiesen haben. Die Fluggesellschaften wiederum verweisen auf das hohe Volumen der Rückerstattungsansprüche, die nicht in der üblichen Frist bearbeitet werden könnten. Das dürfte allerdings nur die halbe Wahrheit sein.

Im November 2019 hatten Paul Donahue und Doris Waizmann aus Zürich damit begonnen, sich einen lange gehegten Reisewunsch zu erfüllen: Einen dreiwöchigen Trip ab 3. April nach Bali mit Zwischenhalt in Hongkong und Istanbul. Mitte Januar wurde schliesslich gebucht, die Flüge beim britischen Online-Anbieter Alternative Airlines, das Hotel in Istanbul über booking.com. «Wir haben uns extrem darauf gefreut, auch weil wir aus beruflichen Gründen kaum die Gelegenheit haben, für drei Wochen am Stück Ferien zu beziehen», erzählt Donahue. Rund 3000 Franken bezahlten er und Waizmann insgesamt für die Flugtickets sowie rund 150 Franken für zwei Übernachtungen in der türkischen Metropole.

Dann machte Corona die Ferienträume zunichte. Die Einreise in die angepeilten Länder wurde untersagt, die Flüge gecancelt. Seither versucht das Paar, von den Reiseveranstaltern das Geld für die nicht erbrachten Dienstleistungen zurückzuerhalten. Bislang vergebens. «Beim Veranstalter Alternative Airlines musste ich eine Ewigkeit warten, bis ich telefonisch zu einem Servicemitarbeiter durchkam, ohne dass dieser eine Rückerstattung bestätigen wollte. Und als ich bei Swiss und Turkish Airlines direkt anfragte, beschied man mir zwar, dass ich das Geld für die Tickets zurückerhalten würde, dieses aber beim Reiseunternehmen, also Alternative Airlines, zurückzufordern hätte», so Donahue. Und als er bei booking.com wegen der Hotelkosten vorsprach, wurde er ebenfalls vertröstet. «Es hiess nur, man würde das Hotel kontaktieren.» Seither haben Donahue und Waizmann weder von Alternative Airlines noch von booking.com wieder etwas gehört.

Ähnlich erging es Bernadette Gabathuler. Sie hatte Anfang Januar über opodo.com für zwei Personen einen Retour-Flug mit Swiss und United Airlines nach Los Angeles für Anfang April gebucht und dafür rund 3000 Franken bezahlt. «Erst erhielt ich noch eine Aufforderung, den Flug zu stornieren. Als ich dies tat, forderte mich Opodo auf, Kontakt mit ihnen aufzunehmen und fragte mich dabei, ob ich auch einen Gutschein statt einer Rückerstattung akzeptieren würde. Das verneinte ich. Darauf versprach man mir, dass der ganze Betrag zurückerstattet würde. Danach herrschte Funkstille. Auf das Geld warte ich noch immer und all meine Versuche, telefonisch nachzufragen, gingen ins Leere.»

Airlines bestimmen Tempo

Die Fälle von Donahue und Gaba­thuler sind nur zwei von über dreissig Beispielen, die das «Tagblatt» nach einem entsprechenden Aufruf in der vorletzten Ausgabe erreichten. Einige davon unterscheiden sich im Detail, allen gemeinsam ist jedoch, dass für die Betroffenen daraus statt einer schönen Reise eine unschöne Odyssee nach den ausstehenden Beträgen – die von etwas mehr als 100 bis fast 10 000 Franken reichen – resultierte.

Beim Schweizer Reiseverband, der Dachorganisation der nationalen Reisebüros und Reiseveranstalter, ist man sich des Problems bewusst und hat grosses Verständnis für den Ärger und die Sorgen der Kundschaft. «Darum liegt uns viel daran, die betroffenen Kunden so schnell wie möglich zu entschädigen», betont Geschäftsführer Walter Kunz. Die Verantwortlichen für die nicht erfolgten oder schleppenden Rückzahlungen seien aber in der Regel die Airlines und nicht die Reiseunternehmen. «Denn die meisten Airlines weigern sich bislang strikte, uns das Geld für die Flugtickets zurückzuzahlen, damit wir es an die Kunden weiterleiten können.» Erschwerend kommt hinzu, dass gemäss LM Group (zu der unter anderem die Online-Reiseportale lastminute.com, Volagratis und Bravofly angehören) bei reinen Flugbuchungen die Reiseanbieter nur als Vermittler auftreten und die Stornierungsrichtlinien der jeweiligen Fluggesellschaften zu befolgen haben. Dagegen sind Pauschalreisekunden zumindest theoretisch in einer vorteilhafteren Situation. Hier sind die Reiseunternehmen sowohl in der Schweiz wie im EU-Raum von Gesetzes wegen verpflichtet, das Geld für nicht erbrachte Dienstleistungen dem Kunden rückzuerstatten. Sie schiessen es den Airlines quasi vor. Eine Regel, die gerade kleinere Reiseanbieter in grosse Schwierigkeiten bringen kann (siehe auch Interview mit Franco Muff).

Befristeter Rechtsstillstand

Das hatte auch der Bund erkannt und darum am 20. Mai für die gesamte Branche einen befristeten Rechtsstillstand bis zum 30. September erlassen. Das bedeutet, dass die Reiseunternehmen bis dahin Zeit haben, die wegen Corona entstandenen Rückerstattungen den Kunden auszuzahlen und so lange deswegen auch nicht betrieben werden können. Diesen Umstand macht sich nun die Swiss zunutze, indem sie gemäss einem Bericht der «Aargauer Zeitung» die Rückerstattung an die Reisebüros verzögert oder gar blockiert mit dem Verweis, dass auch sie auf diese «Fristerstreckung» ein Anrecht habe. «Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass Swiss die Ansprüche der Direktkunden als auch Reiseveranstalter auf eine Erstattung der Tickets nicht infrage stellt. Wir halten uns an die Auflage des Bundes, den Reiseveranstaltern im Rahmen des Pauschalreisegesetzes bis spätestens zum 30. September 2020 sämtliche Forderungen die durch Covid-19-Annullierungen entstanden sind, zu erstatten», sagt Swiss-Mediensprecher Marco Lipp. Zudem würden Auszahlungen an beide Zielgruppen getätigt, weshalb von einer Blockade keine Rede sein könne. «Die Zahlungen können aufgrund des nach wie vor hohen Volumens an Kundenanfragen jedoch nicht in der üblichen Frist erfolgen.» Generell bitten Fluggesellschaften wie Reiseveranstalter die Kunden darum um Geduld.

Branchenkenner zweifeln, dass das hohe Volumen der einzige Grund für die Verzögerung ist. Sie führen vielmehr die finanziellen Probleme vieler Airlines ins Feld. So beantragte beispielsweise die Swiss zur Sicherstellung des Betriebes Hilfe durch den Bund, der Anfang Mai prompt in Form eines Bankkredits von rund 1,5 Milliarden Franken – für Swiss und Edelweiss, gedeckt zur Hauptsache durch den Bund – gesprochen wurde. Und auch die Lufthansa, beantragte vom deutschen Staat Unterstützung.

Mangelhafte Betreuung

Kommt hinzu, dass etwa die neusten Zahlen der Swiss die These untermauern: Nach einer am letzten Mittwoch veröffentlichten Medienmitteilung schloss die Airline das erste Quartal 2020 mit einem operativen Verlust von 84,1 Millionen Franken ab, nachdem im Vorjahr für den gleichen Zeitraum noch ein Gewinn von 48,3 Millionen Franken herausgeschaut hatte. In einer solchen Situation ist eine hohe Liquidität äusserst hilfreich, gerade wenn sie, wie im Fall der zurückgehaltenen Rückerstattungen, auch noch zinslos unterstützt wird. Swiss CCO Tamur Goudarzi Pour hatte dazu in einem Interview mit der Handelszeitung bestätigt, dass, wenn Swiss alle Tickets sofort zurückgezahlt hätte, die Liquidität wie in der gesamten Branche nicht ausgereicht hätte.

Unabhängig davon hat – wie Informationen sowohl des «Tagblatts» wie des Schweizer Reiseverbandes übereinstimmend zeigen – die Mehrzahl der Fluggäste mit Rückerstattungsanspruch Verständnis für die Verzögerungen. Dagegen sorgt die bislang an den Tag gelegte Kundenbetreuung insbesondere bei Online-Reiseportalen und Airlines für absolutes Unverständnis. «Die Kommunikation war eine Katastrophe. Die relevanten Infos erfuhr ich nur aus den Medien. Zudem wurden die Callcenter personell offenbar noch immer nicht auf das nötige Mass ausgebaut», sagt «Tagblatt»-Leser Bruno Buck stellvertretend für viele Betroffene. Diese berichten, dass auch jetzt noch telefonisch oft kein Durchkommen sei, versprochene Rückrufe und Rück- erstattungsbestätigungen nicht erfolgen und E-Mails nicht beantwortet würden. Und dies, obwohl man gemäss LM Group wie Lufthansa und Swiss die Kapazitäten in den Servicecentern fortlaufend erhöhe beziehungsweise einer schnellstmöglichen Bearbeitung von Anfragen Priorität einräume. Spürbar ist das für die meisten Kunden noch nicht. Für sie bleibt die ganze Situation weiter ein grosses Geduldsspiel mit hoffentlich positivem Ausgang.

Franco Muff, Ombudsmann der Schweizer Reisebranche, zum Thema Flugticket-Rückerstattung:

«Kunden sollten ihre Ansprüche unbedingt beim Reiseveranstalter deponieren»

Noch immer wartet die Mehrzahl der Betroffenen auf die Rückerstattung ihrer Flugtickets. Warum?

Franco Muff: Es gibt dafür verschiedene Gründe. Der Hauptgrund liegt darin, dass die Airlines, vermutlich aufgrund von Liquiditätsproblemen die Rückzahlung sozusagen «auf die lange Bank» schieben. Es gibt zudem Fälle, in welchen die im Internet publizierten Formulare für einen Rückerstattungsantrag vorübergehend gelöscht wurden. Da die Airlines die Reisebranche und die Direktkunden auf die Folter spannen, sind beide Parteien gleichermassen betroffen.

Sind die Reiseveranstalter nicht verpflichtet, die Rückzahlung der Airline vorzuschiessen?

Ich kann zu dieser Frage nur sehr vage Stellung nehmen, denn wir behandeln keine Anfragen zu komplexen Buchungen dieser Art, die im Ausland getätigt wurden. In der Schweiz wird geprüft, ob es sich um Einzelleistungen handelt oder aber ob man die Reise als eine Pauschalreise (zum Beispiel Flug und gleichzeitig gebuchtes Hotel) bezeichnen kann. Unsere Gesetze verlangen bei einer Pauschalreise die Erstattung bei Absage durch den Veranstalter. Die Problematik des «Vorschiessens» ist, dass das Geld des Kunden für den Flug bereits bei der Airline ist und gerade kleinere Veranstalter nicht genügend liquide sind, weshalb es zu Verzögerungen im Prozess kommen kann.

Wie sollte man als Betroffener vorgehen, wenn man noch keine Rückerstattung erhalten hat?

Als Erstes sollte ein Kunde seine Ansprüche unbedingt beim Reiseveranstalter deponieren. Erfolgt darauf keine Reaktion, kann man die Forderung nach ein, zwei Wochen wiederholen und schriftlich abmahnen. Eine Betreibung ist jedoch nach der bundesrätlichen Fristerstreckung noch nicht möglich. Handelt es sich um eine Buchung in der Schweiz, kann man sich selbstverständlich auch an uns wenden. In vielen Fällen erzielen wir Lösungen mit den Veranstaltern oder Reisebüros. Wir haben jedoch keine rechtlichen Möglichkeiten, zugunsten der Reisenden gegen diese vorzugehen.

Riskiere ich, das Geld zu verlieren, wenn ich nichts unternehme?

Es gibt keine festgesetzte Frist, was Ansprüche für Rückerstattungen angeht. Die Forderungen müssen im Haus sein, das ist primär wichtig. In einzelnen Fällen kann es sinnvoll sein, wenn man eine Umbuchung tätigt und somit das Guthaben anderweitig einzieht. Oft werden den Kunden Gutscheine angeboten. Wichtig ist zu wissen, dass man als Konsument zu diesen Alternativen nicht gezwungen werden kann.

Was ist mit den Reiseversicherungen? Müssten diese nicht einspringen?

Die meisten Versicherungen haben in ihren AVB entweder Epidemie und Pandemie in der Haftung ausgeschlossen, andere nur die Pandemie. Wir haben in nur sehr wenigen Fällen die Nachricht erhalten, dass eine Versicherung zu Zahlungen an betroffene Reisende eine Zusage gegeben hat. SB

www.ombudsman-touristik.ch

Die Anfragen an andere wichtige Player der Branche wie booking.com, ebookers.ch oder easyjet blieben unbeantwortet.

Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

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