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Alfred Werro gehört zu den 30 000 bis 35 000 Jenischen in der Schweiz. Er lebt im Wohnwagen und nimmt an den Zigeunerkulturtagen teil. Bild:PD

Der Kampf um Anerkennung

Von: Ginger Hebel

10. August 2021

Die Schweizer Fahrenden, darunter Jenische und Sinti, sind als nationale Minderheit anerkannt. Allerdings sind sie wie Roma Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt. Vom 18. bis 21. August laden sie zu den Zigeunerkulturtagen auf der Hardturm-Stadionbrache. Sie wollen den Austausch fördern. 

Alfred Werro lebt seit seiner Geburt im Wohnwagen. Der 62-Jährige ist ein Schweizer Jenischer. Ein Fahrender. Heute in St. Gallen, morgen in Zürich, auf einem der wenigen Durchgangsplätze beim Albisgüetli. Manchmal bleibt er mit seiner Familie ein paar Wochen, oft nur ein paar Tage. «Es gibt hierzulande seit Jahren zu wenig Halteplätze, wo wir unsere Fahrzeuge abstellen dürfen, sei es spontan oder für einen etwas längeren Durchgangsaufenthalt. Wir sind immer auf der Suche», sagt Werro.

Schweizweit leben zwischen 30 000 und 35 000 Jenische und einige Hundert Sinti. Rund 3000 von ihnen sind von Frühling bis weit in den Herbst hinein fahrend unterwegs. «Sehr viele sind sesshaft. Sie haben einen Schweizer Pass, sind berufstätig, zahlen Steuern; das wissen manche nicht», sagt Guy Bollag vom Verein Zigeunerkulturtage Zürich.

Vorurteile sind hartnäckig

Mit seinem Team organisiert er vom 18. bis 21. August die Zigeunerkulturtage auf der Hardturm-Stadionbrache. «Diese Veranstaltung ist wichtig, um das gegenseitige Verständnis zu fördern», findet Bollag. Ein vielfältiges Programm lässt die Kultur der Fahrenden Völker hautnah erleben, dazu gehört auch Musik. «Ohne Jenische gäbe es die Ländlermusik nicht, sie haben sie stark geprägt, aber nie selbst notiert», sagt Bollag. Im 19. Jahrhundert gehörten die ländlichen Musikanten fast ausschliesslich zu den Fahrenden. Nichtfahrende Musiker nahmen die Melodien auf, hatten grossen Erfolg damit und entwickelten sie weiter.

Katharina Prelicz-Huber, Zürcher Nationalrätin der Grünen, setzt sich seit über zwanzig Jahren für die Zigeunerkulturen ein. «Jenische, Sinti und Roma haben noch immer mit Vorurteilen zu kämpfen. Viele glauben, dass sie beispielsweise Dreck verursachen und stehlen, was nicht stimmt.» Der Standbericht 2021 zeigt auf, dass schweizweit 20 bis 30 Stand- und rund 50 Durchgangsplätze fehlen. «Auch in der Stadt Zürich brauchen wir mehr fixe Plätze», sagt Prelicz-Huber. «Man kann eine Kultur auch töten, indem man keine Plätze zur Verfügung stellt. Das darf nicht sein.» Sie ist überzeugt, dass es wichtig ist, Aufklärung zu leisten in Zürich, wo sich viele Kulturen und Nationalitäten mischen. Seit 1997 sind Jenische und Sinti als nationale Minderheit anerkannt. «Sie gehören zur Schweizer Kultur», sagt Prelicz-Huber, «hoffentlich bald auch die Roma.»

Der Begriff Zigeuner kommt nicht überall gut an. Die Genossenschaft fahrendes Zigeuner-Kultur-Zentrum – 1985 von Jenischen gegründet – sei sich bewusst, wie schwierig es sei, eine einfache, nichtrassistische Bezeichnung für die verschiedenen Völkergruppen zu benützen. Hinzu komme die Tatsache, dass viele den Begriff Jenische nicht kennen. Alfred Werro ist Präsident der Genossenschaft und hat kein Problem mit dem Namen Zigeuner. Anstelle darüber zu diskutieren, sei es wichtiger, sich starkzumachen für die Lebensweise der Fahrenden und ihre Anerkennung. Sie betreiben das fahrende Kultur-Zentrum, welches jedes Jahr von März bis September in der Schweiz Plätze mietet und so den Fahrenden ermöglicht, ihrer Arbeit nachzugehen und ihre Traditionen zu erhalten. Sie laden Schulklassen ein und pflegen das Handwerk.

«Corona erschwert alles. Wir kämpfen um unsere Existenz.» Hausieren, die Beschäftigung vieler Fahrender, war plötzlich verboten. Auch Märkte konnten lange nicht mehr stattfinden. Alfred Werro freut sich deshalb besonders auf die bevorstehenden Kulturtage und auf den Markt mit Scherenschleifen, Korben und Stuhlflechten. Wenn ihn jemand fragt, wer er sei, antwortet er stolz: «Ich bin Schweizer, ich bin ein Jenischer. Das Schönste ist die Freiheit».

Weitere Informationen: Zigeunerkulturtage, 18.–21. August, Hardturm-Stadionbrache (VBZ-Haltestelle: Hardturm). Mit Essensständen, Podiumsdiskussionen, Musik, Malen für Kinder, Tag der offenen Wohnwagen, Floh- und Antiquitätenmarkt. Das ganze Programm: www.zigeunerkultur.org

 

 

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