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Auf Spurensuche in der Heimat: Sarah Ramani Ineichen bei ihrer ersten Reise nach Sri Lanka, zusammen mit ihren drei Kindern. Als Baby wurde sie zur Adoption in die Schweiz vermittelt - mit gefälschter Identität. Bilder: Privat

Die brennende Frage nach der Herkunft

Von: Ginger Hebel

03. Juli 2020

Skandal: Von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre wurden 881 Kinder aus Sri Lanka illegal in die Schweiz adoptiert, darunter viele nach Zürich. Jetzt hilft der Kanton den Adoptierten bei der Suche nach ihren Wurzeln.  

Sarah Ramani Ineichen ist 1981 geboren, davon geht sie zumindest aus. Denn sie kennt ihr genaues Geburtsdatum nicht. Sie weiss auch nicht, wer ihre leiblichen Eltern sind. Als Baby wurde sie zur Adoption in die Schweiz vermittelt – mit gefälschter Identität, wie sich Jahre später herausstellte. In ihren Dokumenten stehen nicht die Angaben ihrer leiblichen Mutter, sondern diejenigen einer Schauspielerin, die dafür bezahlt wurde, dass sie sich als ihre Mutter ausgibt. «Das war ein Schock für mich und zog mir den Boden unter den Füssen weg», sagt Sarah Ramani Ineichen.

So wie ihr geht es vielen Adoptierten, die nur einen Pass besitzen, aber keine Geburtsurkunde und auch keine Verzichtserklärung der leiblichen Eltern. «Wir haben keine Anhaltspunkte, die Herkunftssuche gestaltet sich daher sehr schwierig. Nur ein DNA-Test kann Gewissheit bringen.»

Lange hat sie sich kaum für ihre Herkunft interessiert und wenig Fragen gestellt, auch deshalb, weil sie ihre Adoptiveltern nicht verletzen wollte, hinzu kam die Angst vor der Wahrheit. Warum wurde sie weggegeben? Ist sie vielleicht ein Vergewaltigungskind? Erst als sie selber Mutter wurde, hatte sie die Kraft, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen und auf Spurensuche zu gehen. «Meine drei Kinder stellten mir Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Ich wollte endlich wissen, wo ich herkomme, wo meine Wurzeln sind», sagt Sarah Ramani Ineichen.

Kinderhandel begünstigt

In den 70er- und 80er-Jahren wurden auf Babyfarmen in Sri Lanka tausende Kleinkinder für Paare aus Europa bereitgehalten und verkauft. Einige Kinder wurden gestohlen, Geburtsscheine gefälscht. Eine im Auftrag des Bundes erarbeitete Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW untersuchte diese illegalen Fälle. Jede fünfte Auslandsadoption im fraglichen Zeitraum betrifft den Kanton Zürich. Die Studie zeigt, dass die Schweizer Behörden spätestens seit Ende 1981 Kenntnisse davon hatten, dass es bei den Adoptionen zu Fällen von Kinderhandel kam, doch die Behörden schauten damals einfach weg. «Man kann aus heutiger Sicht nur den Kopf schütteln, wie wenig man damals die Interessen der Kinder berücksichtigte», sagt André Woodtli, Vorsteher des Amts für Jugend und Berufsberatung, zu dem die Zentralbehörde Adoption des Kantons Zürich gehört.

Jetzt unterstützt der Kanton Zürich die Betroffenen bei der Ermittlung ihrer Herkunft. «Wir begleiten sie individuell und nach Bedarf bei der Recherche und Akteneinsicht», sagt André Woodtli. Die Zentralbehörde Adoption des Amts für Jugend und Berufsberatung und das Staatsarchiv spannen diesbezüglich zusammen und verrechnen für ihre Unterstützungsleistungen keine Kosten. Adoptionen aus Ländern wie Äthiopien und Senegal sind heute nicht mehr möglich, weil die Dokumentensicherheit nicht gegeben ist. «Die Richtlinien sind seit dem Haager Adoptionsübereinkommen sehr streng, das Kindeswohl steht über allem», sagt Woodtli. Allerdings ist die Nachfrage nach Adoptionen sinkend, nicht zuletzt wegen der Kinderwunschmedizin. 2009 wurden 55 Kinder in den Kanton Zürich adoptiert, 2019 waren es noch dreizehn. Sie stammen aus Russland, Thailand, der Dominikanischen Republik und den USA.

Sarah Ramani Ineichen hat vor zwei Jahren mit anderen Adoptierten den Verein Back to the Roots gegründet, er zählt mittlerweile über 500 Mitglieder. Sie helfen Müttern in Sri Lanka, ihre leiblichen Kinder zu finden. Als dreifache Mutter und Hebamme weiss sie, wie wichtig die Bindung zwischen Mutter und Kind ist. «Die Schwangerschaft, die Geburtsschmerzen, das kann eine Frau doch niemals vergessen», ist sie überzeugt. Obwohl sie ihre biologischen Eltern noch nicht gefunden hat, gibt sie Hoffnung nicht auf. Ihre eigene Familie gibt ihr Halt und neue Wurzeln, auch wenn ihre eigene Identität vielleicht nie ganz geklärt sein wird.

Weitere Informationen:

Anlaufstellen für Herkunftssuche im Kanton Zürich: Amt für Jugend und Berufsberatung, Zentralbehörde Adoption, Tel. 043 259 96 60 und www.ajb.zh.ch

Back to the Roots, Interessenvertretung für Adoptierte aus Sri Lanka: www.backtotheroots.net

Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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